"Mussolini lebt – in der Erinnerung seiner Landsleute, in Buchhandlungen und nicht zuletzt in zahlreichen italienischen Souvenirläden, die viel Geld mit ihm verdienen." Mit diesem Satz leitete Hans Woller, der deutsche Italienhistoriker, seine ausgezeichnete Biografie, "Mussolini – Der erste Faschist" ein. Mussolini lebt aber auch in der italienischen Politik – direkt und indirekt.

Für die direkte Verbindung stehen symbolträchtig zwei Familienmitglieder, die bei der EU-Wahl Ende Mai antreten: der Urenkel des Diktators, Caio Giulio Cesare Mussolini, auf der Liste der 2012 gegründeten nationalistischen und EU-kritischen Rechtspartei Brüder Italiens, und Alessandra Mussolini, die Enkelin und EU-Parlamentarierin der von Ex-Premier Silvio Berlusconi geführten Forza Italia, eine lautstarke Vertreterin des Vermächtnisses ihres Großvaters.

Die mehr als zwei Jahrzehnte der Herrschaft des engsten Verbündeten Hitlers warfen jedoch auch stets ihren Schatten auf die italienische Politik. Wollers bahnbrechende Biografie und die Studie des italienischen Kulturhistorikers Amedeo Osti Guerrazzis über "Das System Mussolini" (Vierteljahrhefte für Zeitgeschichte, 2/2018) haben das verschönte Bild Mussolinis und seiner Schreckensbilanz zerstört. Dafür waren die Memoiren der sich als Zeitzeugen gerierenden faschistischen Würdenträger und die ihre Erfindungen kritiklos verwertenden Nachkriegshistoriker verantwortlich. Mussolinis brutale Kriegsführung in Abessinien und Südosteuropa, sein Rassismus, sein Antisemitismus waren jedoch nicht weniger ausgeprägt als Hitlers Nationalsozialismus.

Aufarbeitung des Faschismus

Die auf Konsens und Terror gestützte Herrschaft des "ersten Faschisten" war fast bis zum Ende populär gewesen. 1942 waren rund zwei Drittel aller Italiener in der faschistischen Partei und ihren Ablegern organisiert. Die Aufarbeitung des Faschismus und der Mitschuld der Italiener am Zweiten Weltkrieg wurde durch die "Verschleierungskünstler" in der Publizistik und der Geschichtsschreibung viel zu lange vereitelt. Kein Wunder, dass sich der viermalige Ex-Premier Berlusconi erlauben konnte, am Holocaust-Gedenktag 2013 zu behaupten, dass Mussolini viele Dinge gut gemacht und niemanden ermordet habe.

Sein Parteifreund und gegenwärtiger Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, hat heuer sogar zweimal mit lobenden Worten über die faschistische Diktatur für internationale Empörung gesorgt. Zuerst ließ er bei einer Gedenkfeier in der Nähe der slowenischen Grenze "das italienische Istrien und das italienische Dalmatien" hochleben. Vier Wochen später pries er die "vielen Leistungen des Faschismus". Auch der mit Abstand populärste Politiker Italiens, der Lega-Führer und Innenminister Matteo Salvini, blies mehrmals mit Anspielungen auf die Mussolini-Ära ins gleiche Horn.

Der nationalistische Populist Salvini trommelt für "Italien zuerst" und will zugleich mit den Rechten aller Länder eine "Internationale der Nationalisten", eine EU-Fraktion gegen Migration und für Russland, gründen. Für jeden dritten Italiener verkörpert der 46-jährige Berufspolitiker bereits den "starken Mann" – im Schatten Mussolinis. (Paul Lendvai, 15.4.2019)