Farbe blättert von Fensterläden und Balkonen, dazwischen drängen sich Fassaden, die aussehen wie frisch gestrichen. Die Anzahl der Souvenirläden nimmt schlagartig ab, die bekannten Fast-Food- und Kaffeehausketten sowie die üblichen Modediskonter verschwinden. Auf einmal sind weniger Touristen in den engen Gassen unterwegs und die Einheimischen in der Überzahl.

Lichtblicke für das ehemalige Rotlichtviertel von Palma de Mallorca: Die Fassaden und das Leben dort werden bunter.
Foto: iStockphoto/cinoby;

Das Viertel Sa Gerreria in der Altstadt von Palma de Mallorca ist nur ein paar Schritte von der Plaça Major und dem Mercat de l’Olivar entfernt, und doch ist das ehema lige Rotlichtviertel unter Urlaubern kaum bekannt. Im Nordwesten grenzt Sa Gerreria an die Einkaufsstraße Via Sindicat. Man muss nur die Shoppingmeile überqueren, um in eine andere Welt einzutauchen.

Naschen seit 1700

Grüne Kronleuchter, rote Vorhänge, Marmortische mit Bugholzstühlen, ein großer goldener Spiegel und üppige Blumensträuße in Porzellanvasen prägen das Interieur der Chocolatería Ca’n Joan de s’Aigo. Schwarz gekleidete Kellner mit weinroten Schürzen eilen von Tisch zu Tisch. Vor allem Einheimische haben es sich in der Schokomanufaktur gemütlich gemacht, die versteckt in einer Gasse am südlichen Ende der Via Sindicat liegt. Seit 1977 kreiert die Familie Martorell hier mallorquinische Naschereien, gegründet wurde der Betrieb schon im Jahr 1700.

Seit den 1970er-Jahren kreiert die Familie Martorell Naschereien in der Chocolatería Ca’n Joan de s’Aigo.

"Damals hat hier eine einzige Frau gearbeitet, es gab einen großen Ofen und vier Dinge zur Auswahl. Die Schmalzschnecke Ensaimada, die Biskuitschnitte Cuarto, heiße Schokolade und Mandeleis. Eine Karte gab es nicht", erklärt der jetzige Geschäftsführer Pere Joan Massanet. Die vier Spezialitäten werden heute noch angeboten, die Preise sind nach wie vor niedrig. "Das Ca’n Joan de s’Aigo soll für alle im Viertel da sein", sagt Massanet.

Schokolade und andere Drogen

"Das Rotlichtviertel Sa Gerreria war noch vor wenigen Jahren eine No-go-Area. In die Chocolatería kamen die Leute trotzdem", sagt Marc Morell, Sozialanthropologe an der Universität der Balearen in Palma. Prostitution, Drogenhandel, Kriminalität – das Viertel galt bis etwa 2007 als gefährlich. Zu dieser Zeit setzte dort die Gentrifizierung ein: Investoren entdeckten das Arbeiterviertel, kauften für wenig Geld heruntergekommene Häuser, sanierten und modernisierten sie, und verkauften die Immobilien an andere Investoren weiter. Viele alteingesessenen Bewohner wurden aus dem Viertel verdrängt. "Nicht die neuen Bewohner mit mehr Einkommen sind das Problem, sondern die Immobilienspekulanten, die nicht im Viertel leben", sagt Morell.

Trotz Gentrifizierung und jeder Menge neuer Bars hat das Viertel viel vom alten Charme bewahrt.

Die Plaça Sant Antoni ist der einzige Ort in Sa Gerreria, der noch an das frühere Rotlichtviertel erinnert. Prostituierte stehen vor einem baufälligen Haus. Nur das Erdgeschoss gibt es noch, doch die Eingänge sind zugemauert. Die Damen unter halten sich mit einem alten Mann mit Schiebermütze, der in einer Ecke des Platzes auf einer Kiste hockt. Auf der Wand hinter ihnen prangt eine lilafarbene Wandmalerei: Frida Kahlo, die immer noch besorgt dreinschaut, obwohl sich die Plaça Sant Antoni zu mausern scheint.

Tattoos und Designerware

Aus den vergangenen Tagen sind ein Tattoostudio, ein Beautysalon, ein Erotikshop und zwei Rotlichtbeisln geblieben, die Bar Michelis und die Bar La Puerta. Gleich daneben haben neue Szenecafés und Geschäfte für Designerware aufgemacht, wenige Straßen weiter lockt das erste Boutiquehotel des Viertels, die Posada Terra Santa. "Die Plaça Sant Antoni ist ein besonderer Ort. Hier leben die letzten Mohikaner von Sa Gerreria", sagt Marc Morell. Quasi Tür an Tür mit den Bobos könnte man er gänzen, denn diese werden stetig mehr im Viertel, seit sich die Drogenkriminalität an andere Orte verlagert hat.

Auch ein fesches Boutiquehotel, die Posada Terra Santa, hat sich mittlerweile in das Viertel "verirrt".
Foto: Hotel Posada Terra Santa

In einem der neuen Lokale am Platz ist es jeden Tag zum Bersten voll. Eine Foto tapete mit Palmen ist der Blickfang im Café Lolì, wo sich die Leute aus dem Viertel zum Mittagessen treffen. Reiseführer und Stadtpläne von Barcelona, Berlin und Amsterdam stehen in einem Regal hinter den Esstischen, an denen Manager, Künstler, Hipster, Studenten und Leute aus dem Rotlichtmilieu hausgemachte Pasta genießen.

Immer etwas los

"Der Mix unserer Gäste ist bunt, Touristen kommen dennoch nur selten", sagt Lorenzo Benelli. Er und seine Frau Lia, die aus der Nähe von Bologna stammen, haben das Café vor einem Jahr aufgemacht. "Wir trafen nach einer Woche Urlaub auf Mallorca die Entscheidung, hierzubleiben und frische Pasta für Palma zu machen", sagt Benelli. "An der Adria geht die Saison nur wenige Monate, auf Mallorca ist das ganze Jahr etwas los." (Oliver Schindler, 22.3.2019)