Lagos, Nigerias ehemalige Verwaltungshauptstadt und derzeitige Handelshauptstadt, hat geschätzte 18 Millionen Einwohner. Diese Zahl wird sich bis 2050 verdoppeln, und die Stadt wird voraussichtlich bis 2100 der bevölkerungsreichste Ort der Welt sein.

Für das aktuell schon enorme Müllaufkommen wird dieses Bevölkerungswachstum natürlich Folgen haben. Lagos produziert derzeit täglich 15.000 Tonnen Müll, berichtet Lawma, die staatliche Abfallbehörde. Lediglich 40 Prozent des täglichen Abfalls werden von der Stadtverwaltung gesammelt. Der Rest wird privaten Unternehmen oder Einzelpersonen überlassenen, die daraus ein Geschäftsmodell entwickelt haben.

Überfüllte städtische Müllsammelstelle in Lagos.
Foto: APA/AFP/PIUS UTOMI EKPEI

Auffällig ist, dass es vor allem junge, gut gebildete Frauen sind, die aus dem Müllproblem ihrer Stadt innovative Ideen entwickeln und mit viel Kreativität erfolgreiche Geschäftsmodelle umsetzen. Allen voran Bilikiss Adebiyi-Abiola, die als der Star der nigerianische Recycling-Branche gilt.

Heimkehrerin

Adebiyi-Abiola, Tochter einer erfolgreichen Mutter aus der Lagoser Oberschicht, hat am angesehenen Massachusetts Institute of Technology in den USA studiert. Nach dem Studium kehrte sie in ihre Heimat zurück und gründete 2012 das Abfallverwertungsunternehmen Wecyclers.

Bilikiss Adebiyi-Abiola im Interview.
NdaniTV

Das Sozialunternehmen kauft den Slumbewohnern von Lagos Plastikmüll, Pappe, Aludosen und Glas ab. Den Müll von rund 10.000 Familien sammeln die Mitarbeiter der Firma per Lastenrad oder Motorradrikscha ein. Etwa 50 Tonnen Plastik im Monat werden auf diese Weise von der Straße geholt und an Recyclinganlagen verkauft. Die Familien, die ihren Müll den Wecyclers überlassen, erhalten per SMS "Belohnungspunkte", die sie gegen Lebensmittel oder Haushaltsgegenstände einlösen können.

Expansion

Derzeit nehmen 17.000 Haushalte an den Sammelaktionen von Wecyclers teil, pro Monat werden rund 200 neue Mitglieder registriert. Das Start-up hat in sieben Jahren 200 Arbeitsplätze geschaffen, 60 Prozent der Müllsammlerinnen sind Frauen.

Wecyclers gewann im März 2019 als erstens Umweltunternehmen den mit 200.000 Euro dotierten Afrikanischen Entwicklungspreis der Brüsseler König-Baudouin-Stiftung. Die Jury-Begründung strotzt vor Optimismus: Das Preisgeld soll dem Unternehmen ermöglichen, innerhalb von Lagos, aber auch in andere nigerianische Städte und Nachbarländer zu expandieren. Nach aktuellen Wachstumsprognosen wollen Wecyclers bis 2020 5.000 Tonnen Wertstoffe sammeln und bis zum Jahr 2023 500.000 Haushalte in ihr System aufnehmen.

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Eine Wecyclers-Mitarbeiterin sortiert Müll in der Sammelstelle.
Foto: REUTERS/AKINTUNDE AKINLEYE

Kreatives aus Müll

Dort, wo die Wecycler mit ihrer Arbeit aufhören, setzt Olamide Babajide-Ayeni mit ihrer kreativen Idee an. Babajide-Ayeni ist ebenfalls eine erfolgreiche Heimkehrerin, die eine vielversprechende Karriere im Ausland gestartet hatte, bevor sie zurückkehrte. Sechs Jahre lang hat sie in den Vereinigten Arabischen Emiraten als Netzwerktechnikerin gearbeitet, bevor sie 2014 das Upcycling-Unternehmen Pearl Recycling gründete.

Eine Wanddekoration, die sie in den Emiraten gekauft hatte, war die Inspiration. "Als ich festgestellt habe, dass der Wandschmuck aus Maisabfällen gemacht wurde, dachte ich: Wir haben doch mehr als genug Müll und Abfälle in Nigeria, wir können das auch, und vielleicht sogar besser", sagte sie einem nigerianischen Wirtschaftsmagazin.

Pearl Recycling stellt inzwischen Möbel aus Holzabfällen, Stroh und anderem Material, das im Müll landet, her. Babajide-Ayeni bildet auch junge Frauen aus und zeigt ihnen in Workshops, wie sie in Müllbergen Brauchbares finden und zu neuen Gegenständen umfunktionieren können.

Cyrus-45-Sitzmöbel aus alten Autoreifen.
Foto: Cyrus45 Factory

Gerade 28 Jahre alt ist Babajide-Ayenis direkte Konkurrentin auf dem Markt der Upcycling-Produkte: Olabanke Banjo war bereits erfolgreiche Bloggerin, als sie Cyrus 45 gründete. Unter diesem Namen verkauft sie inzwischen ausschließlich über Instagram Sitzmöbel, die sie aus Autoreifen herstellt. Die kaufkräftige und Social-Media-affine Jugend Nigerias entwickelt langsam eine Vorliebe für die umweltfreundlichen Produkte der Trendsetterin.

Trotz erfolgreicher und kreativer Ideen der jungen Frauen werden derzeit allerdings nur 13 Prozent des Haushaltsmülls in Lagos recycelt. Zum Vergleich: In Österreich landen 59 Prozent des sogenannten Siedlungsmülls, also jener Abfälle, die Haushalte produzieren, in Recyclinganlagen. Die Megacity Lagos hat ihr Müllproblem noch lange nicht im Griff, aber an Engagement und Ideen fehlt es nicht. (os, 10.5.2019)

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