Hat nach Einschätzung der Österreicherinnen und Österreicher für die europäische Kultur an Bedeutung gewonnen: Das EU-Parlament in Straßburg

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Linz – Menschenrechte, allgemein zugängliche Bildung und soziale Sicherheit. Das ist der Dreiklang der Werte, die nach Ansicht der österreichischen Wahlberechtigten die größte Bedeutung für die Entwicklung einer europäischen Kultur haben oder schon gehabt haben.

An die letzte Stelle der vom Linzer Market-Institut 808 Befragten vorgelegten 33 Punkte umfassenden Liste wurde der Einfluss der islamischen Kultur gereiht. Nur 27 Prozent meinen, dass dieser für die Entwicklung der europäischen Kultur bedeutsam gewesen sei – 57 Prozent sind der Meinung, dass dies nicht der Fall sei.

Islam und Judentum unter Ferner liefen

An eine Bedeutung des Islam für die kulturelle Entwicklung Europas glauben SPÖ- und Neos-Wähler eher als der Rest der Befragten. Ähnlich ist es um die Einschätzung des Einflusses der jüdischen Kultur bestellt: Er wird von 31 Prozent für bedeutend und von 52 Prozent für vernachlässigbar gehalten – hier ist die positive Einschätzung vor allem bei höher gebildeten Personen und wiederum bei Anhängern der Oppositionsparteien überdurchschnittlich stark ausgeprägt.

Das geht aus einer Market-Umfrage für den STANDARD, durchgeführt vor dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos hervor.

FPÖ-Wähler dagegen sind zu 62 Prozent explizit der Meinung, dass die jüdische Kultur kaum Einfluss auf die Entwicklung der europäischen Kultur hat und hatte. Market-Institut-Leiter David Pfarrhofer, der diese Befragung für den STANDARD durchgeführt hat, sieht bei der FPÖ-Wählerschaft überhaupt ein anderes Kulturverständnis als im Rest der Bevölkerung: "Jeder zweite Befragte hält etwa die Integration von Menschen aus anderen Kulturen für ein Merkmal europäischer Kultur – fragt man aber nur die Freiheitlichen, dann glaubt das von denen nur jeder Vierte. Auch die Freiheits- und Menschenrechte, die in allen Bevölkerungsgruppen hochgehalten werden, sind den FPÖ-Anhängern deutlich weniger wichtig als dem Rest der Bevölkerung."

Respekt vor alten Bauten, kaum vor alten Denkern

Im Vergleich mit einer gleich angelegten Umfrage vor der EU-Wahl 2014 zeigt sich, dass sich das Kulturverständnis der Österreicherinnen und Österreicher in den vergangenen Jahren leicht gewandelt hat: Die alten Handwerkstraditionen hielten 2014 noch 61 Prozent für wichtig, jetzt sind es nur noch 57 Prozent. Die Wertschätzung für alte Architektur ging ähnlich zurück, von 61 auf 56 Prozent.

Pfarrhofer: "Dabei ist der Respekt vor alten Bauten noch deutlich höher als der Respekt vor den alten Denkern. Die antike Philosophie wird für ähnlich unbedeutend gehalten wie die jüdische Kultur. Nur für 31 Prozent der von uns Befragten hat die antike Kultur noch Bedeutung, das sind zehn Prozentpunkte weniger als noch im Jahr 2014."

Soziale Sicherheit wird wichtiger

Zu den Gewinnern zählt das Sozialsystem. Heute sagen 77 Prozent, dass die soziale Sicherheit einen wesentlichen Einfluss auf die europäische Kultur hat, fünf Prozentpunkte mehr als noch vor fünf Jahren. Die soziale Sicherheit wird vor allem von Befragten mit Matura oder Hochschulbildung geschätzt – einen negativen Ausreißer zeigt die Tabelle bei den FPÖ-Wählern, die soziale Sicherheit deutlich weniger stark als Kennzeichen europäischer Kultur ansehen als der Rest der Befragten.

Ähnlich ist das übrigens bei der Vielfalt der Sprachen: Auch sie wird heute nur noch von 54 Prozent (gegenüber 59 Prozent vor fünf Jahren) als Merkmal der europäischen Kultur wahrgenommen – von den FPÖ-Wählern nennen aber nur 37 Prozent diesen Punkt.

Die christliche Religion und die Kirche gelten dagegen Anhängern aller großen Parteien mit 44 bis 50 Prozent als besonders prägend.

Wirtschaft rückt auf, Kunst rückt in den Hintergrund

Zu den um mindestens fünf Prozentpunkte gegenüber dem Jahr 2014 stärker als prägend für die europäische Kultur empfundenen Punkten gehören neben der sozialen Sicherheit der wirtschaftliche Erfolg (heute 75 Prozent), die Gleichstellung von Männern und Frauen (71 Prozent), die politische Zusammenarbeit früher verfeindeter Staaten (70 Prozent), der Respekt vor und der Schutz von Minderheiten (59 Prozent) und die Erinnerung an den Holocaust (55 Prozent).

Pfarrhofer: "Leider muss man sagen, dass die Kunst generell eher ein Verlierer dieses Vergleichs der Umfragen ist. Die Betonung des Sinns der Europäer für das, was schön ist, hat fünf Prozentpunkte auf 44 Prozent abgenommen, die Wertschätzung für europäische Literatur hat sogar von 59 Prozent auf 48 Prozent abgenommen."

Höhere Wertschätzung für das EU-Parlament

Am stärksten gestiegen ist allerdings die Wertschätzung für das EU-Parlament, obwohl die Vergleichsumfrage ebenfalls vor einer EU-Wahl stattgefunden hat: 2014 meinten nur 33 Prozent, dass es zur europäischen Kultur wesentlich beitrage, heute sagen das 48 Prozent.

Auffallend ist, dass in der Wunschliste zu den Folgen der EU-Wahl zwei Punkte stehen, die in gewissem Widerspruch zueinander stehen. Pfarrhofer: "Zwei Drittel der Befragten wünschen sich, dass die Europäische Einigung beschleunigt wird. Andererseits sagt jeder Zweite, dass die 'nationalen Kräfte' gestärkt werden sollten. Das legt den Schluss nahe, dass die Leute irgendwie mehr Österreich in Europa statt mehr Europa in Österreich wollen." (Conrad Seidl, 18.5.2019)