Der Oberösterreicher Willi Ruttensteiner war fast 18 Jahre lang für den ÖFB tätig. Nun ist sein Wissen in Israel gefragt.

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Liveticker: EM-Quali: Israel – Österreich, So. 18 Uhr

Hin und wieder hat Willi Ruttensteiner ein mulmiges Gefühl. Wenn im Gazastreifen Raketen abgeschossen werden, Sirenen heulen oder in Tel Aviv der Verkehr kurz angehalten wird. Schön langsam gewöhnt er sich an diese abnormale Normalität. "Frieden ist das Wichtigste auf de Welt", sagt der 56-jährige Oberösterreicher.

DER STANDARD

Ruttensteiner gewann im Juni des Vorjahrs eine Art Castingshow minus Dieter Bohlen. "Israel sucht den Fußballsuperstar" hieß sie. Fußballsuperstar ist eine leichte Übertreibung, Technischer Direktor (Sportdirektor) reicht allemal. Er wurde Sieger eines internationalen Hearings, es gab knapp 20 von der Uefa empfohlene Kandidaten. Einer nach dem anderen ist ausgeschieden, Ruttensteiner setzte sich letztendlich gegen zwei Italiener durch, überzeugte das Technische Komitee des Verbands restlos. Sein Auftrag: den nationalen Fußball auf Vordermann bringen, entwickeln, Strukturen schaffen. Wie er es fast 18 Jahre lang in Österreich getan hat, ehe er Ende 2017 gemeinsam mit Teamchef Marcel Koller abserviert und durch Peter Schöttel ersetzt wurde. "Auch wenn das Ende unrühmlich war, bin ich dem ÖFB dankbar. Ich blicke nicht im Zorn zurück."

Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Bestellung von Andreas Herzog zum Teamchef. Das habe überhaupt nichts mit Freunderlwirtschaft zu tun gehabt. "Es war die beste Lösung und passt ins Budget." Die anfängliche, wohl auch historisch bedingte Skepsis ist gewichen. "Die Menschen in Israel interessieren sich wieder für Fußball, sie bauen ein Vertrauen in die Nationalmannschaft auf." Das Personal aus Österreich hat sich vermehrt, Heinz Hochhauser ist Chefscout, Klaus Lindenberger Tormanntrainer.

Vor ein paar Tagen wurde Markus Rogan, der frühere Weltklasseschwimmer, als Mentalcoach engagiert. Aberwitzige könnten meinen, dies erhöhe die Chancen des jeweiligen Gegners. Ruttensteiner lehnt diese Art von Scherz ab. "Er war im Profisport auf höchstem Niveau, hat in Stanford Psychologie studiert." Als Entwicklungshelfer sieht sich der Sportchef nicht. "Israel braucht keine Entwicklungshilfe, wir bringen unser Know-how ein."

Verdoppelung als Ziel

Es ist ein langfristiges Projekt, die Vertragslaufzeit beträgt vier Jahre. Ruttensteiner hat zunächst analysiert, nun geht es an die Umsetzung. Trainerausbildung, Breitenfußball, Frauenfußball. In einer ersten Tranche stehen 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. "In Israel gibt es zu wenige Spielfelder." 40.000 Kicker sind registriert (in Österreich 300.000), die Zahl soll verdoppelt werden. Bei Vereinen wie Maccabi Tel Aviv oder Maccabi Haifa stimmt die Infrastruktur. "Bei anderen Klubs herrscht Nachholbedarf. Von einer Akademie, wie sie Red Bull Salzburg hat, kann man hier nicht einmal träumen." Die Auswahlmannschaften sollten sich zumindest ab und zu für Großereignisse qualifizieren – zum Beispiel für die EM 2020. "Wir brauchen mehr Legionäre. Auch unsere Spieler sehnen sich nach der Premier League. Österreich ist ebenfalls ein Ziel. Man will in die Spuren von Munas Dabbur treten. In Salzburg hat er den Durchbruch geschafft, nun geht er nach Sevilla."

Das Match am Sonntag in Haifa sei für ihn, Ruttensteiner, etwas Spezielles. "Wir wissen alles über die Österreicher, das ist ein Vorteil. Allerdings kann das gefährlich sein. Wenn du glaubst, sie können dich nicht überraschen, kannst du ein blaues Wunder erleben. Sie sind der klare Favorit." Eine Nichtqualifikation wäre für Österreich "ein enormer Rückschlag". Israel, die Nummer 92 der Rangliste, mühte sich am Donnerstag in Haifa zu einem glücklichen 1:1 gegen Slowenien.

Ruttensteiner ist seit Amtsantritt nur dreimal kurz daheim gewesen. Er lebt in einem Appartement in einem Vorort Tel Avivs, seine Frau und seine Töchter kommen regelmäßig auf Besuch. "Mich als gläubigen Menschen faszinieren das Land, die Menschen, die Kultur, das Religiöse." Zur Politik wolle er sich nicht äußern. "Uns ist egal, ob im Team Juden oder Arabischstämmige spielen. Gute Fußballer müssen sie sein, respektvollen Umgang pflegen." Am Sonntag hört er im Sammy-Ofer-Stadion kurz vor 18 Uhr mitteleuropäischer Zeit die österreichische Hymne. "Ich lasse das auf mich zukommen. Es wird kein mulmiges Gefühl sein." (Christian Hackl aus Haifa, 22.3.2019)