Friedrich Achleitner verband die Ansprüche der Moderne mit hohem pädagogischen Anspruch und einem verbindlichen Wesen: Er dichtete u. a. dialektal. Nur selbst gebaut hat er nie. Er wurde 88 Jahre alt.

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Sein verschmitztes Wesen hob ihn von den manchmal bierernsten Kollegen der Wiener Gruppe unnachahmlich ab. Friedrich Achleitner, geboren im oberösterreichischen Schalchen, stieß als angehender Architekt und Schüler von Clemens Holzmeister zur Dichtergruppe rund um H. C. Artmann und Gerhard Rühm.

Konrad Bayer war der Dandy der Vereinigung: ein mit privatsprachlichen Phänomenen beschäftigtes Großkaliber. Oswald Wiener rüttelte an den Säulen des Alltagsverstandes: ein Empörer wider das konventionelle Sprachverständnis. Achleitner fügte gegen Ende der 1950er zur Palette der Sprachklangfarben eine unverzichtbare Nuance hinzu. Er schrieb Dialektgedichte mit unverkennbar regionaler Färbung.

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Während H. C. Artmann dem Penzinger Stadtteil Breitensee ein surreal erheiterndes dichterisches Denkmal setzte (med ana schwoazzn dintn), schloss "Achi", so sein Spitzname, die Ketten des Verstehens kurz. Dass man sowohl "schaim schiassn" als auch "schiam scheissn" kann, erfuhr man durch ihn. Ein Sprachingenieur mit unübersehbar konstruktivistischer Neigung betrieb die Geschäfte von Buchstabenvertauschung und Lautumkehr.

In der Mördergrube

Achleitners Exerzitien des Geistes kündeten nicht nur von einer überlegen ironischen Haltung. In dem Sammelband hosn rosn baa (1959) pressten Achleitner, Artmann und Rühm erst recht die Gemütlichkeit aus dem Dialekt heraus. Es ist eben nicht nur das goldene Wiener Herz, das zu jeder unpassenden Gelegenheit als Mördergrube herhalten muss. Man denke nur an Rühms wienerische Lautgedichte, die zwar nichts erzählen, es an aggressiver Deutlichkeit aber nicht im Geringsten fehlen lassen.

Auch das oberösterreichische Herz ließ sich von Achleitner aufstechen: mit knapper Geste, gleichsam mit dem Florett. Die Neigung zum Understatement sollte Achleitner auch dann noch begleiten, als er der Dichtung – nach herrlichen Übungen in visueller Poesie wie dem quadratroman (1973) – während langer Jahre den Rücken kehrte. Friedrich Achleitner vertiefte für sich und die österreichische Nachkriegsgesellschaft den Gegenstand, den er sich als Jüngling angeeignet hatte: die Architektur. Er tat dies, etwa als Kritiker der Presse, umso umsichtiger, als er jede Neigung zur Bilderstürmerei (um ihrer selbst willen) vermissen ließ.

Unkünstlerisches Bauen blieb ihm ein Gräuel. Umgekehrt bedachte er genau die Kontexte, aus denen auch allgemein "unbeliebte" Bauwerke hervorgegangen waren. Die Rekonstruktion von Bedeutung bildete, über alle Grenzen von Gattungen und beruflichen Dienstleistungen hinweg, den Antrieb hinter Achleitners lebenslangen Anstrengungen. Warum bei ihm alles herrlich anstrengungslos wirkte, blieb sein (hinter großer Jovialität verborgenes) Geheimnis.

Auf die Lehrkanzel

1968 erhielt Achleitner nach mehrjähriger Lehrtätigkeit eine provisorische Professur für Geschichte der Baukonstruktion an der Akademie der bildenden Künste. Der Literatur widmete er nur mehr gelegentliche Auszeiten. Von 1983 bis 1998 stand Achleitner der Lehrkanzel für "Geschichte und Theorie der Architektur" an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst vor.

Und so war aus Achleitner ein gleichsam bürgerlicher Vertreter der heimischen Hochmoderne geworden: das lächelnde Antlitz einer durchaus rigorosen Auffassung von der Welt, die nach den Gesichtspunkten von Logik und Nützlichkeit einzurichten sei.

Sein Lebenswerk in Sachen Architektur, die mehrbändige Dokumentation Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, vollendete der wortmächtige, architekturbesessene Publizist kurz nach seinem 80. Geburtstag. Fast ebenso beglückend die Früchte seines späten literarischen (Nicht-)Ehrgeizes: Achleitner schrieb einschlafgeschichten, oder er versammelte die köstlichsten Sprachbröckchen zu wortgesindel. Er fabulierte dahin, seine Geschichten beanspruchten oft kaum die Länge einer Seite – und glitten dennoch in vergnüglicher, rasender Fahrt in den Abgrund, der unseren Wachverstand unterminiert.

Jetzt ist der ehemalige STANDARD-Kolumnist Friedrich Achleitner kurz vor seinem 89. Geburtstag gestorben. (Ronald Pohl, 27.3.2019)