Nellie Bly sucht ihr Glück in New York. Im Alter von 23 Jahren bricht sie im Jahr 1883 auf, um in der großen Stadt eine Anstellung in einem Zeitungsverlag zu finden. Nach vier Monaten erfolgloser Suche erhält sie eine Anstellung in Joseph Pulitzers "New York World". Ein Glücksgriff, denn schon ihre erste Reportage sollte ihr einen Platz in den Geschichtsbüchern des Journalismus sichern. Nellie hat große Ziele, möchte schreiben, auf Missstände aufmerksam machen, die Menschen aufrütteln. Und als sie die Möglichkeit erhält, undercover in einer psychiatrischen Klinik zu recherchieren, ergreift sie die Gelegenheit.

Nellie Bly.
Foto: Public Domain

Sie lässt sich als Patientin in eine der berüchtigten psychiatrischen Anstalten New Yorks, ins New York City Lunatic Asylum auf einer Insel im Hudson River, einweisen, um über das Leben in der Klinik hautnah berichten zu können. Nellie Bly verbringt "Zehn Tage im Irrenhaus":

Zeitreise-Podcast über Blys Experiment.

Ein ungeheures Wagnis mit ungewissem Ausgang, und eines der ersten Beispiele von investigativem Journalismus.

Was hat Bly erlebt?

Nachdem sie zuvor vor dem Spiegel geübt hat, wie man "verrückt" spielt, und daraufhin tatsächlich ins berüchtigte New York City Lunatic Asylum eingewiesen wird, gibt sie ihr Schauspiel auf und verhält sich vollkommen normal. Doch bald muss sie erkennen, dass es sehr viel einfacher gewesen war, in die Anstalt hineinzugelangen, als sie wieder zu verlassen. Während der zehn Tage erlebt sie das Abstumpfen, das mit der täglichen Routine einhergeht, am eigenen Leib. Es gibt keine Abwechslung für die Patientinnen außer der Ratten, die durch die Gänge laufen. Schikanen und Misshandlungen sind an der Tagesordnung, vor allem die Krankenschwestern und -Pfleger führen ein hartes Regime, dem die Ärzte nichts entgegensetzen.

Zeichnung aus der Publikation.
Foto: Public Domain

Die Patientinnen sind Schlägen und unmenschlichen hygienischen Zuständen hilflos ausgeliefert. Und Nellie notiert alle Vorkommnisse präzise, um später darüber berichten zu können. Nach zehn Tagen konnte sie die Klinik, die nicht viel mehr war als eine Aufbewahrungsanstalt für psychisch Kranke, tatsächlich wieder verlassen. Joseph Pulitzer, für dessen Tageszeitung "New York World" Nellie recherchierte, holte sie wie versprochen mithilfe eines Anwalts in die Freiheit. Bereits kurz darauf wurde Nellie Blys Bericht in der "New York World" und in Buchform unter dem Titel "10 Days in a Mad-House" veröffentlicht und löste Bestürzung in der Bevölkerung New Yorks, aber auch in der Stadtregierung aus. Der Bericht zeigte Wirkung. Die Stadt reagierte rasch und nahm eine Menge Geld in die Hand, um den Patientinnen und Patienten ein menschenwürdigeres Leben in den psychiatrischen Anstalten New Yorks zu ermöglichen. Und Bly war mit dieser mutigen Reportage – eines der ersten Beispiele für investigativen Journalismus, das von einer jungen Frau durchgeführt wurde – ein Eintrag in die Geschichtsbücher des Journalismus sicher. (Kurt Tutschek, 10.5.2019)