"Die Rhetorik des Populismus und Rassismus scheint generell auf dem Vormarsch zu sein, das ist beängstigend", sagt der Historiker Robert G. Knight.

Foto: Regine Hendrich

Robert Knight kennt Österreichs Nachkriegsgeschichte allzu gut: Der britische Historiker hat in den 1980ern den Opfermythos entzaubert und den zweifelhaften Umgang der Zweiten Republik mit den NS-Altlasten in dem Buch Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen – ein Zitat des früheren SPÖ-Innenministers Oskar Helmer über Entschädigungszahlungen an Juden – aufgearbeitet. Knight ist zurück in Wien und lehrt derzeit am Institut für Zeitgeschichte.

STANDARD: Immer wieder gibt es problematische "Einzelfälle" in der FPÖ. Ein Funktionär spricht von Ratten statt Menschen, der Vizekanzler warnt vor einem Bevölkerungsaustausch: Wie bewerten Sie das?

Knight: Es ist entsetzlich und ekelhaft. Ich bin ja nur Beobachter aus dem Ausland, aber es ist ein Spiel mit der Distanzierung, die eben dann keine ist. Die Führung der FPÖ versucht, sich staatstragend zu geben. Aus der Basis gibt es aber weiter rechtsextremen Druck.

STANDARD: Als Historiker müssten bei Ihnen die Alarmglocken schrillen.

Knight: Es sind Anzeichen dafür, dass einiges in der österreichischen Nachkriegsgeschichte nicht aufgearbeitet wurde. Eine normative Abgrenzung zwischen Rechtskonservativen und Rechtsextremismus hat es hier nicht im selben Ausmaß gegeben wie in Westdeutschland. Dort gab es eine teilweise Distanzierung der FPD vom ganz rechten Rand in den 1950er-Jahren.

STANDARD: Warum lief das so anders ab?

Knight: Die parteipolitische Konstellation war in Österreich anders. Es gab eine große Koalition, SPÖ und ÖVP standen im Wettbewerb um die Stimmen der früheren NS-Mitglieder und deren Familien. Außerhalb dieser war der VdU – aus dem später die FPÖ hervorging – offen für alte Nazis. Deutschland war für die Alliierten viel wichtiger, da wurde etwas mehr interveniert, um ehemalige Nazis zu blockieren. Aus Sicht der Westalliierten kam die Gefahr für die österreichische Demokratie eher von Kommunisten als von ehemaligen Nazis.

STANDARD: Die Stimmung, die derzeit herrscht, erinnert manche an die 1930er-Jahre. Teilen Sie diese Sicht?

Knight: Die Rhetorik des Populismus und Rassismus scheint generell auf dem Vormarsch zu sein, das ist beängstigend. Aber die Massenarbeitslosigkeit fehlt als Radikalisierungsfaktor. Es gibt auch gewisse Einsichten aus der Geschichte, wenn auch nur oberflächliche. Man hat gelernt, Gratwanderungen geschickter zu formulieren und bestimmte Sprachregelungen einzuhalten, gemeint ist aber oft das Gleiche.

Historiker Robert G. Knight: "Heute ist es politisch einfacher, islamische Flüchtlinge zu dämonisieren, als etwas Antisemitisches zu sagen."
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STANDARD: Etwa ein ständig strapaziertes Feindbild: Bei Türkis-Blau sind es immer Migranten.

Knight: Heute ist es politisch einfacher, islamische Flüchtlinge zu dämonisieren, als etwas Antisemitisches zu sagen. Das hat sich gegenüber den 1980ern geändert, als auch ÖVP-Politiker noch haarsträubende Sachen gesagt haben. Strukturelle Ähnlichkeiten bei Vorurteilen gegen Islam und gegen Judentum gibt es. Die Verteufelung und Fixierung auf eine Gruppe, die Dehumanisierung und Stereotypisierung ist von den 1930ern nicht weit entfernt. Aber es fehlt eine breitere rassistische Theorie oder Begründung. Wenn ich sehe, dass die FPÖ sich besorgt um die Vergangenheitsbewältigung zeigt, nehme ich das nicht für voll.

STANDARD: Die FPÖ hat eine eigene Historikerkommission beauftragt, um die Parteigeschichte zu erforschen. Wie sehen Sie das?

Knight: Die freiheitliche Historikerkommission ist ein Witz. Der Vorsitzende Wilhelm Brauneder ist doch ein ehemaliger FPÖ-Nationalratspräsident? Und er soll eine objektive Kommission leiten? Überspitzt gesagt: Das wäre, als ob US-Präsident Donald Trump statt Robert Mueller seinen Schwiegersohn beauftragt hätte, die Verdachtsmomente gegen ihn zu untersuchen. Wenn es so ins Geheime gehüllt ist, kann man berechtigte Zweifel hegen. Ich habe große. Wäre es ernst gemeint, hätte das außerhalb der Partei durch einen transparenten Ernennungsprozess stattfinden müssen. So ist es plump und nur eine PR-Aktion.

STANDARD: Generell gesprochen: Sehen Sie noch blinde Flecken in der Aufarbeitung?

Knight: Da gibt es noch einiges. Es ist sicher auch eine Frage der Ressourcen, aber es gäbe viel zu forschen über Firmen, Industrie und Institutionen und deren Verwicklungen im Nationalsozialismus. Das wäre das eine. Zweitens gibt es diese übermäßig staatstreue Einstellung gegenüber der Nachkriegsgeschichte. Diese Heldengeschichte vom ersten Jahrzehnt, dem Wiederaufbau. Es gibt viele Geschichten, die ständig wiederholt werden, die aber jeder Grundlage entbehren. Fangen wir bei der Bezeichnung "Moskauer Deklaration" an, in der Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus dargestellt wurde. Es gab nicht nur diese eine, sondern drei weitere Erklärungen, einschließlich einer Erklärung über die Bestrafung von Kriegsverbrechen. Das war ja auch ein relevantes Thema für Nachkriegsösterreich, wie wir wissen. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, 4.5.2019)