Wenn Teenager schlecht träumen, entsteht Musik wie jene von Billie Eilish. Und wenn Teenager heute plötzlich wieder ganze Alben hören, dann liegt es auch an ihr. Eben ist Eilishs Debüt erschienen.

Foto: Kenneth Cappello

Ganz nah klingt Billie Eilishs Stimme auf ihrem Debütalbum. So als würde sie einem ins Ohr flüstern. Gut könnte man sich Eilish in einem Horrorfilm herumspukend vorstellen. Mit ihrem leeren Blick unter den zerzausten Haaren, der doch einzunehmen vermag, wen er trifft. Stattdessen macht die 17-jährige Kalifornierin gerade als dunkle Königin des Nachwuchspop Furore. Dem Gruseln räumt sie in ihren Videos genug Platz ein; da sprudeln ihr schwarze Flüssigkeiten aus den Augen, die Nase blutet heftig, und eine paranormale Aktivität jagt die andere.

Paranormal ist auch Eilishs Erfolg: Kein anderes Album wurde bisher so oft auf Apple Music vorbestellt wie ihres. Ocean Eyes, der Song, mit dem die damals 14-Jährige 2016 plötzlich und buchstäblich auf der Bildfläche auftauchte, wurde bis heute 93 Millionen Mal auf Youtube angeklickt. Über 15 Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram.

Billie Eilish

Eilishs ungewöhnliche Erfolgsgeschichte soll sogar das eine oder andere hohe Plattenfirmen-Tier aus dem Dämmerschlaf geholt haben. Die Hoffnung, dass man jungen Menschen vielleicht wieder ganze Alben verkaufen könnte, funktioniert besser als jeder Wecker. Dementsprechend hoch war die Erwartungshaltung bei Fans und Kritikern. Und nun ist es da: When We All Fall Asleep, Where Do We Go?, ein in vieler Hinsicht eigenartiges Debüt.

Billie Eilish ist die Tochter zweier Schauspieler mit Hang zu antiautoritärer Erziehung. Sie begann früh, zusammen mit ihrem etwas älteren Bruder Finneas Texte zu schreiben und Lieder zu produzieren. Unterrichtet wurden beide zu Hause, Kontakt zu Gleichaltrigen stand also weniger auf der Tagesordnung. Das hört man.

Teen-Angst und Rebellion

Introspektiv und mit einer für ihr Alter unwahrscheinlichen Zärtlichkeit und Reife liefert Eilish einen sinnlichen Alternative-Pop-Entwurf zwischen Teenage-Angst und Rebellion. Zwar lässt sich die Musikerin schon zwischen der Düsternis eines frühen The Weeknd, der lebensmüden Laszivität einer Lana Del Rey oder den diversen Verschrobenheiten einer Grimes, Lorde oder eines Bon Iver einordnen, dennoch hat sie sich ihr eigenes Genre inklusive des dazu passenden Kults geschaffen.

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Das ist im aktuellen Popzirkus bemerkenswert, denn einen richtigen Hit, einen Ohrwurm sucht man in Eilishs Werk vergeblich. Nicht dass die Tracks nicht gut wären. When the Party's Over ist vielleicht sogar eine der besten Oden ans Verlassensein der letzten Jahre. Doch folgt man der Logik der aktuellen EDM- und Hip-Hop-schwangeren Charts, sollten Eilishs dunkle, zarte Fantasien eigentlich nur ein Nischenthema sein. Dass die Gedanken zu Sucht und Abhängigkeit (Xanny), der Flirt mit dem Tod (Bury A Friend) und die Freude daran, der schlechte Einfluss zu sein (Bad Guy), wahnsinnig starkes Identifikationspotenzial bei einer sehr jungen, riesigen Zielgruppe auslösen, überrascht dann doch.

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Gegenkultur trifft Markt

Natürlich ist es nichts Neues, dass es sich in der Pubertät besonders gut anti sein lässt, doch wollte das gelebte Leid früher immer im Sinne einer Gegenkultur verstanden werden, als Verweigerungshaltung gegenüber dem fröhlichen Mainstream. Eilishs Emo-Pop 2.0 hat nun aber genau diesen Mainstream erfolgreich unterwandert. Der Goth-Ausweis, das Nietenhalsband, hat problemlos neben hochpreisiger Hip-Hop-Streetwear in Zwangsjackenoptik Platz. Dieses Verknüpfen von auf den ersten Blick Unvereinbarem macht gerade Schule.

Pastiche-Projekte wie die Gruppen Brockhampton oder The 1975 fahren große Erfolge ein. Hier wächst eine internetgeschulte Musiker-Autoren-Generation heran, die neben ihrer eklektischen Musik schwer kategorisierbare, aber hochgradig verkaufsstarke Markenwelten mitkreiert – freiwillig und in Eigenregie.

Das ist – so wie Eilishs Debüt – spannend, aber auch irgendwie zum Fürchten. (Amira Ben Saoud, 2.4.2019)