Daniela Brieden-Zampa ist Schulsozialarbeiterin in Wien.

Foto: Heribert Corn

Es gibt ja dieses Sprichwort "Kleine Kinder, kleine Sorgen; große Kinder, große Sorgen." Wer bei Daniela Brieden-Zampa sitzt, gewinnt schnell den Eindruck, dass das nicht stimmt. Denn die "kleinen", die jungen, oft sehr jungen Kinder, die bei ihr sitzen, haben in vielen Fällen große, richtig große Sorgenrucksäcke, die sie mit sich herumschleppen. Die sie so belasten, dass sie nicht nur in der Schule ins Straucheln kommen, sondern vor allem rundherum im Leben und überhaupt.

Daniela Brieden-Zampa ist Schulsozialarbeiterin und damit eine Vertreterin jener Profession, nach der in fast jeder schulpolitischen Diskussion gerufen wird. Wenn es irgendwo im System hakt, dann kommt verlässlich die Forderung nach mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern als dringend notwendigem "Support", um die Lehrerinnen und Lehrer für ihre eigentliche Kernaufgabe, den Unterricht, freizuspielen und den Kindern, die Unterstützung brauchen, professionell zu helfen. Bloß: Sie sind recht rare Exemplare (siehe Wissen unten).

Bittere Geschichten

Brieden-Zampa ist seit 2011 für drei Schulstandorte zuständig, hauptsächlich aber an der Dr.-Bruno-Kreisky-NMS in der Svetelskystraße im elften Bezirk im Einsatz. Sie könnte auch überall sonst arbeiten. Sie steht in diesem Text exemplarisch für diese Berufsgruppe. Die erwähnten Geschichten stammen denn auch aus unterschiedlichen Bundesländern und Schulen. Sie beschreiben beispielhaft die Problemlagen, mit denen Kinder und Jugendliche konfrontiert sind. Es sind Szenen, die auf dem Sessel hinter dem großen runden Tisch in dem hellen Raum, in dem Daniela Brieden-Zampa ihre junge Kundschaft empfängt, geschildert werden. Manchmal hilft angesichts der bitteren Erzählungen der Kinder ein Griff in die Schale mit Süßigkeiten.

Es gibt Kinder, die klopfen von sich aus an Brieden-Zampas Tür, weil sie etwas auf dem Herzen haben. Der zehnjährige Bub etwa, der sich beklagt, "dass die Mama so streng ist". Die Eltern sind seit einiger Zeit getrennt, er darf, wenn die vereinbarte Papa-Zeit ist, seine Spielsachen nicht mitnehmen. Das fällt in die Kategorie "kleine Sorgen". Sie wird sich den Buben noch einmal holen und danach mit den Eltern reden. Als Sozialarbeiterin darf sie allerdings nur mit jenem Elternteil sprechen, der die Obsorge hat, während das Jugendamt, wo die gebürtige Deutsche früher gearbeitet hat, "mit dem gesamten System arbeiten darf", also Eltern, Großeltern und sonstiges soziales Nahfeld des Kindes einbeziehen.

Ein anderes, eher unter "klein" zu verbuchendes Problem, war ein Mädchen aus der ersten Klasse: "Die wollte unbedingt zu mir kommen und hat mir dann irgendwas erzählt", schildert die 46-Jährige, "ein sehr extrovertiertes Mädchen, das die Aufmerksamkeit genossen hat." Einige Kinder sprechen sie vertraut als "Daniela" an und duzen sie, andere bleiben beim "Sie" für die Sozialarbeiterin: "Beides ist okay."

Fliegende Krisenfeuerwehr an mehreren Schulen

Vertrautheit braucht Zeit und Stetigkeit. Das ist schwierig, wenn man, wie Brieden-Zampa für drei Schulen zuständig ist, quasi die fliegende Krisenfeuerwehr: "Es dauert bis zu eineinhalb Jahren, ehe man wirklich als Schulangehörige akzeptiert wird und nicht nur als außenstehende Kurzzeitbesucherin wahrgenommen wird", erzählt sie: "Es bräuchte in jeder Schule eine Schulsozialarbeiterin oder einen Schulsozialarbeiter, die oder der nicht nur auf Abruf präsent ist. Denn: Krisen kann man nicht planen."

Und die Krisen der Kinder haben es oft in sich: Alkohol, Mobbing unter Schülerinnen und Schülern, (zu) frühe sexuelle Erfahrungen. Themen, die Brieden-Zampa in Workshops in der Schule mit den Kids bearbeitet. Oder sie geht mit Betroffenen zum Beispiel direkt in die "First Love Ambulanz". Drogenkonsum unter 13-/14-Jährigen ist "ziemlich oft" ein Thema, "Rauchen fast nicht mehr erwähnenswert", weil fast selbstverständlich, erzählt sie. "Facebook ist out, Instagram in", eindeutige Avancen an Zehnjährige inklusive. Diese Kinder bekommen von der zweifachen Mutter schon mal zu hören: "Du hast auf Instagram noch nichts zu suchen." "Chatroulette" musste sie selbst erst googeln, als ihr Schülerinnen erzählten, dass sie sich dort "vor älteren Typen vor der Livekamera ausziehen sollten".

Rettende Inseln

Für manche Kinder wäre eine kleine Förderklasse – zwei Lehrer für sechs Kinder – die rettende Insel im Schulalltag. "Es gibt in unserem Schulsystem viel zu wenig für das Individuum", kritisiert Brieden-Zampa.

Kandidatinnen und Kandidaten, die früher oder später bei ihr landen, weil die Klassenlehrerin sie hinschickt, sind auch Kinder, "die von klein auf auf sich selbst gestellt sind", erzählt die Vertrauensfrau für kindliche Krisen: "Sie haben viel Freiheit, zu viel Freiheit und sind damit alleine." Und überfordert – wie ihre Eltern, darunter viele alleinerziehende Mütter: "Die tun alles, um einen vernünftigen Standard für ihr Leben mit den Kindern zu haben, gehen arbeiten, sind überlastet und haben keine Zeit für ihre Kinder." Ein Gegenmodell dazu sind jene Eltern, die keine Zeit haben, wohl aber Geld – oft mit dem Ergebnis "wohlstandsverwahrloster" Kinder. Oder sie haben Zeit und Geld und betüddeln, überwachen und überbehüten ihre Kinder engmaschigst. Auch da sind kindliche Ausbruchsversuche nicht überraschend.

Und dann gibt es auch noch immer Eltern, die mit roher Gewalt versuchen, ihre Kinder dorthin zu prügeln, wo sie sie gern hätten: Striemen am Rücken, weil der Vater ausgerastet ist, und der Sohn traut sich dann nicht mehr nach Hause. Ein Mädchen, das nach dem Elternsprechtag daheim fast ohnmächtig geprügelt wurde – alles reale Ereignisse aus österreichischen Schulen.

Multiprofessionelle Hilfe durch Teams

Das ist das Einsatzgebiet für Schulsozialarbeit – und andere Professionen in der Schule und außerhalb. Denn ein wesentliches Prinzip für schulsozialarbeiterische Intervention ist Multiprofessionalität. Dabei geht es nicht nur um das schulische Ziel, möglichst alle Kinder zumindest bis zum Pflichtschulabschluss zu bringen.

Das heißt, die Hilfe, die nötig ist, wird dazugeholt. Sei es psychologische Unterstützung oder nötigenfalls das Jugendamt, aber auch regelmäßige Gespräche mit der Polizei, die die Problemkinder im Bezirk genauso gut kennen wie das Personal in der Schule. Das macht sich bezahlt, wenn, was immer wieder vorkommt, ein Kind oder ein Teenager für ein paar Tage abhaut und auf Tour im Bezirk, in den Parks etc. ist – oft eine verzweifelte Auszeit von dysfunktionalen, überforderten Familien.

Grundsätzlich ist der Hintergrund der Kinder, mit denen die Schulsozialarbeiterin arbeitet, so vielfältig wie die Gesellschaft. Von der "klassischen österreichischen Familie" bis zur muslimischen Zuwandererfamilie, von der angeblich idyllischen Vater-Mutter-Kind-Konstellation bis zu implodierten Familienrestverbänden haben Brieden-Zampa und ihre Kolleginnen und Kollegen – egal, wo sie arbeiten – zu tun.

Es gibt auch "klassische Klientenfamilien"

Und nicht immer passt ein Klischee zum anderen. Da sind die unkooperativen, vermeintlich bürgerlichen Eltern, dort der nach der Scheidung obdachlose Vater, der – die Mutter ist psychisch krank – zu jedem Termin in der Schule pünktlichst auftaucht und alle Dokumente in seinem Rucksack dabei hat. Aber ja: "Klassische Klientenfamilien gab es immer schon", erzählt Brieden-Zampa: "Wo Kolleginnen sagen: Da war ich schon für die Oma zuständig."

Das sind oft Elendsgeschichten über Generationen. "Kinderarmut ist weit verbreitet", sagt die Sozialarbeiterin. Wenn etwa ein Kind, das wiederholt krank ist, keine Arztbestätigung mitbringen kann, "weil der Arzt zehn Euro verlangt und die Mutter das Geld dafür nicht hat, dann frage ich mich: Hat sie auch kein Geld für Spaghetti?"

Auch das ist eine Frage, die Brieden-Zampa für sich – und das Kind vor ihr – beantworten muss. Dann bewegt sich die Sozialarbeiterin dort, wo eigentlich Sozial-, Wohn- oder Familienpolitik gefragt wäre. (Lisa Nimmervoll, 23.4.2019)