So sah das Areal noch bis vor wenigen Wochen aus: Am Heumarkt wird seit 1901 eisgelaufen.

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Nach dem Ende der Wintersaison wird der triste Zustand des baufälligen Areals sichtbarer. Bald folgt der Startschuss für eine neue Saison der Veranstaltung "Sand In The City"...

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... – inklusive Gastronomie und Beachvolleyball am Fuße des Hotel Intercontinental.

Foto: Heribert Corn

Früher, in den 1980ern und 1990ern, war der Heumarkt in den Sommermonaten legendär fürs Catchen: In der Hochblüte kamen bis zu 5500 Besucher, um Klaus Wallas, Otto Wanz, Georg "Schurl" Blemenschütz oder Klaus "der Staatenlose" Kauroff kämpfen zu sehen.

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Die aktuellen Pläne sehen den Neubau eines 66-Meter-Wohnturms vor. Das Hotel Intercontinental wie das lang gezogene Gebäude hin zum Konzerthaus werden abgerissen und neu errichtet. In der Mitte wird eine in den Sommermonaten frei zugängliche Fläche geschaffen.

Rendering: Isay Weinfeld & Sebastian Murr

Im Winter soll hier weiterhin eisgelaufen werden.

Rendering: Isay Weinfeld & Sebastian Murr

Wien – "Nie und nimmer." Diese Worte sprach der frühere Stadtrat Rudolf Schicker von der Wiener SPÖ am 4. Juni 2008 im Gemeinderat aus. Das Thema, schon damals: der mögliche Bau eines Hochhauses am Heumarkt. Schicker sagte, "dass die Stadt Wien nie und nimmer beabsichtigt, diesen Platz für Hochbauten irgendwelcher Natur freizugeben". Die Roten verhängten für das Areal eine dreijährige Bausperre. Die Grünen, damals in Opposition, nahmen die Ankündigung mit Wohlwollen auf.

Nur ein paar Jahre später waren die Worte Schickers Makulatur. Heute verteidigt die Wiener SPÖ vehement die geplante Neugestaltung des Areals, die auch die Errichtung eines 66 Meter hohen Wohnturms in der Unesco-Welterbezone vorsieht. Und auch die Spitzenvertreter der Grünen sind Fürsprecher des privaten Projekts von Investor Michael Tojner mit seiner Firma Wertinvest.

SPÖ legt Projekt erneut für zwei Jahre auf Eis

Wann genau sich die Haltung von SPÖ und Grünen gewendet hat, lässt sich heute nicht mehr transparent nachvollziehen. Am Projekt Heumarkt zeigt sich aber für Kritiker die Unfähigkeit der Stadtpolitik, mutige Entscheidungen zu treffen und stadtplanerische Rahmenbedingungen für Investoren vorzugeben, die auch Bestand haben. Stattdessen setzt die Stadt auf den Faktor Zeit – und hat das Projekt vorerst erneut für zwei Jahre auf Eis gelegt.

Die Unesco ist in ihren Vorgaben klar: Wird der 66-Meter-Wohnturm in der Schutzzone gebaut, ist die Wiener Innenstadt das Welterbe-Prädikat los. Auf der Roten Liste steht Wien aufgrund des Heumarkt-Projekts seit zwei Jahren.

Will Wien sowohl eine Neugestaltung des Heumarkts als auch die Beibehaltung des Unesco-Welterbestatus, ist von der Unesco eine maximale Gebäudehöhe von 43 Metern erlaubt. Diese Zahl ist nicht willkürlich gewählt, sondern richtet sich nach der Höhe des bestehenden Hotels Intercontinental am Heumarkt. Das habe die Unesco seit 2012 klar kommuniziert, sagt Eva Trötzmüller, Sprecherin der österreichischen Unesco-Kommission. Da war das genaue Bauvorhaben noch gar nicht bekannt.

Stadt machte Turm erst durch Umwidmung möglich

Als sich Experten, Investor und Stadt im Juni 2012 daranmachten, einen Rahmenplan für die Neuentwicklung des in privater Hand befindlichen Areals festzulegen, verzichtete die grüne Stadträtin Maria Vassilakou darauf, eine Höhenbeschränkung festzulegen. Im Februar 2013 wurde der städtebauliche Rahmenplan präsentiert, der einen 73-Meter-Turm neben dem Hotel empfahl – und damit den Turmbau am Heumarkt erst ermöglichte. Vassilakou kündigte überdies jedoch an, erst dann einen Architekturwettbewerb auszuschreiben, wenn es eine Einigung mit der Unesco gebe.

Auf Letztere wurde aber dann doch verzichtet – aus welchen Gründen, ist bis heute unklar. Im Februar 2014 stand, ohne Einigung mit der Unesco, das Siegerprojekt des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld fest. Dieses sah unter anderem einen genau 73 Meter hohen Wohnturm vor. Nach massiver Kritik von Unesco, Architekten und Bürgerinitiativen einigten sich Rot-Grün und Tojner Ende 2016 auf eine Reduzierung auf 66 Meter.

Turmhöhe für Trötzmüller "nicht verhandelbar"

"Wenn jetzt gesagt wird, dass sich die Unesco nie genau festgelegt hat, was sie jetzt haben will oder nicht, dann ist das lächerlich", sagt Trötzmüller dem STANDARD. Die für die Unesco maximale Höhe des Turms sei "nicht verhandelbar".

Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) will sich trotz der kompromisslosen Vorgabe nicht festlegen, ob die Stadt sich beugen wird – oder eben nicht. Er möchte ein "sinnvolles Projekt am Standort" entwickeln und gleichzeitig das Unesco-Welterbe erhalten, sagte er diese Woche.

Weiterer Angriff von Türkis-Blau auf Wien

Das Zaudern von Rot-Grün ermöglicht es der Bundesregierung jedenfalls, einen weiteren politischen Angriff auf die Bundeshauptstadt zu lancieren. Türkis-Blau kann sich einmischen, weil der Bund Vertragspartner der Unesco ist – obwohl es 2001 die Stadt Wien war, die um die Aufnahme in die Welterbeliste ansuchte.

Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) fordern von Ludwig bis 8. April ein schriftliches Bekenntnis, das Projekt in der vorliegenden Form nicht mehr weiterzuverfolgen. Kommt der Stadtchef der Aufforderung nicht nach, werde der Bund eine – noch nicht näher ausgeführte – Weisung erteilen. Blümel und Strache sind auch die Wien-Chefs ihrer jeweiligen Parteien: Für sie ist die Causa Heumarkt ein willkommenes Thema für einen langen Wahlkampf vor den Wien-Wahlen 2020.

Häupl wollte "Herr im eigenen Haus bleiben"

Weshalb Ludwig am Unesco-Prädikat unbedingt festhalten will, ist unklar. Sein Vorgänger Michael Häupl betrachtete die Unesco samt Denkmalbeirat Icomos zuletzt eher als Verhinderer moderner Stadtentwicklung.

Dem STANDARD sagte Häupl im Februar 2017: "Dass ein Hochhaus von 66 Metern absolut verwerflich sein soll und der nahegelegene Justizturm mit 83 Metern nicht, das kann ich nicht nachvollziehen. Ich bin dafür, dass wir Herr in unserem eigenen Haus bleiben. Sonst soll sich der Chef von Icomos auf meinen Sessel setzen und die Stadt führen."

Wiener Eislaufverein als Leidtragender

Leidtragender des Stillstands und des politischen Hickhacks ist der am Heumarkt befindliche Wiener Eislaufverein (WEV). Die traditionsreiche private Institution sieht sich aufgrund der erneuten Verzögerungen in seiner Existenz bedroht. Weil notwendige Investitionen verschoben wurden, verkommt das Areal, auf dem seit 1901 eisgelaufen wird, mehr und mehr zum Schandfleck.

Tojners Wertinvest hat sich – im Gegenzug für die bereits erfolgte Umwidmung der Fläche, die den Turmbau ermöglicht – vertraglich dazu verpflichtet, Leistungen im öffentlichen Interesse zu erbringen. So muss Tojner etwa für die Sanierung der Flächen aufkommen, die vom WEV gepachtet werden. Die Kosten einer Modernisierung samt Bau einer unterirdischen Halle werden von Wertinvest mit rund 30 Millionen Euro beziffert. Um diese und andere Leistungen erbringen zu können, braucht es eben den Luxuswohnturm, argumentierte der Projektwerber.

Keine Planungssicherheit

"Die Stadt muss uns sagen, wie es weitergeht", sagt WEV-Sprecher Peter Menasse. Die Verzögerungen bedeuteten nämlich auch, dass der WEV viel länger als geplant mit dem Status quo leben müsse. Notwendige Verbesserungen müssten dann doch noch durchgeführt werden. "Das wird nicht ohne finanzielle Unterstützung durch die Stadt gehen." Hinzu kommt die Planungsunsicherheit durch die Nichtentscheidung der Politik – nicht gerade ein Bonuspunkt für den Wirtschaftsstandort Wien.

In der derzeit festgefahrenen Situation zeigt sich Tojner zwar kompromissbereit – darunter versteht er aber nicht nur eine Reduktion der Turmhöhe, sondern eine "architektonische Lösung". Das heißt übersetzt: Die Flächenverluste durch einen niedrigeren Turm müssen aus Tojners Sicht wohl ausgeglichen werden.

Viele Lösungsvarianten bleiben nicht mehr übrig. Eine ist, dass es die Stadt auf die Aberkennung des Welterbes anlegt. Oder Tojner erklärt sich zu neuerlichen Zugeständnissen bei der Turmhöhe bereit, wenn er das Hotel und andere Gebäude auf dem Areal noch breiter als geplant neu errichten kann. Worst Case wäre ein Neustart des Projekts nach fast sieben Jahren und die Fortsetzung des tristen Zustands am Heumarkt.

Privatisiert hat der Bund

So oder so wird die Bundesregierung das Thema Heumarkt nutzen, um Rot-Grün in Wien weiter zu attackieren. Dabei war es der Bund, der das Heumarkt-Areal 2008 privatisiert hat. Der Wiener Stadterweiterungsfonds unter Ex-Innenminister Günther Platter (ÖVP) verkaufte die Immobilie um 4,2 Millionen Euro an eine Tochter der Buntes Wohnen – Gemeinnützige WohnbauGmbH, ehe diese wenig später bei Tojner landete. Tojner kaufte im Jahr 2012 um 50 Millionen Euro auch das Hotel Intercontinental.

Der Verkauf des Heumarkt-Areals 2008 durch den Bund an die WohnbauGmbH war laut Rechnungshof viel zu billig, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelte. Der Vorhabensbericht liegt bis heute im Justizministerium.

Zinggl kritisiert Rolle der ÖVP

Wolfgang Zinggl von der Liste Jetzt kritisierte in diesem Zusammenhang, dass 2016 der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) um die neuerliche Einvernahme der Beschuldigten gebeten und damit eine bevorstehende Entscheidung, ob es zu einem Prozess komme oder nicht, verzögert habe. Brandstetter sei laut Zinggl vor und nach seiner Amtszeit Anwalt von Tojner gewesen. (ANALYSE: David Krutzler, 23.3.2019)