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Seit Präsident Donald Trump ein Redefragment via Twitter verbreitet hat, muss die US-Abgeordnete Ilhan Omar unter speziellem Polizeischutz leben.

Foto: Reuters / Jim Bourg

Wien – "Hier ist dein 'Etwas'", prangt es in großen Buchstaben auf dem Cover des Boulevardblatts "New York Post". Zu sehen ist auf der Titelseite des Rupert-Murdoch-Blattes der Feuerball jener Explosion, die am 11. September 2001 beim zweiten Einschlag eines Flugzeugs in den Südturm des World Trade Center entstand. "2.977 Tote durch Terrorismus" steht darunter.

"Wir werden niemals vergessen!", schreibt Donald Trump einen Tag später auf seinem Twitter-Feed. Das Foto und der Tweet: Beide, so scheint es, richten sich persönlich an Ilhan Omar, eine von derzeit zwei muslimischen Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus.

In einem Video, das in dem Tweet zu sehen ist, kommt Omar vor. In einem Ausschnitt aus einer Rede sagt die Demokratin, "einige Leute haben etwas getan". Danach sind für 30 Sekunden Szenen der 9/11-Terroranschläge zu sehen.

Trump hatte den Tweet das Wochenende über an die Spitze seiner Twitter-Timeline gepinnt. Via Retweet ist dort außerdem ein Beitrag zu finden, in dem Omar als "krankes Monster" bezeichnet wird, weil sie sich in einem Video einmal über die Art amüsiert hatte, in der Worte wie "Al Kaida" oder "Hisbollah" von einem ihrer Professoren ausgesprochen wurden. Wie könne es sein, wird dort gefragt, dass "eine solche Person durch die Gänge des Abgeordnetenhauses wandelt".

Omar muss sich seither einer Welle an Hassbotschaften erwehren. Im Verlauf des Wochenendes wurde bekannt, dass sie für sich selbst und ihre Familie Polizeischutz anfordern musste. Schon zuvor hatte Omar beklagt, dass sie mehrfach Todesdrohungen erhalten habe. Das habe zugenommen, teilte sie am Sonntag mit. "Seit dem Tweet des Präsidenten habe ich mehr direkte Drohungen gegen mein Leben erhalten. Viele davon nehmen direkt auf das Video Bezug", teilte sie mit.

Vorgeschmack auf den Wahlkampf

Prominente Demokraten eilen ihr nun zur Hilfe, darunter auch Präsidentschaftskandidatinnen und -kandidaten. Sie weisen darauf hin, dass der Präsident die Worte Omars bewusst aus dem Kontext einer wesentlich längeren Rede genommen habe. Unter jenen, die Omar verteidigen, sind etwa Elizabeth Warren, Bernie Sanders und die Senatorin Amy Klobuchar, die ebenfalls Präsidentin werden will.

Die vielleicht deutlichsten Worte hingegen hat Andrew Gillum gefunden, der im vergangenen November knapp als Gouverneurskandidat für Florida gescheitert ist. Er sieht in den Tweets des Präsidenten eine Vorbereitung auf den Wahlkampf 2020: "Ilhan ist für das Weiße Haus ein leichtes Ziel", sagte er auf CNN. "Aber es geht nicht nur um die Abgeordnete Omar, sondern um die Tatsache, dass sie so aussieht, wie sie aussieht, dass sie Muslimin ist." Seiner Ansicht nach handle es sich um "einen Vorgeschmack auf die Kampagne, die Trump plant: Amerikaner gegen Amerikaner auszuspielen".

Omar selbst hatte darauf schon Ende vergangener Woche verwiesen. Wäre sie nicht sie, so deutete sie an, hätten ihre Worte nicht für die gleiche Aufregung sorgen können. Sie zitierte etwa Ex-Präsident George W. Bush. Dieser hatte in einer Rede wenige Tage nach den Anschlägen gesagt, "die Leute, die dieses Gebäude zerstört haben, werden sehr bald von uns hören". Verharmlosung sei ihm dafür nicht vorgeworfen worden.

Ziel für Kampagne

Dass Republikaner in Omar, der einzigen Abgeordneten, die ein Kopftuch trägt, ein geeignetes Ziel für ihre Kampagne erkannt haben, ist schon länger klar. Immer wieder wurde die Abgeordnete, deren Eltern aus Somalia stammen, Ziel politischer Angriffe.

Ähnlich ist es auch ihrer Kollegin Rashida Tlaib ergangen, der zweiten muslimischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Zuletzt gab es in beiden Fällen auch Kritik von Demokraten zu Äußerungen beider Abgeordneter über Israel, die antisemitische Vorurteile bedienten. Es gibt aber darüber hinaus auch solche von Republikanern, die sich nicht vornehmlich mit den politischen Programmen Omars und Tlaibs auseinandersetzen, sondern sich im Wesentlichen darauf beschränken, deren bloße Anwesenheit im US-Kongress als Fehlentwicklung zu bezeichnen.

Ironischerweise hatte Omar in der insgesamt 20-minütigen Rede, deren zehnsekündiges Fragment ihr nun zum Vorwurf gemacht wird, auf genau dieses Klima hinweisen wollen. Sie hatte die Rede bereits am 23. März vor dem Rat für amerikanisch-islamische Beziehungen (CAIR) gehalten und darin auf Terrorangriffe von Muslimen, aber auch auf das gesellschaftliche Klima, das den Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch eine Woche zuvor ermöglicht habe, Bezug genommen.

"Viele von uns haben gewusst, dass es schlimmer wird"

Sie sei von dem Anschlag nicht überrascht gewesen, sagt sie. "Viele von uns haben gewusst, dass es schlimmer wird"; immerhin gebe es einen Präsidenten, der öffentlich "Hass gegen Muslime anheizt und (…) der die Folgen seiner Worte nicht versteht", so Omar. "Hier ist die Wahrheit: Wir haben viel zu lange mit dem Unwohlsein gelebt, Bürger zweiter Klasse zu sein, und ich bin dessen müde – jener Muslim sollte dessen müde sein. CAIR wurde nach 9/11 gegründet, weil man festgestellt hat, dass einige Leute etwas getan haben und dafür alle von uns ihren Zugang zu den Bürgerrechten verloren."

Omar verteidigte sich in ihrer Rede auch gegen Vorwürfe, sie gehe mit muslimischen Staaten zu streng ins Gericht, wenn sie etwa die Lage der Menschenrechte in Ägypten oder Saudi-Arabien kritisiere.

Dass die Worte des Präsidenten durchaus Folgen haben können, war zuletzt im Wahlkampf für die Midterm-Wahlen vergangenen November klar geworden. Damals war es zu einer Serie von Briefbombensendungen an prominente Trump-Gegner und Demokraten gekommen. Die Bomben konnten gefunden und entschärft werden. Ihr Absender, Caesar S., wurde kurz darauf gefunden. Er war ein Anhänger Trumps, der unter anderem seinen Kleinbus mit Plakaten gegen Demokraten und Postern zur Verehrung des Präsidenten verziert hatte. Eine Statistik des FBI zum Jahr 2017 – dem derzeit letzten, für das es Zahlen gibt – zeigt einen Anstieg rassistischer Hassverbrechen in den USA um 17 Prozent.

Sarah Sanders, die Sprecherin Präsident Trumps, sagte am Montag, der Staatschef wünsche "niemandem etwas Schlechtes – und schon gar nicht Gewalt". Omar verurteile er dennoch. Trump selbst jedenfalls machte am Montag weiter. Er bezeichnete Omar als "undankbar" sowie als antisemitisch und antiisraelisch. Zudem nannte er Omar "die Führerin" von Nancy Pelosi. Diese, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, hatte Omar zuvor gegen Trump verteidigt und den Polizeischutz angefordert. (Manuel Escher, 15.4.2019)