ORF-Serienchefin Andrea Bogad-Radatz zum Ende von "The Big Bang Theory" – in den USA am 16. Mai, im ORF im September.

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Am 16. Mai 2019 endet in den USA eine Ära: Nach zwölf Jahren und ebenso vielen Staffeln verabschieden sich Leonard, Sheldon, Raj, Howard und der Rest der seltsamen Gang vom Fernsehpublikum. Der ORF hat die Serie seit Beginn im Vorabendprogramm und spielte sie seither rauf und runter, derzeit werktags in 25-minütigen Doppelfolgen ab 19.10 Uhr.

STANDARD: Dank Ihnen kam "The Big Bang Theory" ins ORF-Programm. War beim ersten Blick klar, dass es der Dauerbrenner wird?

Bogad-Radatz: Ganz ehrlich? Als ich die Serie 2007 bei den L.A. Screenings, wo die US Major Studios ihre Serienpiloten präsentieren, zum ersten Mal sah, dachte ich: Geh bitte, das wird es wahrscheinlich nicht lange geben – und damit war ich nicht allein.

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STANDARD: Was hat die Serie so beliebt gemacht?

Bogad-Radatz: "Big Bang" ist für manche wirklich zum Lebenselixier geworden und hat viel bewirkt: Seither werden Nerds nicht mehr belächelt, sondern in ihrer Individualität als etwas Besonderes gesehen. Die Serie hat gesellschaftlich in den jüngeren Generationen etwas verändert. Nerds sind nicht mehr die Außenseiter.

STANDARD: Weil es so schwierig ist, sich von der Masse abzuheben, ist der Außenseiter in der gesellschaftlichen Achtung aufgestiegen?

Bogad-Radatz: So kann man es sagen. Das hat viel mit der Digitalisierung zu tun. Der Erfolg von "TBBT" war weltumspannend, sodass sich die Nerds aller Länder vereinigen konnten und das Phänomen sich verselbstständigte.

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STANDARD: Somit haben Nerds und ORF etwas gemein: Das Ende von "The Big Bang Theory" hinterlässt bei beiden eine Lücke.

Bogad-Radatz: Das ist uns seit längerem bewusst. Es ist aber eine Lücke mit Ablaufdatum, da ja geplant ist, den Vorabend auf ORF 1 komplett mit eigenproduzierten Formaten zu bestücken. Bis es so weit ist, werden wir Serien wie "Mum", "Brooklyn Nine-Nine" bringen.

STANDARD: Kann eine Serie – eine Sitcom mit vielen Folgen, fürs Fernsehen produziert – heute noch einmal über einen so langen Zeitraum einschlagen?

Bogad-Radatz: Gute Frage. "Big Bang" gibt es seit zwölf Jahren, da wurde viel probiert. Der Spin-off "Young Sheldon" zum Beispiel kam weltweit nie an den Erfolg heran. Wir machen die Erfahrung, dass sich das Publikum in der momentanen Fülle an Streaming-Serienangeboten im linearen Angebot sehr gern an starken Marken orientiert. Das trifft auf "Big Bang" zu und auf "Grey's Anatomy". Diese zwei Serien sind im Moment im ORF die starken Anker bei den US-Serien. Neue hochkarätige Angebote greifen nicht zu unserer Zufriedenheit. Das ist übrigens nicht nur im ORF so, sondern auch bei anderen linearen Sendern.

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STANDARD: Wie erklären Sie das?

Bogad-Radatz: Das Publikum von US-Serien weicht auf andere Angebote aus. Das stellen wir besonders beim jungen, urbanen Publikum fest.

STANDARD: "Grey's Anatomy" gibt es seit 14 Jahren, ewig wird es nicht weiterlaufen. Was dann?

Bogad-Radatz: Wir warten täglich auf die Nachricht, dass eine Verlängerung kommt, und hoffen und rechnen fest damit.

STANDARD: Auf längere Sicht heißt das, das Publikum von US-Serien bricht nach und nach weg?

Bogad-Radatz: Wir sprechen immer von den zehn goldenen Jahren des Fernsehens, die 2004 mit Serien wie "Desperate Housewives", "CSI", "Criminal Minds" und "Lost" eingeläutet wurden. Da gab es Jahre, in denen wir fast an jedem Hauptabend der Woche eine Serie spielen konnten. Mit dem Erzählen in Fortsetzungen kam der große Knick, weil sich das Abspielen für Plattformen, nicht aber für lineares Fernsehen eignet. Mittlerweile versuchen die US-Produktionsfirmen, beidem gerecht zu werden und seriell und abgeschlossen zu erzählen. Aber die Antwort auf die Globalisierung ist derzeit die Lokalisierung. Für die große Masse ist das originäre Programm wichtig. Das Publikum schaut lieber "Rosenheim Cops" und "Bergdoktor", weil ihnen die Umgebung vertrauter ist. Beim "Bergdoktor" haben wir auf ORF 2 viele junge Zuschauer.

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STANDARD: Legt sich das wieder?

Bogad-Radatz: Ich rechne damit, dass es bei den Plattformen eine Bereinigung geben wird. Die Reichweiten hat man nicht mehr in der Höhe von vor einigen Jahren, als es die vielen Mitplayer noch nicht am Markt gab.

STANDARD: Hat die Massenproduktion Auswirkungen auf die Preise von Serien? Sind sie günstiger?

Bogad-Radatz: Jein. Die Serien werden für uns günstiger, weil wir zunehmend kostenschonende Preismodelle für Vorabend oder spätabends verhandeln und sie nicht mehr in der Primetime zeigen. Mit dem Überangebot hat das aber nichts zu tun.

STANDARD: Also ungefähr 20.000 Euro pro Folge für eine Stundenserie im Hauptabend und 5.000 Euro mit mehreren Wiederholungen für eine Sitcom im Vorabend.

Bogad-Radatz: Zahlen will ich nicht kommentieren. Langfristige Rahmenverträge mit verschiedenen Partnern waren jedoch lange Zeit ein sehr gutes Modell, weil attraktive Angebote mit mehreren Spielungen regelmäßig ein großes, junges Publikum erreicht haben.

STANDARD: Inzwischen sind US-Serien im ORF ungeliebt und werden gern als Negativbeispiele für Programm in öffentlich-rechtlichem Rundfunk angeführt.

Bogad-Radatz: Ein abwertendes "US-Ware" höre ich dann oft, und dieses Pauschalurteil drückt für mich viel aus. Dabei sind speziell die US-Serien, die wir einkaufen, sehr gut gemacht und haben – siehe "Big Bang" – gesellschaftlich etwas bewirkt. In Sitcoms wurden immer wieder Werte vermittelt, gesellschaftspolitisch relevante Probleme verhandelt, Lösungen gezeigt, und das so, dass man lachen kann. (Doris Priesching, 11.5.2019)

Update: Inzwischen gab CBS bekannt, dass zwei weitere Staffeln von "Grey's Anatomy" in Auftrag gegeben wurde. (prie)