Fand in seiner Rede, nachdem Kanzler Sebastian Kurz Neuwahlen verkündet hatte, deutliche Worte: Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

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Kommen die Neuwahlen zu früh für Pamela Rendi-Wagner und die SPÖ?

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Neuwahlen sind angekündigt, und nun? Politik- und Medienberater Peter Plaikner widmet sich im Gastkommentar der innenpolitischen Gemengelage.

"So sind wir nicht. So ist Österreich einfach nicht." Also sprach Alexander Van der Bellen in der einzigen Rede an die Nation, die am 27.049ten Tag der Zweiten Republik den richtigen Ton getroffen hat. Der Bundespräsident formulierte damit den indirekten Auftrag an Bürger wie Parteien, deutlich zu zeigen, wie anders Österreich ist.

Für den seit exakt 17 Monaten amtierenden Bundeskanzler ist das eine Alleinregierung. Sebastian Kurz ließ in seiner Neuwahlankündigung keinen Zweifel daran, dass er nicht nur den Schüssel spielen will. Sein Vorvorvorvorgänger hatte nach Beendigung der ersten schwarz-blauen Koalition 2002 die ÖVP auf 42,3 Prozent (plus 15,4 Prozentpunkte) gebracht. Doch für die neue Volkspartei ist das Ausgangsniveau höher, ihre Galionsfigur agiert hypertropher: Kurz will für sein juvenil türkises Kaperprojekt der angegrauten Altpartei die absolute Mehrheit. Die Abwägung dieses persönlichen Hochrisikos hat das Land einen Tag lang auf das überfällige Kanzlerwort warten lassen.

Rotes Selbstbewusstsein

Kurz weiß um seine grundsätzliche Entzauberung durch das Scheitern der Koalition und die allzu lange Duldung aller demokratiegefährdenden Unsäglichkeiten des blauen Juniorpartners. Deshalb nahm er eine kurzfristige weitere Selbstbeschädigung infolge seines samstäglichen Zögerns in Kauf, um die Chancen der Variante "Alles oder nichts" abzuwägen. Angesichts der parallelen Schockstarre des logischen Hauptgegners kann dieses Kalkül sogar aufgehen.

Die Sozialdemokraten lieferten einen Offenbarungseid in Sachen taktischer Medienkommunikation, als tausende Oppositionelle den Ballhausplatz vereinnahmten. Anstatt auf allen Sendern die Nachdenkpause des Gegners für eine eigene Botschaft zu nutzen, die über "Neuwahlen jetzt" hinausgeht, ließen sie sich von dessen Schweigsamkeit anstecken. Sie platzierten ihr Statement dann aber zur schlechtesten – statt wie er zur besten – Sendezeit. Dass Pamela Rendi-Wagner schließlich im Interview weder "die erste Bundeskanzlerin" werden will noch den Anspruch der SPÖ auf Platz eins verkündet, lässt zumindest Rückschlüsse auf ein situativ gefährlich geringes Selbstbewusstsein zu – bei Person wie Partei. Um den Absolutheitsanspruch der ÖVP zu stoppen, braucht es weitaus mehr rote Kampagnenfähigkeit.

Blaue Achillesferse

Eine Voraussetzung dafür ist allerdings die rasche Selbstreinigung. Um als glaubwürdige Alternative agieren zu können, muss Landeshauptmann Hans Peter Doskozil die Koalition von SPÖ und FPÖ im Burgenland beenden – so wie Bürgermeister Klaus Luger das rot-blaue Arbeitsübereinkommen in Linz. Sonst gibt Österreichs drittgrößte Stadt nach dem rot-grünen Wien und dem schwarz-blauen Graz das falsche Regierungssignal.

Im schwarz-grünen Vorarlberg, das am 22. September den Landtag wählt, hat Landeshauptmann Markus Wallner die FPÖ bereits als Partner für danach ausgeschlossen. Seine ÖVP-Amtskollegen in Tirol und Salzburg sind sich mit ihm einig und seit 2018 erneut mit Grün unterwegs (an der Salzach plus Pink). So wie es für die SPÖ das Burgenland war, bleibt für die ÖVP Oberösterreich die blaue Achillesferse. Während in Kärnten klar rote und in Niederösterreich absolut schwarze Verhältnisse herrschen, ist die Steiermark die letzte schwarz-rote – beziehungsweise noch umgekehrt – Bastion. Sie wählt ebenso wie das Burgenland und Wien 2020 den Landtag. Zumindest laut Plan.

Alle gegen einen

Doch so wie in der Hauptstadt dominieren auch in den Bundesländern bei den entscheidenden Parteien eher Terminspekulation und Machtkalkül als die dringendere Frage nach Glaubwürdigkeit. Die Antwort darauf aber werden die Wahlen geben. In fünf Tagen, in vier Monaten und 2020. Ganz im Sinne Van der Bellens: "So ist Österreich einfach nicht." Das bedeutet nach der Ansage von Kurz: alle gegen einen. Unter der Annahme, dass die FPÖ wie 2002 auf zehn Prozent abstürzt und für niemanden ein Partner ist, bedeutet dies nahezu zwangsläufig einen Lagerwahlkampf von Rot, Pink und Grün – eine Kombination ohne Rolemodel in den Ländern – gegen Türkis/Schwarz – ein inhaltlich irrlichterndes Zwei-Marken-Modell.

Rendi-Wagner erhält früher eine Chance, als sie sich erarbeitet hat und die aufgrund persönlicher Performance eher Beate Meinl-Reisinger zustände. Ihre Neos sind aber wie die Grünen in der komfortablen Lage, bei einer künftigen Mitte-links-Regierung sicher Königsmacher und auch bei mangelnder türkiser Absolutheit in der Ziehung zu sein. Dabei stellt sich bei den Grünen allerdings noch stärker die Personalfrage als in der Sozialdemokratie.

Kurz, ein "Comeback-Kid"?

Ob Kurz sich im Herbst vom Ausland als strahlendes "Comeback-Kid" abfeiern lassen kann, hängt davon ab, was die FPÖ-Anhänger tun: Nicht oder Türkis wählen erscheint nach den Erfahrungen von 2002 am wahrscheinlichsten. Gegenüber 1999 sind damals bei gestiegener Wahlbeteiligung die Stimmen für FPÖVP insgesamt nur von 54 auf 52 Prozent gesunken. 2017 hatten Volkspartei und Freiheitliche zusammen 57 Prozent. Ob Sozialdemokraten, Neos und Grüne aus diesem Potenzial ausreichend Stimmen für eine gemeinsame Mehrheit gewinnen können, hängt in hohem Maße von einer koordinierten Strategie und der Strahlkraft der Spitzenkandidaten ab. Wichtiger aber noch ist die Formulierung einer klaren Alternative dazu, wie Österreich laut Van der Bellen nicht ist. Sonst wird es so, wie Kurz es will. (Peter Plaikner, 20.5.2019)