Rom vor Paris: ORF-3-Themenabend über "Geheimisse der Kirche" am Abend des Brands von Notre-Dame – etwa über "Rätsel um Maria" mit Michelangelos Pietà im Petersdom (Bild).

Foto: ORF/ZDF

Notre-Dame brennt. CNN betet für die Feuerwehrleute und schaltet zur Italien-Korrespondentin, weil der Vatikan ungläubig und traurig zur brennenden Kathedrale nach Paris blickt. Oe24 zeigt das betende CNN, ORF.at auch.

Und das ORF-Fernsehen? Sendet zwischen der "Zeit im Bild" und ihrem Aufmacher über Notre-Dame und der "ZiB 20" in ORF 1, Sondersendungen mit Liveschaltungen in ORF 2 und verlängerter "ZiB 2" wie geplant "Vorstadtweiber" und "Millionenshow".

Hallo ORF! Hallo Schau-TV!

"Hallo ORF! Jemand zu Hause? Notre-Dame brennt!", twittert ein "Kurier"-Redakteur außerhalb seines satirischen Schaffens. Schau-TV, der aus der "Kurier"-Redaktion bespielte Fernsehsender des "Kurier", zeigt die Romy-Gala des "Kurier", im ORF am Samstagabend.

Ein ehemaliger "Kurier"-Herausgeber verweist während der ersten ORF-Sondersendung auf BBC und CNN und malt allen öffentlich-rechtlichen deutschsprachigen Sendern wegen ihres "Normalprogramms" das Aschenkreuz auf die Stirn: "Schenkt euch langsam euren Anspruch auf kulturelle und informative Unverzichtbarkeit."

Grußadresse an Wolf

Diese Botschaft mit dem digitalen Aschenkreuz twitterte der Kommunikationschef des österreichischen Bundeskanzlers weiter, adressiert an Armin Wolf (der hat sich bei der Romy-Gala, die der "Kurier"-Sender gerade zeigt, am Samstag beschwert, dass kritische Dokus im ORF lange auf Sendeplätze warten müssen und Satire zensuriert wird, und an die Regierung appelliert, dem mehr Unabhängigkeit und nicht weniger einzuräumen.)

Der Kanzlerkommunikationschef dürfte wissen, wer wenige Monate nach Regierungsantritt Chefredakteur von ORF 1 und ORF 2 wurde (Wolfgang Geier und Matthias Schrom). Fritz Dittlbacher, bis dahin fast ein Jahrzehnt TV-Chefredakteur, musste gehen, Armin Wolf blieb Stellvertreter (er war bis Montagabend in Hamburg auf Dienstreise, erklärte er auf Twitter). Oberster Infochef des ORF ist seit Mai 2017 ORF-General Alexander Wrabetz.

Verschwörungstheorien

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, kritisiert ARD und ZDF heftig; sie hätten "die kulturelle und europäische Dimensionen dieser Katastrophe nicht begriffen". Laschet: "Russia Today und Al Jazeera berichten, rechte Hetzer verbreiten erste Verschwörungstheorien, und der öffentlich-rechtlich Rundfunk schläft." Auf Social Media kursieren, befeuert von laut Medienberichten kremlnahen Accounts und Seiten sowie rechten Gruppen, Vermutungen und Behauptungen über einen Anschlag.

Nichts Genaues

Christophe Kohl, Korrespondent des ORF in Paris, fasste in der Sonder-"ZiB" nach der "Millionenshow" bei Martin Thür zusammen, was sich über die Bilder von der brennenden Kathedrale, vom einstürzenden Spitzturm und Dachstuhl und über die schwierigen Löscharbeiten und die wahrscheinlichste Ursache – Sanierungs- und Reparaturarbeiten – hinaus zur aktuellen Lage sagen ließ: "Man weiß noch nichts Genaues." Die Agenturen berichteten gerade von der Unklarheit, ob die Zwillingstürme und die Kathedrale selbst zu retten sind.

Die schnelle Kulturanthropologin

Der "Kulturmontag" auf ORF 2 reagierte rasch auf den "Super-GAU" der Kulturgeschichte (Clarissa Stadler) mit einem merklich eilig erstellten Kurzbeitrag und einem ausführlicheren Studiogespräch mit Elisabeth von Samsonow, Professorin für philosophische und historische Anthropologie der Kunst, über das "Menetekel der Franzosen" und beinahe eine "innere Erosion des Christentums".

Die gute Nachricht zum Super-GAU geht sich rechtzeitig aus: Die Gesamtstruktur von Notre-Dame ist noch zu retten. Weiter zu Giorgio Moroder und den eigentlich geplanten Themen – Biedermeier und Brandstifter.

Themenmontag "Geheimnisse der Kirche"

Auf ORF 3 springt spätabends und ebenfalls aktuell der Dombaumeister zu St. Stephan, Wolfgang Zehetner, ein. Er kann zwar auch noch nichts Genaues sagen, liefert aber einige Möglichkeiten, wie auch die steinernen Grundstrukturen von gotischen Kathedralen zu erschüttern wären. Und gleich schaltet auch ORF 3 zu CNN. Dort erklärt gerade der Präsident der internationalen Vereinigung der Feuerwehrhauptleute, Dan Eggleston, dass brennende Kathedralen und ihre Standfestigkeit eine sehr komplexe Sache sind.

Stimmt: Der ORF hat ja seit 2010 einen eigenen Kanal für "Information und Kultur". Der hatte am Montag ab 20.15 Uhr einen entfernt passenden "Themenmontag" über "Geheimnisse der Kirche" mit Dokus über "Rätsel um Maria" und "Jesus' verschwundene Frauen" zur Karwoche.

Und irgendwann (aber nicht gleich, sagte Wrabetz zuletzt) könnte auch die geplante (Streaming-)Plattform "ORF-Player" einen Info-Teil bekommen, der die gewaltigen verfügbaren Mengen an Live- und anderem Agenturmaterial dem interessierten ORF-Publikum anbietet – und damit weder "Vorstadtweiber" noch "Millionenshow" noch "War Jesus verheiratet?" stört. (Harald Fidler, 16.4.2019)