Eine kolumbianische Familie aus dem indigenen Volk der Wayuu befindet sich auf dem Weg in eine scheinbar ausweglose Gewaltspirale.

Foto: Polyfilm

Ein ganzes Jahr lang wurde das schöne Mädchen Zaida weggesperrt. So ist das Sitte bei den Wayuu, einem indigenen Volk, das im Norden Kolumbiens lebt. Nun ist Zaida bereit für das Leben, und das heißt in erster Linie: für einen Brautwerber, der in der Lage ist, den beträchtlichen Forderungen der Familie von Zaida Genüge zu tun. Die Initiation der jungen Frau steht am Beginn des Films Birds of Passage von Cristina Gallego und Ciro Guerra. Das Ritual wirkt, als wäre es gar nicht für den Film in Szene gesetzt worden, sondern hätte tatsächlich so stattgefunden.

Polyfilm Verleih

Doch man soll sich nicht täuschen: Von einem ethnografischen Dokumentarfilm entfernt sich Birds of Passage danach immer weiter. Was wie eine teilnehmende Beobachtung beginnt, wird schließlich zu einem Drogengangsterepos mit beinahe surrealen Momenten. Die Pointe des Titels darf man dabei durchaus im Kopf behalten: Was Zaida erlebt, ist ein "Ritus der Passage", wie das in der Sprache der Anthropologen genannt wird, ein feierlich und nach festen Formen begangener Übergang von einem Lebensalter in ein anderes. In vergleichbarer Form wäre Birds of Passage dann eine Geschichte des Übergangs der Wayuu von einem Zeitalter in ein anderes. Der Mann, der Zaida heiratet, wird zum wichtigsten Betreiber dieses Übergangs.

Zwiespältige Figuren

Er heißt Rapayet. Von den meisten anderen Wayuu unterscheidet er sich dadurch, dass er im Jahr 1968, in dem die Geschichte einsetzt, schon wichtige Kontakte zur Außenwelt unterhält. Er wird dabei auf einen Markt aufmerksam, der damals erst in seinen Anfängen begriffen ist: In Amerika wuchs die Nachfrage nach Marihuana stark an, und Kolumbien hatte dafür die Ware. Rapayet wird der erste Drogenbaron seines Volks. Er muss dafür ein Auskommen mit den Bauern (einer verwandten Familie in den Bergen) suchen, und er muss eine Logistik mit Kleinflugzeugen entwickeln.

Bei alldem muss er auch noch seinen Kompagnon im Zaum halten, den exzessiven Moise. Mit einem Begriff von Marx könnte man die Geschichte von Birds of Passage als eine ursprüngliche Akkumulation begreifen: Aus einer natürlichen Lebensform wird eine komplexe und kapitalistische, wobei die beiden Filmemacher (Ciro Guerra wurde davor mit dem Dschungelfilm Der Schamane und die Schlange bekannt) kein naives Verständnis von Natur haben. Die Wayuu werden nicht idealisiert. Vor allem Ursula, die einflussreiche Mutter der Familie von Zaida, erweist sich als eminent zwiespältige Figur.

Maschinengewehre gegen Worte

Und der Film selbst vollzieht eine analoge Bewegung wie die Rapayets und Zaidas. Birds of Passage gewinnt mit jedem Kapitel (sie tragen Überschriften wie "Die Gräber" oder "Der Krieg") an Intensität und ästhetischem Pathos, bis man sich schließlich an klassische amerikanische Epen wie Martin Scorseses Casino erinnert fühlen könnte.

Die Wayuu tauchen im Weltkino also auf eine Weise auf, die selbst noch einmal die Übergangsprozesse nachvollziehbar macht, von denen sich die Familien im Film in eine ausweglos scheinende Gewaltspirale gezogen sehen. Am Ende hilft auch kein "Wortbotschafter" mehr – die wichtigste soziale Institution der Wayuu geht im Maschinengewehrfeuer unter. (Bert Rebhandl, 6.4.2019)