Expertin Schratzenstaller kritisiert, dass bei der Steuerreform klimapolitische Steuerungselemente fehlen.

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Die türkis-blaue Regierung hat die Eckpunkte ihrer Steuerreform präsentiert. Doch was sagen die Experten? Die Wifo-Ökonomin Margit Schratzenstaller gilt als eine der ausgewiesensten Expertinnen für das heimische Steuerrecht.

STANDARD: Wie fällt Ihre Gesamtbewertung der geplanten Steuerreform aus?

Schratzenstaller: Auf der einen Seite gelingt es der Regierung vom Volumen her, eine sehr große Abgabensenkung zu machen. Auch die unteren Einkommen werden entlastet und die budgetären Überschüsse, die in den kommenden Jahren erwartet werden, somit genutzt. Auch einige strukturelle Akzente werden gesetzt. Auf der anderen Seite ist es noch kein grundlegender Umbau des Abgabensystems, der nötig wäre. Das würde das Drehen an einigen anderen großen Schrauben erfordern.

STANDARD: An welchen?

Schratzenstaller: Das Steuersystem gehört deutlich stärker ökologisiert, und gewisse vermögensbezogene Steuern sollten aufkommensneutral erhöht werden. Grund- und Immobilienvermögen sollten stärker besteuert werden. Das würde auch den Spielraum erhöhen, um die Abgaben auf die Arbeit noch stärker zu entlasten. In Österreich sind Vermögen relativ niedrig besteuert, und gegen den internationalen Trend nimmt die Bedeutung von Vermögenssteuern auch ab.

STANDARD: Sie sprechen Ökologisierung an. Was bedeutet das konkret? Würde es heißen, klimaschädliches Verhalten wie Autofahren oder Fliegen teurer zu machen?

Schratzenstaller: Es gibt drei Säulen der Ökologisierung. Eine wird nun von der Regierung genutzt: So werden positive Anreize gesetzt, um die Menschen zu umweltfreundlicherem Verhalten anzuhalten. So soll es etwa einen finanziellen Vorteil bringen, klimafreundlichere Dienstautos zu nutzen. Doch insgesamt bleibt das in beschränktem Ausmaß: Es geht um Entlastungen von 55 Millionen Euro im Jahr. Die anderen beiden Säulen werden aber nicht genutzt. Die eine wäre, alle ökologisch schädlichen Ausnahmen im Steuerrecht zu überprüfen und einzuschränken, etwa die privilegierte Besteuerung von Diesel. Die dritte Säule wäre, umweltschädliches Verhalten generell teurer zu machen. Das beginnt bei einer höheren Mineralölsteuer, eine flächendeckende CO2-Steuer wäre eine Option, auch eine Pkw-Maut. Angesichts der Tatsache, dass vereinbart wurde, bestimmte Klimaziele zu erreichen, halte ich die fehlende Ökologisierung für das größte Versäumnis der Steuerreform.

STANDARD: Die Steuerreform fällt unbestreitbar sehr groß aus. Zugleich ist die konjunkturelle Lage seit zwei Jahren sehr gut. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise war der Spielraum noch nie so groß.

Schratzenstaller: Ja, die Regierung nutzt den Rückenwind der guten Konjunktur. Hinzu kommt, dass die Zinsen sehr niedrig sind, was jetzt der Koalition ebenfalls zugutekommt. Das kann und soll man auch machen. Wobei wir gleichzeitig die Frage stellen müssen: Was ist mit den Zukunftsinvestitionen? Die Überschüsse der kommenden Jahre werden primär für eine Steuerentlastung genutzt. Klar ist aber auch, dass in anderen Bereichen in Österreich mehr investiert werden muss. Etwa für Bildung, öffentlichen Verkehr, Integrationsmaßnahmen.

STANDARD: Um Geringverdiener zu entlasten, werden jetzt die Sozialversicherungsbeiträge zur Krankenkasse gesenkt. Finanzminister Hartwig Löger verspricht zwar, dass der Staat den Kassen das Geld ersetzen wird. Aber was, wenn es sich ÖVP und FPÖ einmal anders überlegen? Wäre es nicht geschickter gewesen, eine Negativsteuer zu schaffen, bezahlte Versicherungsbeiträge also via Steuern rückzuvergüten?

Margit Schratzenstaller rechnet mit positiven Effekten für das Wirtschaftswachstum.
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Schratzenstaller: Es ist ein Schritt hin zu einem stärker steuerfinanzierten Sozialversicherungssystem. Grundsätzlich halte ich das für eine sinnvolle Stoßrichtung. Der Vorteil daran, die Sozialversicherungsbeiträge zu senken, ist, dass man das unmittelbar auf dem Lohnzettel sieht, was wahrscheinlich unmittelbarer wirkt, als wenn eine Negativsteuer im Nachhinein rückerstattet wird. Das Beitragsprinzip ist zudem an anderen Stellen ohnehin bereits ausgehebelt, wo es Zuschüsse aus dem Bundesbudget gibt. Wenn man von der hohen Abgabenbelastung der Arbeit wegkommen will, glaube ich jedenfalls insgesamt schon, dass wir langfristig eine Umstrukturierung der Finanzierungsbasis brauchen und mehr über allgemeinen Steuern einnehmen müssen.

STANDARD: Erwarten Sie positive Auswirkungen der Reformen für das Wirtschaftswachstum?

Schratzenstaller: Grundsätzlich schon, zumal mit Maßnahmen für untere Einkommen begonnen wird, mit der Senkung der Krankenversicherungsbeiträge. Auch in Rahmen der Einkommensteuerreform wird zunächst der niedrigste Steuersatz gesenkt. Diese Schritte wirken tendenziell stärker, weil ärmere Haushalte einen höheren Anteil ihres Einkommens in Konsum stecken. Dazu kommt, dass die Maßnahmen kaum durch Steuererhöhungen gegenfinanziert sind. Auch das hat einen positiven gesamtwirtschaftlichen Effekt.

STANDARD: Wie denken Sie über die Senkung der Körperschaftsteuer für Unternehmen von 25 auf 21 Prozent: Ist das notwendig wegen des internationalen Steuerwettbewerbs, oder ist das ein Geschenk an Unternehmen?

Schratzenstaller: Die Körperschaftsteuersenkung dient dazu, unterschiedliche Gruppeninteressen auszugleichen, um nicht nur die Arbeitnehmer zu entlasten. Hinzu kommen Nachbarländer, die niedrig besteuern. Daher ist es nachvollziehbar, auch in diesem Bereich Schritte zu setzen. Allerdings ist es eine doch recht deutliche Senkung, der EU-Durchschnitt bei der Körperschaftsteuer liegt bei 25 Prozent. Auf Dauer wird es nicht nachhaltig sein, weil anderen Länder nachziehen werden in diesem Unterbietungswettbewerb.

STANDARD: Um die Steuerreform gegenzufinanzieren, will die Regierung 1,5 Milliarden Euro in der Verwaltung sparen. Ist das realistisch?

Schratenstaller: Es gibt eine grundsätzlich solide Gegenfinanzierung für die Reform. Die Einsparungen werden noch konkretisiert werden müssen, von den Dimensionen ist es aber nicht unrealistisch. Ausnahme ist vielleicht die Erwartung, dass mit dem geplanten Digitalsteuerpaket der Staat 200 Millionen Euro im Jahr einnehmen kann. Das wird wohl darunter liegen. Und hinzu kommt natürlich wie immer die konjunkturelle Unsicherheit für die nächsten Jahre. (András Szigetvari, 30.4.2019)