Eine Zukunft ohne Blau stellte sich dieser Demonstrant am Sonntag in Wien vor.

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Wien – Für Lena Jäger, Sprecherin des vor einem Monat vom Nationalrat umsetzungslos abgefertigten Frauenvolksbegehrens, birgt das Ende von Türkis-Blau neue Herausforderungen: "Seit Samstag habe ich eine Reihe ernsthafter Anfragen erhalten, ob wir jetzt eine Frauenpartei gründen", sagt sie im STANDARD-Gespräch.

Viele frauenpolitisch Engagierte würden in der bevorstehenden Neuwahl und dem darauffolgenden Regierungswechsel "einen Hoffnungsschimmer" erblicken – "auf Änderungen in Richtung einer Gesellschaft, in der alle Menschen als Gleiche gelten", sagt Jäger.

Zwar sei die Ibiza-Affäre "wohl noch lange nicht ausgestanden", was "das Grundvertrauen in der Gesellschaft" erschüttern und die Bereitschaft, an Wahlen und andere demokratische Abläufen teilzunehmen, mindern könne.

Lena Jäger, Frauenvolksbegehren: "Ich habe seit Samstag eine Reihe ernsthafter Anfragen erhalten, ob wir jetzt eine Frauenpartei gründen."
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Regierung der Frauen

Doch angesichts der vielen Fernsehdiskussionen zur Causa prima, bei denen zumeist männliche Türkis-Blau-Repräsentanten auf Politikerinnen der großteils von Frauen geleiteten Opposition stießen, habe sie bereits "von einer künftigen Regierung zu träumen gewagt, die von drei Frauen geleitet wird".

Chancen für das eigene Anliegen – aber ohne jegliche parteigebundene Präferenzen – sieht auch eine Sprecherin des Fridays- For-Future-SchülerInnen-Klimastreiks: "Egal, welche Regierung aus welchen Parteien nach der Neuwahl herauskommt, für den Klimaschutz werden wir von Anfang an mit ihr kooperieren müssen", sagt sie.

Klimawandel vermitteln

Die vordringlichste Maßnahme werde dabei "der österreichweite Aufbau eines öffentlichen Verkehrsnetzes mit Preisen, die sich alle Menschen leisten können", sein. Überhaupt müsse den Politikern vermittelt werden, "dass Klimaschutz kein Luxusthema ist". Daher gelte es, keine Partei zu verprellen.

Verbesserungen in Sachen Pressefreiheit, bei der Österreich im Ranking von Reporter ohne Grenzen 2018 weltweit von Platz elf auf Platz 18 zurückfiel, hält Rubina Möhring, Präsidentin der Journalistenorganisation, hierzulande für möglich.

Ein Weg könne die aus dem Ibiza-Video abzuleitende Erkenntnis von Journalisten sein, "in welchen Ausmaß – zack, zack, zack – ihnen bei manchen Politikern Missachtung entgegenschlägt". Und der entsprechende Zorn.

Rubina Möhring, Reporter ohne Grenzen: "Inakzeptabel, dass Journalisten bei den aktuellen Presseauftritten von Bundeskanzler Sebastian Kurz und anderen Politikern ohne anschließende Fragemöglichkeit abgefertigt werden."
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"Kritische Fragen stellen"

Künftig gelte es daher, "sehr viele kritische Fragen zu stellen", sagt Möhring. Den in der derzeitigen Regierungskrise agierenden Politikern erteilt sie in diesem Zusammenhang eine Manöverkritik:

Es sei "inakzeptabel", dass Journalisten bei den aktuellen Presseauftritten von Bundeskanzler Sebastian Kurz und anderen Politikern ohne anschließende Fragemöglichkeit abgefertigt würden.

Derlei sei "ein Verstoß gegen die Pressefreiheit", sagt Möhring. Es ziehe Medienvertreter in etwaige politische Inszenierungen mit hinein. Stattdessen müsse aber klar sein: "Journalisten sind keine Statisten."

"Trommelfeuer gegen Asylwerber"

Wenig optimistisch blickt Herbert Langthaler von der österreichischen Asylkoordination in die Zeit nach Türkis-Blau. "Wir glauben nicht, dass sich der flüchtlingspolitische Diskurs entspannen wird", sagt er. Jahrelang bereits sei die österreichische Bevölkerung einem "Trommelfeuer gegen Asylwerber" ausgesetzt.

Und jetzt komme ein Wahlkampf, in dem wohl die meisten wahlwerbenden Parteien – "auch Parteien aus der Opposition" – dem Thema Asyl "weit über dessen derzeitige tatsächliche Wichtigkeit hinaus" Platz einräumen würden.

Nötig, so Langthaler, sei vielmehr das krasse Gegenteil. "Das Thema Asyl muss dringend heraus aus dem Sumpf, der so viel Angst macht", sagt er. Denn die Asylantragszahlen in Österreich seien inzwischen "extrem niedrig", und bei der Frage internationalen Schutzes handle es sich um eine von der Republik einzuhaltende "menschenrechtliche Verpflichtung".

Mindestsicherung neu zurücknehmen

Auf eine Besinnung auf "Dinge, die den Menschen existenziell unter den Nägeln brennen", hofft auch Klaus Schwertner, Generalsekretär der Wiener Caritas. Die künftige Regierung, wie immer sie auch aussehen mag, müsse sich auf Themen wie Bildung, Arbeit, von der man leben kann, Pflege sowie Digitalisierung konzentrieren. Schwertner hofft auf eines: "Dass die unfaire Mindestsicherungsreform zurückgenommen wird."

Bei der Diakonie erhofft sich Direktorin Katharina Moser indes eine Zähmung des Tons: "Gerade in Zeiten des Wahlkampfs, die vor uns liegen, sollte von allen Parteien ein neuer Stil gepflegt und offen auf die Betroffenen und auf Sozial- und Hilfsorganisationen zugegangen werden", sagt sie. (Irene Brickner, 21.5.2019)