Nach Stanley sind auch dessen Kinder Boris, Rachel und Jo Johnson (v. li.) dick im politischen Geschäft.

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Am besten, so meint Ivo Dawnay, vergleicht man Treffen von Großbritanniens politischem Glamour-Clan mit "einem Rudel junger Golden Retriever: Sie machen viel Lärm, springen überall herum und wischen beim Schwanzwedeln empfindliche Objekte vom Tisch."

Das Bonmot beschreibt jene Mischung aus Faszination und Grauen, mit der die Briten die Karriere der Geschwister Johnson verfolgen. In den Mittelpunkt geriet zuletzt die Journalistin Rachel (53), mit der Dawnay seit 1992 sein Leben teilt. Das Paar lebt in der Nähe von Exeter. Dort kandidiert sie bei der EU-Wahl für die neue Partei Change UK und will den Brexit verhindern, weil dieser "die Zukunftschancen junger Leute ruiniert" – die ihrer drei Kinder inbegriffen. Und nein, ihre Kandidatur stelle keinen Angriff auf ihren älteren Bruder dar.

Das glaubt kaum jemand, schließlich ist Alexander Boris Johnson – von der Familie Al, vom Rest der Welt nur Boris genannt – nicht nur aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Theresa May als konservativer Parteichef und damit auch als Premierminister. Der einstige Londoner Bürgermeister und Ex-Außenminister, (54) trat auch als Einziger im Johnson-Clan für den Brexit ein – weshalb es im Vorfeld des EU-Referendums 2016 zu lauten Auseinandersetzungen gekommen sein soll.

Sie habe "geweint", berichtete Rachel am Morgen nach der verlorenen Volksabstimmung. Seither arbeitet sie sich ab am Bruder, der an jenem Junitag vor drei Jahren selbst so aussah, als wolle er am liebsten ein paar Tränen verlieren. Politiker, findet Rachel, "sollten niemals der Öffentlichkeit eine Frage stellen, auf die sie keine Antwort wissen".

Von Kindheit an

Das Psychodrama zwischen dem Möchtegern-Premier und der Möchtegern-Europaparlamentarierin, die er stets für seinen frühkindlich entwickelten Ehrgeiz verantwortlich gemacht hat, entzückt die Medien auf der Insel. Es handelt sich um die Wiederauflage eines Konflikts, den es im Vorfeld der Unterhauswahl 2017 schon einmal gab. Damals trat Rachel für die EU-freundlichen Liberaldemokraten an.

Ein Wahlerfolg hätte, erstmals in der britischen Geschichte, ein Geschwister-Trio im Parlament zur Folge gehabt: Der jüngste Bruder Joseph, genannt Jo (47), vertritt dort seit neun Jahren einen Südlondoner Wahlkreis. Boris hat dort bereits elf Jahre auf dem Buckel. Nur Bruder Leo (51) hält sich aus der Politik heraus und arbeitet als Wirtschaftsprüfer.

Rachel blieb der Einzug ins Unterhaus verwehrt. Nun will sie die Familientradition im Europaparlament fortsetzen: Vor 40 Jahren gehörte Vater Stanley – unter anderem Abkömmling der französischen Adelsfamilie de Pfeffel, einer illegitimen Tochter des Prinzen Paul von Württemberg sowie des 1922 ermordeten türkischen Journalisten und Dichters Ali Kemal – zu den ersten direkt gewählten Abgeordneten, die für die Tories nach Brüssel zogen. Gelebt hatte er dort mit seiner Frau und den vier Kindern schon zuvor, nämlich als Beamter für die Kommission in den Jahren nach Großbritanniens EWG-Beitritt 1973.

Seither hat sich Stanley (78) als Öko-Aktivist und Buchautor einen Namen gemacht. Vor zwei Jahren beschrieb er in der Politsatire "Kompromat" eine Figur, die seinem Ältesten aufs Haar gleicht: Am Ende des Buches steht der frühere Londoner Bürgermeister und Außenminister Harry Stokes kurz davor, mit russischer Hilfe die schwache Premierministerin Mabel Killick zu ersetzen. Nach der Qualität des Machwerks gefragt, teilte der derart Verunglimpfte mit todernster Miene mit, das Buch sei "so gut, dass ich nicht einmal dagegen klagen werde".

Topverdiener Boris

Solche flotten Sprüche kommen nicht nur gut an; mit seinem Sprachwitz verdient Boris Johnson auch viel Geld. Der Bestsellerautor, darunter eine Churchill-Biografie, erhält für seine Kolumne im "Daily Telegraph" rund 290.000 Euro pro Jahr. Eine einzige Rede in Indien brachte ihm kürzlich 140.000 Euro ein. Die Unverfrorenheit, mit der er Geld für seine Ambition aufs höchste Regierungsamt sammelt, tut seiner Popularität bisher ebenso wenig Abbruch wie die Tatsache, dass er seine Einkünfte dem Parlament immer wieder viel zu spät mitteilt.

Im Schatten des Brexit-Marktschreiers hat Jo geräuschlos als Staatssekretär gedient, ehe auch er gegen May rebellierte, aber aus anderem Grund als Boris: Wie Rachel will auch Jo den EU-Austritt verhindern, den Vater Stanley neuerdings für unausweichlich hält, genau wie Boris. Familientreffen bei den Johnsons werden, soviel steht fest, auch in Zukunft turbulent sein. (Sebastian Borger aus London, 4.5.2019)