Zwei Rote sorgen sich um die SPÖ. Roland Fürst (li.) plädiert für mehr Pragmatik – auch in Bezug auf die FPÖ. Andreas Babler hält genau das für einen Fehler.

Foto: Regine Hendrich

Davon, wieder in Regierungsverantwortung zu kommen, ist die SPÖ noch weit entfernt. Aber selbst in der Opposition kann sie eine unangenehme Debatte nicht abschütteln: Wie hält es Rot mit Blau? Für EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder ist der Fall klar: Mit den Freiheitlichen geht es nicht. Aus dem Burgenland folgte umgehend Widerspruch. Nicht das einzige Thema, bei dem man in der SPÖ um eine Linie ringt. Die Gräben ziehen sich auch am Tag der Arbeit bis tief in die Partei.

STANDARD: Doskozil versus Schieder: Darf man als Roter mit den Blauen koalieren oder nicht?

Babler: Wir haben einen aufrechten Parteitagsbeschluss, in dem eine Zusammenarbeit mit der FPÖ auf allen Ebenen ausgeschlossen wird ...

Fürst: ... es gab auch einen pro Wehrpflicht. Der hat dann nicht mehr gegolten, weil sich ein paar Leute ein Berufsheer eingebildet haben.

Babler: Für mich schon. Aber bei der FPÖ geht es um eine Frage des Menschenbildes. Das ist einer der Grundpfeiler der Sozialdemokratie. Also ist es ein absolutes No-Go, mit der FPÖ zu koalieren. Wir sehen ja ständig die Probleme mit Funktionären, deren Geist vom Rechtsextremismus geprägt ist.

Für ihn ist eine Koalition mit den Freiheitlichen ein No-Go: Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler.
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Fürst: Ich sehe die Koalitionsfrage ganz anders. Aus pragmatischen Gründen. Das Burgenland hat sich eine sozialdemokratische Politik verdient. Die Alternative wäre gewesen, mit 42 Prozent in Opposition zu gehen. Die Blauen auszuschließen ist zwar moralisch sehr erhaben, aber für die Menschen im Burgenland wäre es eine Katastrophe gewesen. Im Bund oder in Wien würde ich aktuell auch nicht mit den Blauen koalieren.

Babler: Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ist ja auch ökonomisch der reinste Wahnsinn – wir sehen es auf Bundesebene. Die sind nicht für die kleinen Leute da, sondern für die Großunternehmer. Armutsbestrafung auch der österreichischen Mehrkinderfamilien.

STANDARD: Die Vranitzky-Doktrin der Ausgrenzung ist längst obsolet?

Babler: Die war bei ihm umfassend eingebettet in einem grundsätzlichen Antifaschismus. Ökonomisch war auch bei Franz Vranitzky für mich einiges kritikwürdig.

Fürst: Du weißt, dass die SPÖ eine Million Ehemalige geschnupft hat. Dass wir von 1983 bis 1986 (Rot-Blau unter Fred Sinowatz, Anm.) eine Regierung mit wirklichen Nazis hatten. Es ist ja nicht so, dass jetzt plötzlich der Faschismus vor der Tür steht. Statt uns an der Regierung abzuarbeiten, sollten wir überlegen, wie die SPÖ bei Neuwahlen Mehrheiten findet.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen da die Performance der Bundes-SPÖ?

Fürst: Ich verstehe nicht, warum man den Break nach Christian Kern nicht genutzt hat, um in die Selbstkritik zu gehen. Was ist schiefgelaufen in den letzten Jahren? Mir als ehemaligem Betriebsschlosser blutet das Herz, wenn von zehn Arbeiterinnen und Arbeitern sechs die FPÖ wählen. Sechs!

Die Blauen auszuschließen ist zwar moralisch sehr erhaben, aber für die Menschen ist es eine Katastrophe. Roland Fürst

Babler: Die Sozialdemokratie muss sich tatsächlich selbst finden. Nicht nur nachdenken, wie sie wieder an die Macht kommt. Es braucht eine Reideologisierung, die wir auch in der Praxis umsetzen müssen. Nur fehlt es in der Gesamtpartei an Grundkenntnissen der politischen Ökonomie. Heute können Ratingagenturen, große Banken und Versicherungen mehr mit einer Entscheidung auslösen als demokratisch legitimierte EU-Parlamente. Wenn wir innerhalb des Systems nur kalmierend wirken wollen, wird die Sozialdemokratie nicht zu ihrer eigenen historischen Existenzberechtigung zurückfinden. Wir müssen den Mut zu Revolutionärem haben!

Fürst: An die Weltrevolution glaube ich mit 50 Jahren nicht mehr!

Babler: Es geht nicht um Weltrevolution. Wir brauchen diese Vision, bestehende Mechanismen zu verändern, sonst gibt es keine Verbesserungen für die vielen.

Fürst: Unsere Sozialdemokratie ist noch immer neoliberal verseucht. In Wahrheit hat uns die ÖVP in den Jahren der Koalition völlig ausgehöhlt. Siehe die gesamte Privatisierungsidiotie, die in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren abgelaufen ist. Da teile ich ja alles von dir.

Babler: Aber du tust es als weltrevolutionäre Träumerei ab.

Fürst: Na ein bissl was musst schon aushalten.

Babler: Ich halte das schon aus.

Fürst: Ich verstehe halt nicht, wieso man die linke, soziale Politik im Burgenland nicht honoriert. Und einen von drei verbliebenen Landeshauptmännern, der noch dazu knapp vor einer Wahl steht, aus den eigenen Reihen anschießt, wie Andreas Schieder das macht.

Babler: Unser EU-Spitzenkandidat bewegt sich in seinem Menschenbild – dem Humanismus. Ihm das vorzuwerfen, wenn ein anderer das lockerer sieht, ist ein eigenwilliger Umkehrschluss.

Fürst: Ja glaubst du, wir Roten im Burgenland hängen nicht demselben Menschenbild an?

STANDARD: Muss man auf der moralischen Ebene einfach beide Augen zudrücken?

Fürst: Nein. Mir geht diese linksliberale Überheblichkeit auf die Nerven. Der Zweck heiligt manchmal die Mittel, hat Machiavelli gesagt. Wenn ich damit ureigenste linke Inhalte umsetzen kann ...

Babler: ... und andere verraten.

Fürst: Wen hab ich verraten?

Babler: Den Humanismus.

Fürst: Das ist religiös, was du machst. Das ist ja irrational!

Babler: Es ist doch offensichtlich, dass die FPÖ ein Problem mit Menschengruppen hat. Der sozialpolitische Reformismus im Burgenland ist ja unterstützenswert. Aber deswegen kann man doch nicht ausblenden, was dabei höchstproblematisch ist.

STANDARD: Es geht also um ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Fürst: Das sehe ich woanders, etwa bei den vermögensbezogenen Steuern. Ewig gefordert, nie umgesetzt. Als Parteivorsitzende würde ich das zur Koalitionsbedingung machen, egal mit wem.

Babler: Da sticht dann der Pragmatismus. Im Zweifel werfen wir das – wie unter Werner Faymann – über Bord, um mit allen Mitteln an der Macht zu bleiben. Nur lässt dieser Machtanspruch nicht mehr erkennen, wofür wir stehen.

STANDARD: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat es mit Vermögenssteuern gar nicht eilig.

Fürst: Für mich ist das völlig unverständlich.

Babler: Sie ist eine gute Parteivorsitzende. Aber was ich ihr und Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda vorwerfe, ist diese Passivität. Auch bei der Arbeitszeitverlängerung. Warum halten wir nicht aktiv dagegen und sagen: Angesichts des technischen Fortschritts und der Produktivität braucht es vielmehr eine Arbeitszeitreduktion. Warum machen wir nicht gleich mehr Druck, etwa ein Volksbegehren?

Fürst: Wir haben ASVG-Pensionisten, die bekommen gerade einmal ein Drittel von dem, was Beamtenpensionen ausmachen. Es gibt 300.000 Menschen im Land, die 1500 Euro brutto verdienen. Einen Mindestlohn von 1600 bis 1700 Euro zu fordern, das wäre doch eine Ansage.

Den Wunsch nach mehr Aktionismus an der Parteispitze teilt auch der Burgenländer Roland Fürst (li.).
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STANDARD: Kann die SPÖ-Führung nicht, oder will sie nicht?

Fürst: Bei der Arbeiterkammerwahl haben wir doch gezeigt, wie erfolgreich wir sein können. Dafür muss man in die Fabriken gehen. Viele gehen aber lieber zu Vernissagen. Ein Teil der Funktionäre ist weg von der Lebenswelt der Menschen. Zuzuhören, was die Leute plagt, macht eigentlich eine Partei aus, die Arbeiter und Angestellte vertreten will.

Babler: Es braucht in der gesamten Parteiführung eine Mischung aus Intellektualität und Hemdsärmeligkeit. Da geht es nicht nur um eine Person. Diese Mischung muss man sich bewusst schaffen. Es gibt sie aber leider nicht.

Es braucht in der gesamten Parteiführung eine Mischung aus Intellektualität und Hemdsärmeligkeit.

Andreas Babler

Fürst: Dabei haben wir tolle Leute in den Gewerkschaften, in der Arbeiterkammer. Aber die kommen in der Partei kaum nach oben.

STANDARD: Ein Hauptproblem ist doch auch, dass es oft keine gemeinsame Linie gibt.

Fürst: Es gibt den Versuch, Geschlossenheit zu verordnen, aber ich habe manchmal das Gefühl, in einer Sekte zu sein. Da kann ich nur sagen: In der SPÖ stimmt etwas nicht. Wer ausschert, etwas kritisiert, wird sofort negativ behandelt. Ob Migration, Gesundheit oder Soziales – wir haben innerhalb der Partei ein Problem, offen zu diskutieren.

STANDARD: Gilt das auch intern?

Fürst: Es ist eine Mär, dass wir intern streiten und dann geeint nach außen treten. Intern wird nämlich gar nicht gestritten. Ein paar wenige entscheiden, was die Basis zu tun hat.

Babler: Wenn es aber einen Parteitagsbeschluss gibt, muss man sich daran halten. Wer ihn für falsch hält, soll ihn bekämpfen, aber nicht jene Menschen, die sich an ihn halten.

Was wählen die Kritiker bei der EU-Wahl? Links.
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STANDARD: Das führt uns zurück zu Schieder: Wird er bei der EU-Wahl die Massen begeistern?

Fürst: Wollen Sie darauf wirklich eine Antwort? Ich bin zuversichtlich, dass die SPÖ gut abschneidet und dann zwei Leute aus dem Burgenland in Brüssel sitzen.

Babler: Ich werde links wählen.

Fürst: Du legst dich nicht fest?

Babler: Egal welchen unserer Kandidaten. Ich wähle immer links!

(Peter Mayr, Karin Riss, 30.4.2019)