Poetry-Slammer Elias Hirschl und Musiker Jimmy Brainless sind seit 16. April in Asien auf Tour, sie besuchen mit ihrem musikalisch-literarischen Programm meist deutschsprachige Institute und berichten in diesem Reiseblog auf recht subjektive Art und Weise von ihren Eindrücken in China, Südkorea und Taiwan. Man darf sich vor den Kopf gestoßen fühlen.

Gleich an unserem ersten Tag in Peking stehen mir und Elias drei Termine bevor: ein Workshop an der Peking University, ein Auftritt bei der Deutschen Botschaftsschule Peking und ein Radiointerview mit Radio China International.

Noch vom Jetlag und von Orientierungslosigkeit beeinträchtigt, fahren wir mit der U-Bahn zur Peking University, die von Chinesen gerne als das chinesische Harvard bezeichnet wird. Die Lehrenden holen uns vom Eingangstor ab, um uns durch das riesige Areal der Universität zur richtigen Klasse zu führen.

Am Weg zum One-Hit-Wonder

Ein Liedertext soll entstehen. Wir wollen herausfinden, was die Schülerinnen und Schüler beschäftigt, haben etwas Angst, dass ähnlich wie auf der letzten Tour in Manila nur hochdepressive Themen brisant sind, merken aber schnell: Diesmal haben wir es mit der Elite zu tun. "Grammatik", "Rechtschreibung" und "Vokabeln" sind Gegenstände, mit denen sie sich intensiv auseinandersetzen und die sie offensichtlich auch gerne in einem Liedertext verarbeiten wollen. Nach einigem Nachfragen, was sie abseits von ihrem Germanistikstudium interessiert, kommen endlich auch eher zwischenmenschlich relevantere Stichwörter zu Vorschein: Essen und Liebe. Nach nur zwei Stunden ist das Lied geschrieben, der großartige Refrain lautet wie folgt:

Wenn ich jeden Tag den Boden kehre
Denk ich immer an meine Probleme:
Warum liegen hier so viele Haare?
Weil ich so viele Sorgen trage …
Schweres Lernen, schlechtes Essen
Und die unerreichbaren Mädchen / Jungen
Alles hat mich verrückt angetrieben
Aber so ist das Leben eben…

Catchy, oder? Man hört es schon beinahe im Radio. Ein besonders schöner Moment ist, als wir das Lied dann gemeinsam mit der Klasse singen. Die Lehrerin bittet mich anschließend, das Lied nochmal alleine zu singen, damit sie eine Aufnahme machen können. Die Klasse soll das Lied nämlich nochmal selbstständig aufnehmen und als Hausaufgabe ein Musikvideo dazu drehen.

So wie ich es singe, genau so und nicht anders, werden es die Schülerinnen und Schüler dann auch singen, sagt sie. Ohne einen Ton zu variieren, ohne einen Vokal länger zu ziehen, ohne auch nur eine Betonung anders zu setzen, genau so, wie ich es jetzt über die Lippen bringe, wird sich die Melodie in die Köpfe der Schülerinnen und Schüler brennen und für immer und ewig so abrufbar bleiben. Ich überlege absichtlich Töne falsch zu singen, entscheide mich dagegen, tue es trotzdem, weil ich ein bisschen aufgeregt bin. Ich bin gespannt auf das Musikvideo …

Gruppenfoto mit der Klasse, Peking University.
Foto: Jimmy Brainless

Pekings Pollenpanik

Die zwei Lehrerinnen der Klasse laden uns noch zum Essen in der Mensa ein. Erzählen uns: China hat eine Großinitiative gegen die Luftverschmutzung gestartet und Soldaten mit Setzlingen bewaffnet, damit sie Bäume pflanzen. Allerdings hat man sich aus optischen Gründen nur für weibliche Bäume entschieden, da ihre Blüten die Stadtbewohner erfreuen und das Gesamtbild der Stadt aufwerten sollten. Ärgerlicherweise haben diese Bäume aber so einen starken und dichten Pollenabwurf, dass es im Frühjahr oft so wirkt, als ob es schneien würde. Es sei an bestimmten Tagen tatsächlich so drastisch geworden, dass sogar der Verkehr durch die meterhohen Ansammlungen von Pollen am Boden nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer Großstadt gemäß zu funktionieren.

Tausende Karosserien mit Insassen, die im Blütenstaub festsaßen, mussten mit Helikoptern geborgen werden, die U-Bahn musste ihren Betrieb unterbrechen, da mehrere Tonnen Pollen die Tunnel verstopften, die Fortbewegung durch die Stadt war einzig durch den Flugverkehr möglich. Die Regierung musste sehr schnell einsehen, dass sie durch die Helikoptereinsatzlinien, die sie ersatzweise für Busse und U-Bahnen eingerichtet hatten, einen weitaus größeren CO2-Ausstoß hatten als vor der Bepflanzung, und beschloss, den Bäumen, größtenteils Pappeln, ein Hormon zu injizieren, das die Bildung der Blüte verhindern soll. Na bumm.

Zicken und knien

Wir fahren weiter zu Botschaftsschule, treffen dort auf bekannte und liebe Gesichter und auf eines, das sich unangenehm aufspielt. Wir sind vielleicht vom letzten Mal noch verwöhnt gewesen, damals sind wir in die Aula gekommen, und alles Equipment – von Mikroständern über Mikros bis hin zu Monitorboxen et cetera –, was wir benötigten, stand schon bereit. Diesmal ist da nur ein Mann, der uns das Gefühl gibt, wir hätten uns ihm aufgedrängt, in "seiner" Schule auftreten zu wollen.

Als wir ihn fragen, ob er eine DI-Box für die Gitarre hätte, meint er, er könnte auch ein Schifferklavier haben, hat er aber nicht. Wir können aber einen Gitarrenverstärker haben. Wir meinen, das könnte in so einem großen Raum etwas blöd werden wegen dem Monitoring, es wäre schon ganz gut, wenn man sich nicht nur punktuell hört. Er meint, die Aula hat kahle Wände, die reflektieren alles. Wir meinen, es wirkt schon komisch, wenn die Gitarre nur aus einer Ecke rauskommt, während alles andere über die Anlage gestreut wird. Er meint, dass …

Wir zicken uns noch eine Weile an. Dann fallen wir auf unsere Knie und flehen ihn an, oh allmächtiger Guru der Technik und der Botschaftsschule und überhaupt der Meister der Republik, dass er uns doch bitte helfen soll, dass dieser Auftritt, ja, dieser Auftritt, den wir uns selbst aufgehalst haben und für den wir eine weite Reise auf uns genommen, unser ganzes Erspartes aufs Spiel gesetzt haben, damit ein paar Kinder, die eigentlich lieber schon Osterferien hätten, noch ein paar Poetry-Slam-Texte und Lieder aus Wien hören können, zustande kommt. Bitte, bitte, bitte. Wir können nicht ohne dich. Endlich zeigt er sich gütig und holt sein Schifferklavier. Wir lachen ihn aus: Das brauchen wir gar nicht.

Elias Hirschl, Auftritt in der Deutschen Botschaftsschule Peking.
Foto: Jimmy Brainless

Bitte nicht an die Gema verpfeifen!

Der Auftritt an sich ist aber ziemlich cool, Elias und ich probieren einige neue Texte und Lieder am Flügel aus, haben unseren Spaß und manche im Publikum vermutlich auch. Danach werden wir von einem netten Herrn von Radio China International interviewt. Unser lieber Tontechniker, der nicht unser Tontechniker ist, verbietet uns das Interview in der Aula, weil die Schule sonst Probleme mit der Gema bekommt. Mit Problemen meint er, dass sie dann Tantiemen bezahlen müssten für die Stücke, die wir gespielt haben.

Gut, wir werden der Gema einfach sagen, dass wir eine Stunde lang in ihrer Aula rumgesessen sind und uns gegenseitig die Nasenhaare gestutzt haben, zum großen Interesse des Publikums. Allerdings, die Schreie, die uns dabei aus den Mündern entflohen sind, könnten eventuell als Sample von Pinks Lied "Missundaztood" (so etwa ab Minute 3:03) verstanden werden. Hoffentlich, hoffentlich gibt niemand der Gema einen Hinweis.

Hass beiseite, es ist eine große Freude, bei der Botschaftsschule gewesen zu sein, und nur weil eine Person einen blöden Tag hatte, sollte man sich nichts vermiesen lassen – alle anderen Menschen dort sind wirklich wahnsinnig entzückend und zuvorkommend!

Peking am Abend.
Foto: Jimmy Brainless

Seltsames Peking

Abends sind wir beim Konzert der Wiener Band Hotel Balkan in der Lama Temple Bar. Das Publikum geht arg ab, auf einmal ist da ein Mann, angezogen wie ein Polizist, tanzt, wechselt die Kleidung, ist kein Polizist mehr, sondern jemand mit einer sehr schlabbrigen Schlabberhose und nicht weiters auffällig. Dazu gesellt sich ein anderer Mann mit Pikachumütze und nacktem Oberkörper, der im Laufe des Abends auf einer Sitzbank einschläft und für fast alle Besucherinnen und Besucher des Lokals ein unumgängliches Motiv für ihre Schnappschüsse wird. Zumindest malt ihm niemand einen Penis auf die Stirn.

Irgendwann landen wir dann auch wieder in unserer Unterkunft. Irgendwann fallen wir dann auch wieder in unsere Betten. Irgendwann schlafen wir dann auch unseren Jetlag mal aus und werden uns an die Zeitverschiebung gewöhnen. (Jimmy Brainless, 19.4.2019)