Der Druck am Arbeitsmarkt ist hoch. Jede weitere Maßnahme, die das Lohnniveau drückt und Menschen unter Zwang auf den Arbeitsmarkt spült, erhöht ihn.

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Asylwerber verdienen zu viel, wenn sie Hilfstätigkeiten während ihrer Grundversorgung erbringen. Dieser Meinung ist Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ. Er hält 1,50 Euro pro Stunde für angemessen. In den Ländern und vielen schwarzen Gemeinden stößt dies auf Ablehnung. Für Gewerkschafterin und Buchautorin Veronika Bohrn Mena ist Kickls Ansatz in Zeiten der Prekarisierung völlig falsch. Im Gastkommentar warnt sie vor einer Drei-Klassen-Gesellschaft am Arbeitsmarkt.

Innenminister Herbert Kickl sorgt für Aufregung, er will den Stundenlohn für arbeitende Asylwerbende auf bundesweit einheitlich 1,50 Euro pro Stunde beschränken. Und er wurde dabei sogleich von Bundeskanzler Sebastian Kurz sekundiert, der schon 2016 verpflichtende Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge forderte. Verhindert hatte das damals die SPÖ. Zu Recht. Denn es ist nicht nur menschenrechtlich hochproblematisch, Zwangsarbeit anzuordnen, dieser beschämende Dumpinglohn hätte auch dramatische Auswirkungen auf alle Beschäftigten.

Asylwerbende, die laut Kanzler Kurz "nicht nur im Park sitzen sollen", dürfen in Österreich bisher nicht arbeiten, sondern lediglich eine streng reglementierte Auswahl an Hilfstätigkeiten verrichten. Für diese freiwilligen Leistungen werden sie mit einem sogenannten Anerkennungsbeitrag entlohnt, im Schnitt rund fünf Euro pro Stunde, die bis zu einer geringen Höhe zusätzlich zur Grundversorgung ausbezahlt und von Gemeinden festgelegt werden können. Damit soll Schluss gemacht werden, aber nicht um eine echte wie sinnvolle Teilnahme am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Beispiel Deutschland

Welche desaströsen Auswirkungen das haben kann, zeigt Deutschland. Dort gibt es Ein-Euro-Jobs schon seit 2005, berühmt-berüchtigt durch die "Hartz IV"-Debatten. Wer sie ausschlägt, muss mit Kürzungen des Arbeitslosengelds rechnen. Damit nicht genug, führte das Angebot der Billigstbeschäftigten auch nachweislich zur Zerstörung von echten Arbeitsplätzen am regulären Arbeitsmarkt. So haben Betriebe, welche die Ein-Euro-Jobs angeboten haben, im Vergleich zu anderen eine niedrigere Wachstumsrate bei echten Beschäftigten. Einsatzbetriebe haben also entweder mehr echte Beschäftigte abgebaut oder weniger eingestellt. In Ostdeutschland wurde gar ein negativer Effekt der Ein-Euro-Jobs auf das Gesamtwachstum echter Beschäftigung nachgewiesen.

Ein weiteres Risiko besteht in der Verdrängung schwer vermittelbarer Arbeitsloser mit formal geringeren Qualifikationen oder Betreuungspflichten, da Substitutionseffekte durch Ein-Euro-Jobs wahrscheinlicher werden.

Drei-Klassen-Gesellschaft

Auch wenn in Österreich nur wenige der freiwilligen Hilfsarbeit nachgehen, so ergibt sich doch ein hohes Missbrauchsrisiko, die Gefahr der Wettbewerbsverzerrung und die langfristige Zerstörung von regulären Arbeitsplätzen. In Zeiten der gefährlich fortschreitenden Prekarisierung ein völlig falscher Ansatz, der die negative Dynamik am Arbeitsmarkt weiter anheizen wird.

Wir nähern uns damit endgültig einer Drei-Klassen-Gesellschaft am Arbeitsmarkt. So wird es künftig also jene geben, die ein unbefristetes, sozialrechtlich abgesichertes und konform entlohntes Arbeitsverhältnis haben. Es werden dies wohl vorwiegend österreichische Männer im Alter zwischen 30 und 50 Jahren sein. Also keine sehr große Gruppe, aber eine, die über deutlich mehr Macht und Geld verfügt. Sie werden die Gewinner sein, und für sie scheint diese Regierung ihre Politik zu machen.

Dann wird es prekär Beschäftigte geben, die als Dauerpraktikantinnen und -praktikanten, Teilzeitbeschäftigte, Scheinselbstständige, Leiharbeitskräfte oder befristet Beschäftigte ums Überleben kämpfen. Das sind in erster Linie schon jetzt Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte sowie Junge und Ältere, die den Einstieg in ein stabiles Erwerbsleben noch nicht geschafft haben oder frühzeitig rausgedrängt werden. Ihre Gruppe umfasst schon rund 1,5 Millionen Menschen und wächst schnell.

Und das Sozialsystem?

Und dann soll es – als weiteres Drohpotenzial hinsichtlich gesellschaftlichen Abstiegs und manifester Armut – also zwangsverpflichtende Jobber für 1,50 Euro pro Stunde geben, die keine Wahl und keine Perspektive haben. Menschen, die ohne Anerkennung und adäquate Entlohnung arbeiten müssen, damit sie zumindest so lange hierbleiben können, bis ihr Asylantrag bearbeitet wurde. Jetzt sind es Asylwerberinnen und Asylwerber, später vielleicht Mindestsicherungsbezieherinnen und -bezieher, Mindestpensionistinnen und -pensionisten und andere, die sich schlecht wehren können. Ist die Tür einmal geöffnet, werden bekanntlich viele durchgejagt.

So wird Arbeit systematisch entwertet, und wir alle zahlen den hohen Preis dafür. Denn schon jetzt stehen Beschäftigte unter gewaltigem Druck, und jede weitere Maßnahme, die das Lohnniveau drückt und Menschen unter Zwang auf den Arbeitsmarkt spült, erhöht ihn. Unmittelbar, weil weniger im Geldbörsl bleibt. Langfristig, weil unser Sozialsystem so nicht mehr finanzierbar ist. Und flugs hat die Regierung einen neuen Vorwand, um weitere Leistungen zu kürzen und in Ansprüche einzugreifen.

Zufall? Wohl eher nicht. Die Rechnung begleichen wir und unsere Angehörigen dann in Krankenhäusern, Schulen, bei Pensionen, in Kindergärten und Altenheimen. Daher einmal mehr: Organisiert euch! Denn am Ende werden alle dafür zahlen, wenn arme Menschen weiter erniedrigt und ausgebeutet werden. (Veronika Bohrn Mena, 26.3.2019)