Zwischen A wie Atom und K wie Kohle liegen neun Buchstaben oder keiner – je nachdem, von welchem Standpunkt aus man die Sache betrachtet. Ersetzt man Atomkraft durch Kernkraft, haben beide den identischen Anfangsbuchstaben K. Warum diese Spitzfindigkeit? Sie soll zeigen, dass der Standort oftmals den Standpunkt bestimmt sowie die Art und Weise, wie Politik gemacht wird.

Österreich gehört mit gut 70 Prozent Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten Stromerzeugung zu jenen Ländern, die ihren Strombedarf weitgehend umweltschonend decken. Wie in Norwegen, Island und anderen vergleichbaren Ländern ist das aber auch in Österreich mehr der Geografie und Topografie geschuldet als einer stringenten Politik, wobei Norwegen ein zusätzliches Extra hat.

Nichts zu bunkern

Das Land ist im Vergleich mit noch mehr Wasserkraft gesegnet, ist anders als Österreich aber auch reich an Öl und Gas. Statt die fossilen Energien im Land zu nutzen, werden die Kohlenwasserstoffe auf den Exportmärkten versilbert und das dabei eingenommene Geld für spätere Generationen in einem inzwischen prall gefüllten Staatsfonds gebunkert.

In Österreich gibt es nichts zu bunkern. Die Vorkommen an Öl und Gas im Wiener Becken werden für den Eigenbedarf benötigt, und das, was noch da ist, wird ständig weniger. Wie Norwegen hat Österreich auch kein Atomkraftwerk; anders als Norwegen stand Österreich aber knapp davor, eines aufzusperren.

Seitdem eine knappe Mehrheit der Bevölkerung 1978 gegen die Inbetriebnahme des AKWs Zwentendorf gestimmt hat, gehört es zur DNA jeder Regierung, einen prononcierten Antiatomkurs zu fahren. Ob Temelín oder aktuell Mochovce: Nichts eignet sich besser für einen Schulterschluss von Regierung und Opposition. Da gibt es kein "Ja, aber", kein "Nein, vielleicht". Bei Atom ist die Linie von Regierung und Opposition seit vier Jahrzehnten konsequent: "Wir wollen das nicht, Punkt." Eine ähnliche Konsequenz würde man sich auch in Sachen Kohle wünschen. Noch ist diese, sollte es sie geben, zumindest gut verdeckt.

Vorzeitigen Ausstieg durchsetzen

Dass man aus der Kohle eher früher als später raussoll, ist spätestens seit der Klimakonferenz 2015 in Paris bekannt. Aufgrund des vielen CO2, das beim Verbrennen frei wird, gilt Kohle als Hauptverursacher der Erderwärmung. Von dem knappen Dutzend Kohlekraftwerke, die in Österreich noch in den 70er-Jahren am Netz hingen, sind zwei geblieben: Der vom Verbund betriebene Kohlenmeiler Mellach bei Graz wird 2020 geschlossen, das Kraftwerk Dürnrohr will die mehrheitlich dem Land Niederösterreich gehörende EVN 2025 zusperren. Zu spät, es gehe auch früher und ohne Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit beim Strom, sagen Kritiker.

Wer es gut findet, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die SPÖ auffordert, die sozialdemokratisch geführte Regierung der Slowakei zum Einlenken bei Mochovce zu bewegen, müsste es umgekehrt auch gut finden, dass der Kanzler auf Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner einwirkt, den vorzeitigen Ausstieg der EVN aus Dürnrohr durchzusetzen. Schließlich gehört Mikl-Leitner derselben Partei an wie Kurz. Hier könnte man zeigen, dass der Standort nicht notwendigerweise den Standpunkt bestimmen muss. Noch einen Nebeneffekt hätte die Sache: Die in Ausarbeitung befindliche Klima- und Energiestrategie der Regierung würde an Glaubwürdigkeit gewinnen. (Günther Strobl, 6.5.2019)