Auf der französischen Seite des Ärmelkanals werben Supermärkte mit billigen Angeboten.

Foto: APA/AFP/PHILIPPE HUGUEN

Frage: Wie teuer wäre ein No-Deal-Brexit?

Antwort: Der Brexit wird nicht günstig, so viel ist klar. Kostspielig wäre vor allem ein möglicher Dominoeffekt: "Zölle und Unsicherheit hinsichtlich anderer Handelshemmnisse würden die Kosten in die Höhe treiben, das wirkt sich negativ auf Investitionen aus", erklärt Robert Koopman, Chefökonom der Welthandelsorganisation (WTO), im Gespräch mit dem STANDARD. "Letztlich könnte auch der Konsum leiden, wenn sich Leute Sorgen um ihren nächsten Gehaltszettel machen." Die Auswirkungen blieben aber voraussichtlich regional beschränkt. "Außer der Brexit löst eine Rezession in Europa aus, das hätte einen größeren globalen Effekt."

Frage: Lässt sich das in Zahlen gießen?

Antwort: Der Internationale Währungsfonds (IWF) veröffentlichte am Dienstag ein Szenario, wonach die Wirtschaftsleistung Großbritanniens bis 2021 um 3,5 Prozent niedriger wäre als ohne Austritt. Immerhin 0,5 Prozentpunkte zieht der IWF in der EU ab. Die meisten Modellrechnungen erwarten Einbußen zwischen 1,2 Prozent und 4,5 Prozent. Für die EU sind die Kosten vergleichsweise vernachlässigbar, wie eine Auswertung von elf Studien des Peterson Institute for International Economics zeigt. Eine Kostenschätzung der Bertelsmann Stiftung beziffert den Wohlstandsverlust für Österreich mit 89 Euro pro Kopf.

Frage: Gibt es ein Win-win-Szenario?

Antwort: Einzelne Studien sind optimistisch. Etwa wenn sich Großbritannien nach dem EU-Ausstieg einseitig für alle Handelspartner komplett öffnen würde, quasi als Leuchtturm des Freihandels. Die dahinterliegenden Annahmen wurden von vielen Ökonomen jedoch als unrealistisch kritisiert. Einen Konsens gibt es in der Erwartung, dass ein Soft Brexit, etwa analog zum Arrangement mit Norwegen, ungefähr halb so schädlich wäre wie ein harter Ausstieg. Das ist beachtlich, zumal in Norwegen als Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) alle vier Freiheiten (Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr) gelten. Dass trotzdem Kosten für die Briten entstünden, liegt am erwarteten Rückgang ausländischer Investitionen, die auch auf Vertrauen basieren. Außerdem entstehen nach einer Abkapselung von der EU zahlreiche Handelshemmnisse, die nicht auf Zöllen basieren, sondern durch unterschiedliche Vorschriften entstehen.

Frage: Was bedeutet ein Ausstieg der Briten aus der Zollunion für den Warenverkehr?

Antwort: Die Handelsbeziehungen mit den übrigen EU-Ländern fallen auch nach einem harten Brexit nicht in ein schwarzes Loch ohne Regeln. Als Mitglieder der WTO unterliegen beide Seiten klaren Vorgaben. Was Zölle betrifft, gilt das Prinzip der "most-favoured nation". Das bedeutet, dass Staaten für alle Partner einheitliche Zölle haben müssen, es sei denn, sie senken sie in einem umfangreichen Abkommen gegenseitig, wie in einer Zollunion, oder in einem Vertrag wie Ceta (EU-Kanda). Ohne weitere Anpassungen hätten die Briten und die EU also die gleichen Zolltarife füreinander sowie für andere WTO-Mitglieder ohne Handelsabkommen (z. B. China). Die Briten bemühen sich derzeit um Nachfolgeabkommen. Abgesehen von der Schweiz haben noch keine großen Handelspartner solche Verträge unterzeichnet.

Bild nicht mehr verfügbar.

London will anscheinend sichergehen, dass wesentliche Bestandteile für den Afternoon Tea zollfrei blieben. Darunter Löffelchen und Marmelade sowie gemütliche Teppiche.
Foto: REUTERS / LUKE MACGREGOR

Frage: Welche Zollschranken entstehen konkret zwischen Großbritannien und der EU?

Antwort: Die gute Nachricht für Exporteure: Das Zollniveau der EU liegt für nichtlandwirtschaftliche Güter bei durchschnittlich rund vier Prozent. Für Agrarprodukte werden hingegen im Schnitt über zehn Prozent eingehoben, auf Molkereiprodukte sogar über 30 Prozent. Weil viele Waren auch allgemein zollfrei sind, bleiben 80 Prozent der britischen Importe ohne Einschränkung. London hat angekündigt, für den Fall eines harten Brexits temporär weiter Zölle zu senken. Wesentliche Ausnahmen sind Geflügel (60 Prozent) und andere Fleischerzeugnisse, Molkereiprodukte, aber auch Autos – nicht aber Autoteile.

Frage: Was heißt das für Österreichs Firmen?

Antwort: Das hängt sehr von der Einzelsituation ab. Die Landwirtschaft muss mit den höchsten Handelsbarrieren rechnen. Allerdings machen Nahrungsmittel, Getränke und Tiere nur fünf Prozent der Exporte nach Großbritannien aus. Das Vereinigte Königreich ist für die Lebensmittelindustrie der viertgrößte Absatzmarkt innerhalb der Europäischen Union. Getränke, Backwaren und Tierfutter sind die Top-drei-Exporte. Sollten die Briten tatsächlich einseitig einige Zölle senken, bliebe immerhin für die heimische Marillenmarmelade der Zugang offen. Für große Exporteure wie Red Bull ist das bereits abgeschlossene Abkommen der Briten mit der Schweiz von Vorteil. Der Energiegetränkehersteller hat bei den Eidgenossen einen großen Produktionsstandort. Hierzulande müssen sich Käsefans darauf einstellen, dass englischer Cheddar teurer wird. Auch Scotch wäre von Zöllen erfasst.

Frage: Wie ist die Stimmung bei kleineren Betrieben in Österreich?

Antwort: Kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sind einerseits pessimistisch, was einen ungeregelten Ausstieg betrifft. Andererseits sehen sie die Folgen gelassen, wie eine Umfrage der Wirtschaftsuniversität Wien ergab. Demnach würden nur 24 Prozent eine "präventive Strategie" für einen Hard Brexit entwickeln. (slp, 10.4.2019)