Gewebeproben geben etwa Aufschluss darüber, wie weit fortgeschritten eine Krebserkrankung ist. Pathologen untersuchten sie bisher unter dem Mikroskop.

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Das Programm von Aiforia vergrößert die Proben und stellt sie am Computer dar.

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Normalerweise läuft es so: Bei Verdacht auf Krebs wird dem Patienten eine Gewebeprobe entnommen, die ein Pathologe unter dem Mikroskop untersucht. Er sieht verschiedene Zellstrukturen, etwa ein gestörtes Zellwachstum. Farbe und Form der Zellen zeigen, welche Art von Krebs vorliegt und wie weit fortgeschritten er ist. Auch besondere Tumoreigenschaften können Pathologen erkennen.

"Dass es Krebs ist, steht schnell fest. Weniger eindeutig ist oft, wie schwer die Erkrankung ist", sagt Kaisa Helminen, CEO des finnischen Unternehmens Aiforia. Sie hat mit Kollegen ein Programm entwickelt, das Pathologen mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) beim Untersuchen von Gewebeproben unterstützt. Neben Krebserkrankungen gibt es mathematische Algorithmen für Parkinson, Lebererkrankungen und Malaria.

Muster erkennen

Unabhängig von der Erkrankung ist das Vorgehen immer gleich: Per Mikroskop-Scanner werden Gewebeproben digitalisiert und in ein mehrere Gigabyte großes Bild umgewandelt. Jetzt beginnt das Lernen. Denn die Software muss trainiert werden. Der Arzt markiert, welche Stellen der Probe gutartig und welche krankhaftes Gewebe sind. Das Programm lernt mit, um das Muster zu erkennen, mit dem sich markierte Flächen und Hintergrund optisch voneinander unterscheiden. Später soll es dies selbst erkennen können. Die Technologie ähnelt derjenigen selbstfahrender Autos oder automatischer Gesichtserkennung. Je mehr Trainingseinheiten, desto weniger Fehler macht das Programm.

Apropos Fehleranfälligkeit: "Was Pathologen unter dem Mikroskop sehen, ist sehr subjektiv. Wer unterschiedliche Ärzte an unterschiedlichen Tagen nach ihrer Einschätzung fragt, wird unterschiedliche Antworten erhalten", sagt Helminen. Renate Kain, Pathologin an der Med-Uni Wien, bestätigt das: "Diese sogenannte Interobserver-Varianz ist real." Programme wie das von Aiforia könnten sie verringern, so die Medizinerin. "Wir erhoffen uns hier eine gewisse Überlegenheit von Technologien. Dennoch: Erfahrene Befunder stimmen in der Auswertung meist überein."

Zusätzliche Sicherheit

Trotz allem: Menschen machen Fehler. "Das menschliche Auge übersieht schnell etwas, etwa sehr kleine Stellen von krankhaftem Gewebe. Das Programm erkennt sie", sagt Helminen. Es sei natürlich möglich, dass ein Mediziner einzelne Details übersieht, bemerkt auch Kain. Diagnosen basieren daher auf dem Vieraugenprinzip. "Dass zwei etwas übersehen, ist sehr unwahrscheinlich." Dennoch gibt die Pathologin zu: "Solche Programme könnten eine zusätzliche Sicherheit geben."

Genauigkeit ist auch ein Thema, wenn festgestellt werden soll, wie weit fortgeschritten der Krebs ist. Helminen erklärt: "Pathologen schätzen mit dem freien Auge ab, wie viele blaue und braune Punkte in der Probe zu sehen sind, also zu wie viel Prozent krankhaftes und gesundes Gewebe vorhanden sind. Darauf basierend wird eine Behandlung beschlossen." Kain merkt an, dass die Diagnose längst nicht so einfach ist: "Die Quantifizierung von Tumorzellen ist nur einer von vielen Parametern. Aus der Mustererkennung Rückschlüsse auf die Biologie der Erkrankung zu ziehen ist ein komplexer Vorgang." Denn unter dem Mikroskop ist ein buntes Bild zu sehen: tote und lebende Tumorzellen, totes Gewebe ohne Zellen und eventuell Zellen des Immunsystems sowie Zellen, die Narbengewebe aufbauen, erklärt Kain. Ein Tumorbefund ist die Summe einer Vielzahl von Informationen, dazu zählen Nachweise von speziellen Markern und genetische Informationen. "Nur auf ein Bild zu schauen oder es berechnen zu lassen und dann daraus zu schließen: Das sind 30 Prozent Tumorzellen, das greift zu kurz", so die Pathologin.

Schneller ans Ziel

Für Kain ist das überzeugendste Argument die Zeiteinsparung. Sie wünscht sich in vielen Bereichen der Pathologie eine vermehrte Automatisierung. "Oft kann ein Programm tausend Zellen in ein paar Sekunden auszählen, während ein Pathologe weit länger dafür braucht." Die Berechnung des von Aiforia entwickelten Programms liefert nach zehn Minuten Ergebnisse. Ein gewissenhafter Pathologe würde eine Stunde für die Analyse brauchen. Helminen: "Ärzte sollten ihre Zeit nicht mit Berechnungen verbringen müssen, sondern ihre Expertise für andere Dinge einsetzen."

Die Expertise ist im Übrigen auch noch gefragt, wenn KI Gewebeproben analysiert: "Der Pathologe fasst alle Teilinformationen zusammen und liefert damit die Grundlage für Therapieentscheidungen", sagt Kain. Und Helminen pflichtet ihr bei: "Unser Programm macht Pathologen nicht obsolet. Sie müssen das Ergebnis verifizieren und einschätzen, was es bedeutet." Der große Vorteil: Das geht mit technischer Hilfe in Zukunft schneller und genauer. (Bernadette Redl, 1.4.2019)