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Das Land braucht jetzt eine handlungsfähige Regierung, in Kürze stehen wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene an; darunter muss der österreichische Kommissar bestimmt werden. An der Spitze braucht Österreich jetzt keinen Wahltaktiker, sondern einen Staatsmann.

Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Sebastian Kurz' Projekt ist gerade krachend gegen die Wand gefahren; sogar viele Unterstützer der Koalition mit den Rechten atmen auf, dass sie gescheitert ist. Sofort nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos ist Kurz in den Wahltaktiker-Modus gewechselt, um am Ende als Gewinner aus der Krise zu gehen. Womöglich gelingt es ihm sogar.

Das Video kommt Kurz genau zur rechten Zeit: Zuletzt ist die ÖVP für ihre Zusammenarbeit mit der FPÖ wegen der vielen rechten "Einzelfälle" auch in der eigenen Wählerschaft unter Druck geraten. Um seine Regierung fortführen zu können, musste der Kanzler bereits einen internationalen Imageverlust für sich und für das ganze Land hinnehmen. Mit dem Video kam die Gelegenheit, sich des problematischen Partners zu entledigen.

Der Kanzler hat anhaltend hervorragende Umfragewerte. Die anderen Parteien tun sich gerade schwer, schnell einen Wahlkampf auf die Beine zu stellen. Und Kurz stellt sich in seiner Rede praktisch als alternativlos dar: Die SPÖ? Bedeutet Stillstand. Die Grünen und die Neos? Zu klein. Diese FPÖ? Offensichtlich nicht regierungsfähig.

Kurz' Bild ist: Nur er steht für Veränderung. Damit kehrt er zurück zu seinem ursprünglichen Wahlversprechen, für das ihn viele Menschen gewählt haben. Kein Wort davon, dass Kurz es war, der die Rechten in höchste Ämter geholt und sie salonfähig gemacht hat; kein Wort davon, dass er als Regierungschef zu verantworten hat, dass seine Regierung gescheitert ist.

Wettstreit der Grauslichkeiten

Bei den Neuwahlen hat die ÖVP das größte Potenzial bei enttäuschten FPÖ-Wählern. Sie muss Kurz umwerben, um zu gewinnen. Inhaltlich sind sich die beiden Parteien bei der Migration ohnehin recht ähnlich. Es ist zu erwarten, dass es bei diesem Thema im Wahlkampf zu einem Wettstreit der Grauslichkeiten kommen wird.

Ob FPÖ-Wähler bereit sind, zur ÖVP zu wechseln, entscheidet sich auch an der Frage, was für sie mehr wiegt: Die Wut über das Fehlverhalten von Heinz-Christian Strache? Oder das Mitleid mit ihm, der bei seiner Rücktrittsrede reumütig die Schuld auf sich genommen hat? Was wiegt mehr: Die Enttäuschung über das wahre Bild der Parteispitze? Oder der Ärger über die ÖVP, die den Rückzug von Innenminister Kickl gefordert haben soll, um die Regierung fortzuführen? Heute gibt es noch kein klares Bild darüber. Zumal mit Norbert Hofer bei der FPÖ nun ein Politiker in führender Position ist, für den bei den Präsidentschaftswahlen viele Menschen gestimmt haben.

Kurz braucht nach dem Ibiza-Video eine Firewall zur FPÖ als Partei, aber zugleich eine sehr einladende Brücke zur FPÖ-Wählerschaft. Daher wäre es für ihn am besten, wenn sich die FPÖ-Spitze bei ihrer – zu Redaktionsschluss noch andauernden – Gremiensitzung von selbst entscheidet, die Regierungsämter zu verlassen. Dann müsste Kurz nicht eingreifen und potenzielle Wähler vergrämen.

Tut ihm die FPÖ nicht den Gefallen, ist es jedoch seine Pflicht, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen. Er hat das Bündnis mit den Rechten geschmiedet – er muss es nun wieder lösen. Kurz muss dem Bundespräsidenten die Entlassung der FPÖ-Minister vorschlagen. Dann kann er Experten an ihrer Stelle holen. Das Land braucht jetzt eine handlungsfähige Regierung, in Kürze stehen wichtige Entscheidungen auf EU-Ebene an; darunter muss der österreichische Kommissar bestimmt werden. An der Spitze braucht Österreich jetzt keinen Wahltaktiker, sondern einen Staatsmann. (Martin Kotynek, 19.5.2019)