Aus Kommentaren internationaler Tageszeitungen zu dem Video, das Heinz-Christian Strache bloßstellte, seinen Rücktritt bewirkte und eine Regierungskrise in Österreich auslöste.

Il Messaggero: Politische Bombe

"Eine politische Bombe explodiert in Österreich eine Woche vor den EU-Parlamentswahlen. Ein Skandal dieser Art ist noch nie in der republikanischen Geschichte Österreichs geschehen".

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: König, Dame, Neuwahl

"Was Heinz-Christian Strache (...) von sich gegeben hat in einer Finca auf Ibiza, nicht ahnend, dass er gefilmt wurde, das richtet sich selbst. Man vermag kaum zu sagen, was schwerer wiegt: Die Bereitschaft zur Korruption, die da zutage tritt, die undemokratische Auffassung von Pressefreiheit, der Größenwahn? Oder die Torheit, mit der er zusammen mit seinem politischen Ziehsohn Johann Gudenus in die Falle getappt ist? Jeder einzelne dieser Punkte disqualifiziert ihn für jedes öffentliche Amt."

Süddeutsche Zeitung: Kein Opfer

"Heinz-Christian Strache hätte an diesem Abend aufstehen können und gehen, als die beiden Lockvögel zum ersten Mal Gegenleistungen forderten, die ein ehrlicher und an Recht und Gesetz interessierter Politiker in einer Demokratie nicht geben darf. Niemals geben darf. Nie, nie, nie. Aber Strache ist sitzen geblieben.

Alkohol hat ihm möglicherweise gegen Ende des mehr als sechsstündigen Gesprächs die Sinne getrübt – aber Heinz-Christian Strache wollte schon früh an diesem Abend wissen, wie der angebliche Kauf der 'Kronen Zeitung' vorangehe, den die angebliche russische Millionärin in Aussicht gestellt hatte. Ob es da Konkretes gebe, fragte er. Vor allem aber: Dieser Abend steht nicht alleine. Er wurde über Monate vorbereitet von Straches engstem politischem Verbündeten Johann Gudenus. Strache war offenbar auch gebrieft – wie sonst hätte er einleitend fragen können, was 'da schon vorangeschritten' sei? Nein, Heinz-Christian Strache ist kein Opfer von dunklen Machenschaften. Er war offenbar empfänglich für korrupte Angebote. Deswegen musste er völlig zu Recht zurücktreten."

Der Spiegel: Geschickter Schachzug

"Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ist mit seinem Vorhaben, mit Rechtspopulisten zu koalieren, krachend gescheitert. Nun will er Neuwahlen und möglichst alleine regieren. Das ist ein riskanter, aber geschickter Schachzug. (...)

Der größte Fehler von Kurz: Er hat den Rechtspopulisten den Weg in Regierungsämter geöffnet und sie damit salonfähig gemacht. Er hat dazu beigetragen, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben und die Stimmung in Österreich zu vergiften. Er hat dabei mitgemacht, jedes Problem am Ende irgendwie auf Ausländer und Flüchtlinge zurückzuführen. Sündenböcke braucht das Land! – in dieser Haltung stand er der FPÖ in nichts nach."https://www.sueddeutsche.de/politik/kurz-strache-fpoe-populisten-1.4453026

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"Krachend gescheitert": Sebastian Kurz Samstagabend bei der Neuwahlankündigung.
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Süddeutsche Zeitung: Kurz' Komplizenschaft

"Kanzler Kurz hat nun die Reißleine gezogen, mit dem prägnanten und schon auf Wahlkampf getrimmten Satz: "Genug ist genug". Das klingt tatkräftig, verschleiert aber die eigene Schuld am Desaster. Denn allzu lange hat Kurz die Umtriebe der FPÖ unkommentiert gelassen. Dass er nun die Koalition aufkündigt, hat wenig mit der von ihm zur Schau gestellten staatsmännischen Verantwortung zu tun. Es geht auch hier zuvörderst um jenes persönliche Machtkalkül, mit dem er vor anderthalb Jahren die FPÖ in die Regierung geholt hat, allen absehbaren Folgen zum Trotz. Nun erscheint ihm der Zeitpunkt günstig, bei Neuwahlen noch ein paar Stimmen mehr zu holen. (...)

Sollte es sein Ziel gewesen sein, die Rechtspopulisten zu zähmen, indem er sie in Verantwortung einbindet, so ist das krachend misslungen. Deutlich geworden ist vielmehr, wie ansteckend der Virus des Populismus ist. Seine Koalition war auch Komplizenschaft."

Basler Zeitung: Macht um fast jeden Preis

"Das heimlich mitgeschnittene Video in Ibiza zeigt es ganz deutlich: Rechtspopulistischen Führern wie Österreichs Heinz-Christian Strache geht es nicht um den Schutz der Heimat, nicht um den kleinen Mann, nicht um die islamistische Gefahr. (...) Es geht also ganz alleine um Macht, um fast jeden Preis. Man hat das natürlich schon vermutet, bei Strache genauso wie bei Italiens Matteo Salvini oder Frankreichs Marine Le Pen. Aber noch nie wurde es so klar vermittelt.

Ein Video können selbst treue Wähler der Rechtspopulisten nicht mehr als Fake-News abtun: Die Macht der Bilder hat die FPÖ nach oben getragen. Jetzt hat sich diese Macht gegen sie gewandt und ihre Allmachtsträume beendet. Viermal waren Rechtspopulisten in Österreich in den vergangenen 30 Jahren in Koalitionsregierungen, viermal haben sie diese gesprengt. In der Regierung produzierten sie vor allem Hetze und Skandale. Sie sind nicht kompromissfähig, sie können nicht regieren. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz musste das wissen, als er mit Strache eine Partnerschaft einging. Er trägt damit die Mitverantwortung für eine der schwersten Regierungskrisen der Zweiten Republik. Er mag ein genialer Taktiker sein, wirkt aber in der Krise völlig hilflos. Sein Nimbus des Siegers ist weg. Strache ist Geschichte, Kurz zumindest schwer angeschlagen."

Neue Zürcher Zeitung: Populistendämmerung?

"Noch ist der europäische Rechtspopulismus nicht besiegt. Kurz bevor sich am Samstag an einer Kundgebung in Mailand Europas Rechtspopulisten gegenseitig noch einmal Mut machten für den geplanten Durchmarsch bei den Europawahlen, musste in Wien einer ihrer wichtigsten Verbündeten den Hut nehmen. Mit Heinz-Christian Strache ist eine der Vorzeigefiguren der europäischen Rechten über ein kompromittierendes Video gestolpert. Stehen wir jetzt am Anfang der Populistendämmerung in Europa? So sehr man sich das auch wünschen würde: Es ist wenig wahrscheinlich.

Denn noch haben die etablierten Volksparteien kein Rezept gefunden, um die Salvinis und Le Pens zu bekämpfen. Die Vorgänge in Österreich zeigen es exemplarisch: Es hätte gute Gründe gegeben, Strache wegen seiner Politik oder wegen seiner Vergangenheit abzuberufen. Doch zu Fall gekommen ist er, weil man ihm eine Falle gestellt hat."

Der Tagesspiegel: Die Herausforderung von Wien

"Kein Demokrat darf jetzt noch, nach allem, was bekannt ist, den anarchischen Ansatz zur Zerstörung des Bestehenden, der Grundfesten des Staates, unwidersprochen lassen. Und kein Konservativer darf sich seinen Begriff nehmen lassen. Das ist die Herausforderung von Wien.

Ein Erfolg hätte natürlich europaweite Ausstrahlung – im einen wie im anderen Fall. Aber mit der Lage in Österreich verbunden ist eben genau die Hoffnung, jedenfalls im Stillen, dass sich das Ergebnis kathartisch auf die Nachbarstaaten auswirkt, auf Italien, Ungarn, Tschechien. Was pathetisch klingt, ist schlicht wahr: Sebastian Kurz handelt in Österreich in europäischer Verantwortung. Es wäre gut, wenn die europäischen Kollegen, zumal die Konservativen, das würdigten. Und ihn so ermutigten, dem tragenden Gedanken Geltung zu verschaffen, dass Solidarität der Demokraten zur abendländischen Kultur gehört."

Neue Zürcher Zeitung: Konservativer Posterboy

"Es ist darüber hinaus aber auch das vorläufige Ende des Experiments von Sebastian Kurz. Dieser gefiel sich in der Rolle als Posterboy der Konservativen, dem es angeblich gelungen war, die Rechtspopulisten einzubinden und mit straffer Führung zu zähmen. Dafür wurde er europaweit beklatscht, auch wenn die gelobten Reformen auf den zweiten Blick viel zu zaghaft ausfielen.

Kurz' Vorzeigeprojekt ist gerade spektakulär gescheitert – mit Wirkung weit über die Landesgrenzen hinaus. Denn wenn es die Absicht war, das Video ausgerechnet eine Woche vor der EU-Wahl publik zu machen, um die Problematik einer Beteiligung der rechtspopulistischen Kräfte an der Macht aufzuzeigen, dann ist dieses Kalkül aufgegangen."

Die Tageszeitung: Das System FPÖVP

"Seit 2017 haben in Österreich die konservative ÖVP und die rechtsradikale FPÖ nun regiert, und eines ist in diesen knapp anderthalb Jahren sehr sichtbar geworden: Diese beiden Parteien bilden ein System. Die jungen Emporkömmlinge in der ÖVP, die mit dem aktuellen Kanzler Sebastian Kurz an die Macht gekommen sind, krempeln das Land nach ihrem marktradikalem Gusto um. (...)

Und sie versorgen dabei ihre Freunde. Der Milliardär René Benko beispielsweise konnte im vergangenen Jahr gen Weihnachten ein Kaufhaus vergleichsweise billig erwerben, und es spricht vieles dafür, dass ihm Kanzler Kurz dabei zur Seite sprang. Der neoliberale und der autoritäre, rassismusgetriebene Staatsumbau gehören zusammen. Die Menschen, die am Samstag in Wien auf dem Ballhausplatz gestanden und Neuwahlen verlangt haben, wollen keine Ameisen sein. Sie wissen, dass eine Gesellschaft ohne Konsequenzen die Gefahr birgt, zu einer Diktatur der Verantwortungslosigkeit zu mutieren, in der irgendwann nur noch der Stärkere recht hat. Der Sturz des Heinz-Christian Strache bietet da eine Chance: Dass die gefährliche Bewegung doch noch aufgehalten wird."

Die Zeit: Keine Gegner

"Was kommt nun? Die ÖVP hofft darauf, enttäuschte Wähler der Freiheitlichen einzufangen. Schon einmal hat das funktioniert, im Jahr 2002, als die damalige schwarz-blaue Koalition nach Turbulenzen in der FPÖ aufgekündigt wurde und die Konservativen 15 Prozentpunkte zulegen konnten. Auch wenn er in der aktuellen Situation das erste Mal schwach wirkte und für kurze Zeit nicht mehr voll handlungsfähig war: Für Kurz könnte der Zeitpunkt für Neuwahlen nicht günstiger sein. Echte Gegner hat er wenige."

Kommersant: Versteckte Kamera

"Es bleibt zu hoffen, dass die vorhandenen bilateralen Kanäle stark genug sind, sowohl die Neubesetzungen in der Regierung auszuhalten als auch die Tatsache, dass österreichische Teilnehmer beliebiger informeller Treffen mit Russland nunmehr an eine versteckte Kamera hinter dem Sofa denken werden."

Die Welt: Straches Kompromat

"Unabhängig davon wirft die Art und Weise, wie es zu Straches Rücktritt kam, Fragen auf. Sie sind politischer und medienethischer Natur. Strache wurde gefilmt, ohne davon zu wissen – eine klassische Falle. Im Jargon russischer Geheimdienste handelt es sich um Kompromat. Bei dieser Aktion wurde nicht nur recherchiert, hier wurde vor allem inszeniert: Wer auch immer dahintersteckt, kann sich nicht auf die Rolle eines Journalisten zurückziehen, der zufällig (oder absichtlich) dabei war, als Strache seine demokratiefeindlichen Pläne absonderte. Die Situation wurde vielmehr bewusst geschaffen, um Strache bloßzustellen."

Komsomolskaja Prawda: Femme fatale

"(...) Der Anlass für die politische Erschütterung ist mehr als ernst: In Medien tauchte ein Video mit dem mitregierenden Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf, der noch vor seiner Ernennung, im Sommer 2017, alle möglichen korrupte Schemen in Gesellschaft von 'Aljona Makarowa', der 'Nichte' eines russischen Oligarchen, besprach: Diese Femme fatale war wahrscheinlich entweder eine Agentin westlicher Geheimdienste oder sie hat in ihrem Interesse gehandelt." (19.5.2019, Update 20.5.2019)