Suche nach Wahrheit im Leben und in der Kunst: Bárbara Lennie in "Petra", Jaime Rosales' aktuelle Variante einer griechischen Tragödie.

Foto: Crossing Europe

Die kommende EU-Wahl schanzt der 16. Crossing-Europe-Ausgabe die Position eines Auguren zu. Es gibt Bilder zu sehen, die uns betreffen. Die Filme auf dem Linzer Filmfestival spiegeln seit jeher gesellschaftliche Dynamiken auf dem Kontinent (und darüber hinaus) wider – oder helfen sie zu vertiefen. Manch ein Zerrbild kann unangenehm vertraut wirken. So handelt der Politthriller Sons of Denmark, einer von fünf Eröffnungsfilmen heute Abend, davon, wie in Dänemark 2025 Nationalismus über Vernunft triumphiert. Zur besseren Orientierung einige der Highlights des Festivals.

Britische Gegensätze

Tradition und Erneuerung sind nur oberflächlich betrachtet Widersprüche. Zumindest bekommt man diesen Eindruck bei zwei exzellenten britischen Filmen in Linz, die sich ihren eigenen Reim auf den inseleigenen Sozialrealismus machen. Mark Jenkin hat Bait auf 16-mm-Material gedreht und, man höre und staune, auch selbst entwickelt und nachträglich vertont. In expressiven Bildern entwirft er das Porträt eines Fischerdorfes in Cornwall – jener Region, aus der er selbst stammt – und schildert die Klassengegensätze, die dieses zu zerreißen drohen.

Auf der unteren Sprosse der sozialen Leiter der Fischer Martin, auf der oberen die bürgerlichen Sommergäste, die Boten der Gentrifizierung, die Tradition in Lifestyle verwandeln. Wie Jenkin diese beiden Fronten, in denen man auch jene des Brexit-zerrissenen Landes wiedererkennt, zeigt, ist humorvoll und künstlerisch gewieft.

Mark Jenkin

Eine bemerkenswerte Umkehrung gibt es dafür in The Souvenir, dem neuen Film von Joanna Hogg, die bereits 2014 mit einer Personale bedacht wurde. Angesiedelt im industriell geprägten Sunderland, erzählt der Film von einer wohlbehüteten Filmstudentin (Honor Swinton-Byrne, Tochter von Tilda), der es nicht so leicht fällt, in dem proletarisch bestimmten Milieu Aufnahme zu finden. Autobiografische Züge sind in dem kunstvoll auf 1980er-Jahre getrimmten Film, der sich zu einer mitreißenden Liebesgeschichte entwickelt, nicht zufällig!

Tribute Jaime Rosales

Die Tributes von Crossing Europe sind mit den Jahren so etwas wie Garanten für aufstrebende Filmemacher geworden. Dieses Jahr fällt der Spot auf den Katalanen Jaime Rosales, dessen sechs Langfilme bereits auf wichtigen Festivals liefen. Experimentierfreudig und mit feinem Sensorium für die Schieflagen moderner Lebensumstände wirken sie alle – La soledad von 2007 nutzt etwa Split Screens, um von der Isolation sich eigentlich nahestehender Menschen zu erzählen.

Flix gr

In Petra, seinem jüngsten Film, entdeckt er in einer aktuellen Familienkonstellation die Grundzüge einer griechischen Tragödie. Rosales spaltet das Drama allerdings in achronologische Teile auf. Petra (Bárbara Lennie), die herausfinden will, ob ein überheblicher Malerfürst ihr unbekannter Vater ist, bewegt sich durch den Film wie auf tektonischen Platten, die bei jedem Aufeinandertreffen zu schwerwiegenden Verwerfungen führen. Die Kamera verfolgt das Geschehen aus einer Position, die auf genuine Weise verunsichert: einen Deut zu langsam, zu weit weg oder seltsam off-centered.

Heises Geschichtsvermessung

Der Dokumentarist Thomas Heise hat schon einige Filme in Linz präsentiert, diesmal stellt er den gerade beim Festival Visions du Réel in Nyon prämierten Heimat ist ein Raum aus Zeit vor. Heise führt darin durch die Geschichte seiner eigenen Familie über drei Generationen hinweg, eine Geschichte in Fragmenten, in denen sich die Kataklysmen des 20. Jahrhunderts eingeschrieben haben. Die Umsetzung des Films betont die Risse, anstatt sie zu kitten: In einer Passage in der ersten Hälfte des Films, die von Heises jüdischen Großeltern in Wien erzählt, sieht man eine Namensliste der Deportierten durchs Bild ziehen, während man aus dem Off die bangen Worte der Familienangehörigen vernimmt, die der nackten Liste die Lebenswirklichkeit hinzufügen. Ein großer Film.

GMfilmsBerlin

Orbán grüßt Putin

Illiberale Demokratie? Oder doch eher Mafiastaat? Zwei Dokumentarfilme werfen einen geduldigen Blick auf Länder mit autoritären Staatslenkern. Hungary 2018 von Eszter Hajdú begleitet den Wahlkampf von Orbáns Fidesz und verzichtet auf jeden Kommentar. Vitali Manski blickt in Putin's Witnesses zurück auf das Jahr 2000, als Putin den Platz des angeschlagenen Jelzin einnahm. Die Besonderheit liegt in der Intimität dieses Blicks, denn Manski gehörte zum Inner Circle. Ein rarer Besuch im Auge des Sturms. (Dominik Kamalzadeh, 25.4.2019)