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Die Demokraten haben ein Problem: Je mehr die Debatten in Washington als politischer Streit mit dem Weißen Haus gesehen werden, desto mehr Unterstützung erhält Donald Trump bei seiner Wählerbasis.

Foto: AP Photo/Gerald Herbert

Bis zur ersten amerikanischen Vorwahl Anfang 2020 bleibt nur noch wenig Zeit. Ein dichtes Bewerber- und Bewerberinnenfeld tritt bei den Demokraten an. Dort bilden sich zunehmend zwei Lager. Auf der einen Seite steht eine etwas radikalere Parteielite in den urbanen Zentren, die für einen schärferen Kurswechsel nach links eintritt. In den Flächenstaaten und im Süden dominiert eine kleinere, eher gemäßigte Gruppe. Deren Kandidaten werden jedoch in den Vorwahlen gehörig unter Druck kommen, und zwar von beiden Seiten.

Die Parteilinke sieht sie als ideologisch zu verwässert und als Fortsetzung der Politik der Clintons, welche heute zunehmend kritisch wahrgenommen wird. Auch die Rechte schießt sich auf die Moderaten ein, weil sie weiß, dass von diesen die größere Gefahr ausgeht. Wahlentscheidend für die Demokraten werden in jedem Fall die leicht konservativen Vorstädte sein und dort vor allem die Frauen in der Mittelschicht. Richten die Demokraten jedoch ihren Wahlkampf zu sehr auf die laue Mitte aus, dann droht die eigene Basis zu Hause zu bleiben.

Die Veröffentlichung des Mueller-Untersuchungsberichts hat das Kalkül insofern verändert, als nach allen vernünftigen Erwägungen ein Amtsenthebungsverfahren derzeit vom Tisch ist. Je näher die Wahlen rücken, desto sinnloser wird es ohnehin. Diese Entwicklung ist für die radikaleren Demokraten eine Niederlage, da sie von einem vernichtenden Untersuchungsurteil über Trump ausgegangen waren. Dies hätte die Basis für gezielte weitere Ermittlungen und das Cover für ein Impeachment bieten sollen. Damit würde man in der heraufdämmernden Vorwahlzeit die demokratische Basis leichter mobilisieren können, was im innerparteilichen Kampf dem radikalen Flügel geholfen hätte. Es würde auch das dringend notwendige Fundraising, also das Sammeln von Wahlspenden, erleichtern.

Verfassungsrechtliche Grauzone

Da der Mueller-Report eigentlich zum Ergebnis kommt, dass Präsidenten aufgrund ihrer besonderen Befugnisse de facto nicht nach normalen gesetzlichen Standards belangbar sind und dass vieles um die Präsidentschaft in einer verfassungsrechtlichen Grauzone liegt, fehlt einem Impeachment- Verfahren eine überzeugende Rechtsgrundlage. Politisch wäre es ohnehin noch viel problematischer, da derzeit nur 38 Prozent der Amerikaner für ein Absetzungsverfahren sind, jedoch mehr als 50 Prozent dagegen.

Hätte Mueller die Anklage des Präsidenten empfohlen, dann wären wohl auch die moderaten Demokraten kaum in der Lage gewesen, sich dem Ruf ihrer Basis nach einer Amtsenthebung Trumps zu entziehen. Genau dies hätte jedoch auch das Pro-Trump-Lager beflügelt, weil sich in einer scharf polarisierten innenpolitischen Situation beide Radikalisierungsprozesse gegenseitig bedingen. Aus Sicht der Trump-Wähler wäre dies nicht anders als ein Versuch des Establishments gewesen, den Wählerwillen umzudrehen. Trump wäre als Opfer einer Verschwörung wahrgenommen worden.

Die Führerin der Demokraten im Kongress, Nancy Pelosi, wird nun wohl aufatmen können, denn die Moderaten haben nun die Chance, einige ihrer Kandidaten in Position zu bringen. Daher entschied wohl auch Obamas ehemaliger Vizepräsident Joe Biden ausgerechnet jetzt, in den Ring zu steigen. Ihm schlägt jedoch eine vonseiten der Parteilinken getragene Kampagne entgegen, die Biden vorwirft, zu sehr ein alter weißer Mann von gestern zu sein, der in kulturpolitischen Fragen zu wenig Sensibilität besitze. So kursiert auf Twitter und in diversen Plattformen der Vorwurf, Biden habe sich nicht ausreichend für seine Umgangsformen gegenüber Frauen entschuldigt. Dabei geht es weniger um sexuelle Belästigung als um allgemeine Umgangsformen, die früher als typisch und heute vielfach als problematisch angesehen werden.

In jedem Fall ist Biden aufgrund seiner Bekanntheit ein Kandidat, der binnen kurzer Zeit viel Geld für den Wahlkampf aufzustellen vermag. Zwar scheint sein Erfolg aufgrund seines Alters von 75 Jahren mehr als fraglich, doch kann er allein durch sein Antreten die politische Agenda der Demokraten in Richtung Mitte verschieben, was für andere Moderate wie den neuen Strahlemann Beto O'Rourke von Vorteil sein könnte.

Transparente Gegenstrategie

Die Gegenstrategie Trumps und der Republikaner ist relativ transparent. Man wird zunächst auf die guten Wirtschaftsdaten setzen und dann auf die "Krise" an der Grenze und den daran anknüpfenden Topos. Die Themen Immigration und Nationalismus werden schließlich geschickt mit dem neuen Narrativ des drohenden "Radikalismus und Sozialismus" der angeblich "wild gewordenen linken Demokraten" verknüpft.

Der Tenor lautet: Trump mag Fehler machen, sei aber immer noch besser als die rabiaten Linken. War Hillary Clinton das Symbol für Establishment und Korruption schlechthin, so werden die Parteilinken wie Elisabeth Warren zur Champagner-Schickeria hochstilisiert, die von ihren privilegierten Positionen an Eliteunis herab den einfachen Menschen durch Regulierungswut und Besserwisserei das Leben vermiest. Ein von den Demokraten verabschiedetes Visionspapier zur Umweltagenda, Green New Deal genannt, gilt derzeit unter Konservativen als Beweis dafür, dass den einfachen Menschen bald nicht nur ihre Waffen, sondern auch ihre Autos weggenommen werden würden.

Die andere argumentative Stoßrichtung Trumps insinuiert, dass die demokratische Parteilinke einen "Putsch" (seine Wortwahl) plane. Ziel sei es, den "unbequemen" Trump unter "Missbrauch von Untersuchungsinstrumentarien" mit "wild gewordenen Behörden" und den "Fake-News-Medien" abzusetzen. Durch tägliche Provokationen versucht das Weiße Haus, die Demokraten diesbezüglich zu radikaleren Handlungen verleiten. Auf diese Weise erklärt sich auch Ankündigung des Präsidenten, alle Vorladungen an seine Beamte zu Untersuchungsausschüssen und sämtliche Aufforderungen zur Dokumenteneinsicht zu bekämpfen. Damit nimmt er die vorprogrammierte Verfassungskrise bewusst in Kauf, da der Kongress über verbriefte Kontrollrechte verfügt. Der neue Justizminister William Barr erweist sich hierbei als willfähriger Gefährte Trumps und wirft den eigenen Regierungsbehörden sogar "Spionage" gegenüber Trump vor.

Was Trump hilft

Die Demokraten kommen so zunehmend in Zugzwang, auf die Provokationen zu reagieren. So einigen sich ihre beiden Flügel vorerst darauf, die Blockaden des Weißen Hauses mit rechtlichen Mitteln und weiteren Hearings zu bekämpfen. Jedoch könnte dies letztlich zu einem Konflikt unter den Demokraten selbst führen. Während der radikalere Flügel im Vorgehen Trumps einen weiteren Grund für dessen Absetzung sieht, fürchten die Moderaten, dass die Kontroverse dem Präsidenten eher hilft. Jeder Tag, an dem nicht über Themen wie Krankenversicherung, soziale Ungleichheit und Bildung gesprochen wird, sondern über einen Verfassungskonflikt, der weitgehend als politischer Streit zwischen Demokraten und Republikanern verstanden wird und die bestehenden Animositäten verstärkt, stärkt den Präsidenten bei seiner Wählerschaft.

Auf diese Weise sind die Demokraten im Dilemma. Sie müssen die Kontrollrechte des Kongresses verteidigen, obwohl dies den meisten Wählern eher egal ist, und dabei ihre beiden unterschiedlichen Flügel zusammenhalten; und das angesichts eines Präsidenten, für den alle bisherigen politischen Schranken einfach nicht gelten. (Reinhard Heinisch, 9.5.2019)