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Wenn Roboter uns die mühsamsten Arbeiten abnehmen, bleibt Zeit für sinnvollere Tätigkeiten.

Foto: AP / Steven Senne

Die Angst vor der Klimakatastrophe. Die Angst vor der totalen digitalen Kontrolle. Die Angst vor dem Rechtspopulismus und der Rückkehr des Faschismus. Von allen Zukunftsängsten der heutigen Zeit beschäftigt viele Menschen eine andere am meisten: die Angst, dass die Digitalisierung ihren Arbeitsplatz vernichten wird – und zur Massenarbeitslosigkeit führt.

Zwar ist es bekannt, dass der technologische Fortschritt schon mehrfach unzählige Jobs überflüssig gemacht hat, ohne dass der Gesellschaft die Arbeit ausgegangen ist. Doch diesmal, so heißt es, sei es anders: Künstliche Intelligenz werde den Menschen auch bei anspruchsvollen und hochbezahlten Tätigkeiten ersetzen. Nicht nur alle Taxler und Lkw-Lenker würden auf der Straße stehen, wenn Autos und Lastwagen erst einmal autonom fahren. Sobald Computer denken, lernen und selbst komplexeste Aufgaben erfüllen können, dann würde auch ein Großteil der heutigen Buchhalter, Anwälte, Ärzte, Lehrer und Journalisten arbeitslos sein.

Während bei den früheren technologischen und industriellen Revolutionen immer neue Arbeitswelten entstanden seien, rase die Welt diesmal in eine Sackgasse hinein. Alle Arbeit werde von Robotern und Computern erledigt, und bis auf eine kleine Elite von Managern und Künstlern werde der Großteil unserer Gesellschaft verarmen. Schon vor 200 Jahren gab es die Maschinenstürmer, die Ludditen, die aus Sorge um ihre Arbeitsplätze den technologischen Fortschritt stoppen wollten. Heute erst, so eine weitverbreitete Meinung, seien sie im Recht.

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Was ist der Zweck der Wirtschaft?

Hinter diesem Szenario steht allerdings ein grundlegender Denkfehler, der die meisten ökonomischen Debatten bestimmt: die Vorstellung, dass der Hauptzweck der Wirtschaft die Schaffung und Bewahrung von Arbeitsplätzen sei. Politiker, Konzernchefs und selbst Ökonomen behaupten das ständig. Doch sie irren sich: Das tatsächliche Ziel der Wirtschaft ist die Vernichtung von Arbeitsplätzen. Denn nur das bringt Wachstum und Wohlstand.

Wirtschaftlicher Fortschritt bedeutet nämlich, dass eine Ware oder eine Dienstleistung mit weniger Arbeitseinsatz her- oder bereitgestellt werden kann. Dann kann der Einzelne mehr schaffen, dann wachsen das Bruttoinlandsprodukt und das Prokopfeinkommen. Wobei "mehr" heute nicht unbedingt mehr Blech und Plastik bedeutet, sondern höhere Qualität und bessere Funktionalität.

Das nennt man Produktivität, und je höher diese in einer Gesellschaft ist, desto reicher wird sie. Der riesige Unterschied zwischen Österreich und dem Tschad bei Einkommen und Lebensbedingungen ergibt sich in erster Linie aus dem effizienten Einsatz von Maschinen und anderen Technologien – und dazu gehört auch die Qualifikation der Beschäftigten – in Europa und der völlige Mangel daran in Afrika.

Vom Feld in die Fabrik ins Büro

Dieser Fortschritt begann mit der industriellen Revolution. Musste früher der Großteil der Menschen auf den Feldern arbeiten, um die Bevölkerung zu ernähren, braucht man heute nur noch wenige Landwirte, die viel mehr produzieren. Die Bauern wanderten in die Fabriken ab, und als diese zunehmend automatisiert wurden, in den rasant wachsenden Dienstleistungssektor. Gleichzeitig wurden die Arbeitstage kürzer, die Wochenenden und die Urlaube länger. Die Folge ist eine Gesellschaft, in der weniger gearbeitet und mehr konsumiert wird denn je – vor allem ständig neue Dienstleistungen.

Die digitale Revolution wird nun viele dieser Servicejobs überflüssig machen. Doch die Logik bleibt die gleiche: Verschwinden werden vor allem Arbeitsplätze, die langweilig und mühsam sind. Die Kurzmeldung auf der STANDARD-Webseite über die jüngsten Wirtschaftszahlen wird bald ein Computer verfassen können, diesen Text hingegen nicht. Journalisten können sich auf das Wesentliche und Schöne in ihrer Arbeit konzentrieren, genauso wie Anwälte und Mediziner.

Wenn Computer Schularbeiten korrigieren und benoten, dann werden die Lehrer von der größten Plage ihres Berufsalltags befreit. Sie haben mehr Zeit für Unterricht, was wiederum die Qualität der Bildung hebt. Und wenn Millionen von Studierenden über Video und Laptop der gleichen Vorlesung aus Harvard, Oxford oder Wien folgen, dann können die Lehrenden an den einzelnen Universitäten Diskussionen leiten und Forschung betreiben.

Diagnose vom Computer, Zuwendung vom Arzt

Das BIP wird dadurch nicht sinken, sondern weiter steigen, die Qualität der Waren und Leistungen auch. Wenn in einer Ordination ein Algorithmus die Diagnose erstellt und die richtige Therapie empfiehlt, wird es weniger Fehler geben als bisher. Der Arzt hat dann Zeit für Ansprache und Zuwendung – das, was den Patienten heute am meisten fehlt.

Und auch wenn in vielen Sparten viel weniger Mitarbeiter benötigt werden, werden wieder neue Jobs die alten ersetzen. Denken wir an die vielen Altenpfleger, die unsere alternde Gesellschaft brauchen wird, wobei auch hier Roboter die anstrengendsten Tätigkeiten übernehmen werden. Wir brauchen auch mehr Sozialarbeiter, Psychotherapeuten und andere Lebenshelfer. Nicht weil die Gesellschaft neurotischer wird, sondern weil psychologische Ansprache und Unterstützung für jeden Einzelnen von Nutzen ist und kein Luxus für die Wenigen sein soll. Auf allen Qualifikationsebenen wird es weiterhin Dinge geben, die Menschen besser machen als Maschinen.

Aber je mehr die Maschinen übernehmen, desto mehr Freizeit haben die Menschen. Für diese Freizeit braucht es wieder neue Angebote, die der Markt bereitstellen wird: Das können mehr Schauspieler, mehr Tennistrainer oder und Skilehrer sein, mehr Fremdenführer oder mehr Köche, die in hochtechnisierten Küchen nur noch den kreativen Teil der Zubereitung erledigen. Die Arbeit kann gar nicht ausgehen, sie kann sich nur verändern – und dies fast immer zum Guten.

Die Politik ist gefordert

Die einzige Gefahr, die aus diesem Fortschritt erwächst, ist eine Schieflage bei der Verteilung von Arbeit und Einkommen: Die einen arbeiten viel und verdienen noch mehr, die anderen gehen leer aus. Doch dies ist ein politisches Problem, kein wirtschaftliches. Es gibt dafür auch zahlreiche schon bewährte Lösungen.

Eine allgemeine vorgeschriebene Arbeitszeitverkürzung bringt nach den Erfahrungen, die etwa in Frankreich mit der 35-Stunden-Woche gemacht wurden, nicht viel. Aber durch zunehmende Teilzeitangebote und die Flexibilisierung von Arbeitszeiten sinkt insgesamt der Arbeitseinsatz und wächst die Freizeit. Nur eine höhere Produktivität kann dabei für den so oft gewünschten vollen Lohnausgleich sorgen. Ob es dazu tatsächlich kommt, hängt wieder von den politischen Entscheidungen ab. Die können schiefgehen, wie heute in den USA. Aber daran ist nicht die Digitalisierung schuld.

Die Tücken des Grundeinkommens

Eine mögliche Antwort ist das bedingungslose Grundeinkommen, wobei es bis heute nicht klar ist, wie es in der Praxis finanziert werden soll – und wie man verhindern kann, dass eine Minderheit in ein lebenslanges, höchst frustrierendes Nichtstun rutscht, wenn es keinerlei materiellen Arbeitsanreiz gibt.

Aber eines ist klar: Leistbar wird ein solches Modell erst, wenn Maschinen und Algorithmen tatsächlich den Großteil der notwendigen produktiven Arbeit übernommen haben. Nur dann haben die Menschen die Möglichkeit, sich freiwillig all jenen Tätigkeiten zu widmen, die sie nicht für ihren Lebensunterhalt benötigen.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist kein Problem. Sie ist die Lösung. (Eric Frey, 16.4.2019)