Äthiopien war lange Zeit kein gutes Pflaster für Journalisten. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed hat sich die Situation verbessert. Doch zum Feiern ist es noch zu früh, erklärt der Journalist Josh Friedman. Im Gastkommentar wirft er einen Blick auf die Argumente Meles Zenawis und erklärt, warum diese für seinen Nachfolger verlockend sein könnten. Und er zieht historische Parallelen, etwa zur Situation der Zeitungen in den Vereinigten Staaten des 18. Jahrhunderts.

Auf einer Reise nach Äthiopien in den 1990er-Jahren traf ich mich mit Ministerpräsident Meles Zenawi. Ich wollte versuchen, ihn zu überreden, keine Journalisten mehr ins Gefängnis zu stecken. Nachdem Meles' Guerillas einige Jahre zuvor eine repressive, von der Sowjetunion unterstützte Diktatur gestürzt hatte, nahm die Zahl überschwänglicher und manchmal vor Ungenauigkeiten strotzender kleiner Zeitungen, von denen viele Meles attackierten, explosionsartig zu. Daher ging er hart gegen diese vor und führte Gesetze ein, die eine "Verunglimpfung" der Regierung kriminalisierten und Journalisten für Ungenauigkeiten mit Gefängnis bestraften. Äthiopien entwickelte sich rasch zu einem der Länder auf der Welt, die die meisten Journalisten inhaftierten.

Inzwischen hat Äthiopien einen neuen, reformorientierten Ministerpräsidenten, Abiy Ahmed, der seit gerade einem Jahr im Amt ist. In dieser Zeit hat das Land derartige Fortschritte bei der Freilassung inhaftierter Journalisten und der Aufhebung von Maßnahmen zur Kontrolle der Presse gemacht, dass es nun den Internationalen Tag der Pressefreiheit ausrichtet.

Unter dem neuen Ministerpräsidenten entspannte sich die Situation für Journalisten in Äthiopien.
Foto: APA/AFP/ZACHARIAS ABUBEKER

Lehren aus Meles' Vorgehen

Doch ist es zum Feiern noch zu früh. Teile der neuerlich freien Presse veröffentlichen zuweilen unzutreffende Artikel, die ethnische und tribalistische Feindschaften anheizen und Abiy angreifen. Angesichts der im nächsten Jahr anstehenden ersten freien Wahlen seit 15 Jahren ist Abiy nun in derselben Situation wie seinerzeit Meles und überlegt, einige von ihm aufgehobene Maßnahmen zur Kontrolle der Presse wiedereinzuführen.

Bevor er das tut, sollte er einen langen, kritischen Blick auf Meles' Vorgehen werfen und auf die Lehren, die dieses birgt: Man kann Journalisten nicht unterdrücken, und sie zu kontrollieren, erreicht langfristig gar nichts. Tatsächlich verzögert es die Entwicklung professionellerer Medien lediglich.

Hemmender Ansatz

Meles bot damals eine simple Erklärung für das Vorgehen seiner Regierung an. "Unsere Journalisten sind nicht so professionell wie die in den USA und Westeuropa", sagte er mir. "Sie wissen nicht, wie man korrekt berichtet. Wir müssen Richtlinien für sie aufstellen, bis sie lernen, wie sie ihre Arbeit richtig machen." Wäre er noch am Leben, würde Meles heute vermutlich auf Fake-News schimpfen.

In mehr als drei Jahrzehnten des Kampfes für eine freie internationale Presse und als einer der ersten Vorsitzenden des Komitees zum Schutz von Journalisten habe ich Argumente wie die von Meles schon viele Male gehört. Man müsse Journalisten staatliche Beschränkungen auferlegen, so Regierungsvertreter in noch jungen Demokratien häufig, bis sie in der Lage seien, ihre Arbeit verantwortungsvoll zu tun. Doch statt die Entwicklung einer glaubwürdigen freien Presse zu beschleunigen, hemmt dieser Ansatz sie.

Argumente des 18. Jahrhunderts

Nach meinem Treffen mit Meles begann ich, nach historischen Belegen für seine Behauptung zu suchen, dass ein unzureichend professioneller Journalismus die Unterdrückung der Presse rechtfertige; auf diese Weise hoffte ich, seiner Argumentation auf meiner nächsten Reise etwas entgegensetzen zu können. Ich fand einen Präzedenzfall in der frühen Geschichte der USA. Tatsächlich ähnelten Meles' Äußerungen in gespenstischer Weise Argumenten, die im 18. Jahrhundert von US-Präsident John Adams und seinen Federalists vorgetragen wurden, welche eine freie und enthusiastische Presse verdammten, die (korrekte und inkorrekte) Kritik gegenüber den Politikern des neuen Landes verbreitete.

Doch Thomas Jefferson und seine Democratic-Republicans widersetzten sich den Federalists, und zwar sowohl im Kongress als auch vor Gericht. Und zum Glück für die US-Journalisten wurde Jefferson im Jahre 1800 zum Präsidenten gewählt. Innerhalb von zwei Jahren waren die Alien and Sedition Acts entweder abgelaufen oder aufgehoben. Dies machte der amerikanischen Presse den Weg frei, zu experimentieren, und so entwickelte sich über mehr als zwei Jahrhunderte hinweg eine Kultur tiefschürfender und präziser Berichterstattung, die eine konsequente Überprüfung der Fakten beinhaltet.

Revolutionäre Zeitungsgründungen ...

Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg hin zu einer dynamischen freien Presse; es erfordert eine lange Zeit von Versuch und Irrtum, damit sich die Normen und Institutionen des professionellen Journalismus entwickeln. Die Politiker müssen auf diesen Prozess vertrauen und sich ein dickes Fell zulegen. Auch wenn repressive Mediengesetze den politischen Führungen kurzfristig zugutekommen mögen, langfristig behindern sie die Entwicklung der Presse eines Landes.

Für diesen Effekt gibt es quantitative Belege. Als die Französische Revolution 1789 begann, wurden die Pressebeschränkungen aufgehoben. Vier Jahre später gab es im Lande mehr als 400 Zeitungen, darunter 150 allein in Paris. Bis 1799 war die Zahl landesweit auf 1.300 gestiegen. Das waren 1.300 Möglichkeiten für aufstrebende Journalisten, ihr Handwerk zu erlernen und ihr Können zu verfeinern.

... und repressive Wende

Dann jedoch nahm die Revolution eine repressive Wende. Als Napoleon Bonaparte 1799 die Macht übernahm, war die Zahl der Zeitungen in Paris bereits auf 72 gefallen. Napoleon verringerte diese Zahl rasch auf 13 und später, im Jahr 1811, auf vier.

In ähnlicher Weise florierten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Medien jeden Typs. Doch einige der neuen unabhängigen Nachfolgestaaten machten sich die Vorstellung zu eigen, dass "Leitlinien" für die Medien erforderlich seien. Viele verabschiedeten Gesetze, für die mit der Behauptung geworben wurde, dass sie eine freie Presse gewährleisten würden, doch die benutzt wurden, um Journalisten für aggressive, kritische Berichterstattung zu bestrafen. Üble Nachrede wurde zum Straftatbestand erklärt, und unabhängige Veröffentlichungen, Rundfunksender und Blogger wurden mit enormen Geldstrafen belegt.

Repressionen gegen Journalisten

China und die Türkei – die beide, was die Inhaftierung von Journalisten angeht, auf olympischem Niveau agieren – haben ihre Repressionen in den letzten Jahren noch verschärft, und in Russland hat Präsident Wladimir Putin im vergangenen Monat neue Gesetze unterzeichnet, die eine Bestrafung von Privatpersonen und Onlinemedien für die Verbreitung von angeblichen Falschnachrichten und Informationen, die den Staat "verächtlich machen", vorsehen.

US-Präsident Donald Trump versucht sich in dieselbe Richtung zu bewegen. Seine ständige Brandmarkung von Journalisten als "Lügner" und "Volksfeinde" nimmt das bevorzugte Etikett der Nazis für die Medien auf: "Lügenpresse".

Aus Fehlern lernen

Selbst in der Europäischen Union werden Journalisten laut einer Studie des International Press Institute (IPI) noch immer wegen Verleumdung und Staatsbeleidigung inhaftiert. "In der großen Mehrzahl der EU-Staaten ist üble Nachrede weiterhin ein Straftatbestand, der mit Freiheitsstrafe geahndet werden kann", so das IPI. "Journalisten werden nach wie vor strafrechtlich verfolgt und belangt."

Der Presse zu gestatten, zu experimentieren, Fehler zu machen und daraus zu lernen, war und ist für den Erfolg der Demokratien weltweit unverzichtbar. Daher müssen Regierungen und Zivilgesellschaften eine freie Presse wachsam unterstützen, selbst – oder ganz besonders – wenn sie sich noch in der Entwicklung befindet. (Josh Friedman, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 2.5.2019)