Bild nicht mehr verfügbar.

Wenn Lehrer in der Schule brüllen, werden sie nicht unbedingt besser gehört.

Foto: Getty Images

Vorschnell einen "Kulturkampf" im Klassenzimmer auszurufen hält Georg Cavallar nicht für sinnvoll. Im Gastkommentar erklärt der Lehrer an einem Wiener Gymnasium, welche Maßnahmen es braucht, damit "Lehrkräfte wieder (mehr) das tun können, wofür wir ausgebildet wurden, nämlich unterrichten".

Der jüngste Vorfall im Zusammenhang mit schweren Konflikten zwischen Schülern und einem Lehrer an der HTL Ottakring ist in vielen Fragen noch ungeklärt. Deshalb empfiehlt es sich, auf eine Beteiligung an der Hysterie in den sozialen Medien und der Boulevardpresse zu verzichten. Das Ergebnis ist jedenfalls offensichtlich: In dieser Klasse ist bei diesem Lehrer wenig Unterricht möglich gewesen.

Bequemes Narrativ

Immerhin gibt es eine gute Nachricht: Ein bequemes Narrativ geht wohl zu Ende. Es lautete so: Wenn es Probleme gibt, sind die Lehrkräfte schuld, denn die Schülerinnen und Schüler sind jung und können daher nur Opfer sein. Dazu kam die Beschönigung der Realität: "Es ist eh fast alles in Ordnung, unsere Lehrer leisten wunderbare Arbeit, nur vereinzelt gibt es Probleme."

Dieses Narrativ hat Susanne Wiesinger in "Kulturkampf im Klassenzimmer" schon letztes Jahr infrage gestellt. In diesem Buch geht es nämlich nicht nur um "den Islam", sondern auch und vor allem um den Zustand an vielen Schulen im Allgemeinen. Da gehören Beschimpfungen und körperliche Attacken zum Alltag. Die Lehrkräfte werden meistens alleingelassen. Supportpersonal gibt es kaum. Die Schulpsychologin (sofern vorhanden) spendet vielleicht Trost und meint etwa über Beschimpfungen: "Das ist Teil der Jugendsprache. Das dürft ihr nicht überbewerten. Die meinen das nicht so."

Unangenehme Wahrheiten

Wer das Buch genau gelesen hat, sollte also nicht überrascht sein. Nun, wenn das Narrativ wegfällt, ist alles viel komplizierter geworden: Wer ist Opfer, wer ist Täter? Welche Verantwortung tragen die Kollegen an der Schule, welche die Direktion? Sind Parteien gleichzeitig Opfer und Täter?

Pauschale Urteile sind hier wenig hilfreich. Jeder einzelne Fall sollte genau angesehen und differenziert beurteilt werden. Ich vermute aber, dass ein wichtiger Faktor war, dass der betroffene Lehrer als Quereinsteiger an die Schule wechselte. Diese Quereinsteiger haben offensichtlich eine mangelhafte pädagogische Ausbildung. Supervision wäre für neue Lehrkräfte insgesamt, speziell aber für Quereinsteiger essenziell.

Einzelkämpfer und "Wanderpokale"

Noch immer haben wir ein Schulsystem, in dem die Lehrkraft auf sich gestellt als Einzelkämpfer versucht, "im Klassenzimmer zu überleben". Die psychische Belastung ist für viele dann einfach zu groß. Vielleicht sollten wir uns auch mit mehr Ehrlichkeit einer unangenehmen Tatsache stellen: Nicht alles lässt sich mit Supervision und Fortbildung "ausbügeln", manche Lehrkräfte sind für den Beruf einfach nicht geeignet, etwa jene, die sich – wie es im Schuljargon so schön heißt – als extrem "beratungsresistent" erweisen und als "Wanderpokale" von Schule zu Schule gereicht werden.

Vorschläge zur Verbesserung der Situation gibt es viele, und einige davon klingen sinnvoll. Ich unterscheide zwischen "Rahmenbedingungen verbessern" und "Werthaltungen verändern". Eine Rahmenbedingung habe ich bereits genannt: mehr Unterstützungspersonal in den "Brennpunktschulen", mehr Ausbildung für Klassenführung, Schulmediation, Konfliktmanagement, Mobbingberatung. Werthaltungen verändern: Das bedeutet etwa, klare Grenzen zu setzen, klare Regeln festzulegen und sich beständig um deren Einhaltung zu bemühen, um ein respektvolles Miteinander zu ermöglichen. Dazu gehört auch eine Null-Toleranz-Politik bei Gewalt in der Schule.

Unterricht statt Chaos

Vor allem aber einen kühlen Kopf bewahren. Nicht vorschnell etwa einen "Kulturkampf" verkünden (was Wiesinger leider getan hat), sondern erst einmal differenziert fragen, etwa: Vielleicht sind nicht (nur) "die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund" das Problem, sondern (auch) das Laisser-faire, die grenzenlose Nachsicht für jedes Fehlverhalten und für jede Grenzüberschreitung, die wir Lehrkräfte und die vorgesetzten Behörden zu oft an den Tag gelegt haben?

Ziel sollte jedenfalls sein, dass wir Lehrkräfte wieder (mehr) das tun können, wofür wir ausgebildet wurden, nämlich unterrichten. Hoffentlich einigen sich die Verantwortlichen auf vernünftige pädagogische Maßnahmen, ohne dass die Debatte wieder im parteipolitischen und ideologischen Hickhack versandet. (Georg Cavallar, 8.5.2019)