Der Auszug aus den Ministerien stürzt die Freiheitlichen auch in ein organisatorisches Chaos: "Bereits zwei Stunden vor der Angelobung der Neuen hat man uns die Zutrittskarten gesperrt", klagt ein Exmitarbeiter im Vizekanzleramt. In den Büros des FPÖ-Klubs hinter dem Parlament säßen "die Leute aufeinander", weil dort ehemalige Bedienstete aus diversen Kabinetten untergebracht werden müssten. Selbst Exinnenminister Herbert Kickl steckt in einem Tohuwabohu, kurz angebunden erklärte er dem STANDARD: "Ich habe jetzt keine Zeit. Ich muss einmal Ordnung hineinbringen. Derzeit habe ich nicht einmal einen Schreibtisch!"

Kanzler Kurz ist jetzt bereit zu Gesprächen – doch SPÖ, FPÖ und Jetzt schickten nur die zweite Garnitur. Dafür erschien Neos-Klubchefin Meinl-Reisinger höchstpersönlich.
Foto: APA / Roland Schlager

Nach außen ist die FPÖ seit dem Auffliegen von Ibiza-Gate und dem Abtritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache freilich um Geschlossenheit bemüht: Rasch stellten sich alle neun blauen Länderchefs hinter Exverkehrsminister Norbert Hofer als designierten Parteichef und meinten, dass er auch gleich den Spitzenkandidaten für die Neuwahl geben solle. Als so gut wie fix gilt, dass er und Kickl wieder ihr erlangtes Mandat im Nationalrat annehmen – Letzterer soll Klubchef werden. Und während sich Hofer bereits in verbindlicher Rolle übt, gibt Kickl weiterhin den Scharfmacher – der auch Sebastian Kurz (ÖVP) das Fürchten lehren will.

Denn am Montag wird die Liste Jetzt bei der Sondersitzung des Nationalrats einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler einbringen – und neben der SPÖ erwägt auch die FPÖ, Kurz mit diesem Instrument zu Fall zu bringen. Vor dem Showdown zu Wochenbeginn wiederholen daher blaue Abgeordnete gebetsmühlenartig Kickls ausgegebene Parole, seit er auf Vorschlag von Kurz als Innenminister entlassen wurde: Wer der FPÖ misstraue, dem könne man auch kein Vertrauen entgegenbringen. Ein Blauer will sich nicht festlegen, ob manche FPÖ-Abgeordnete doch Skrupel in Bezug auf ein solches Votum haben, nur so viel: "Unsere Entscheidung zum Misstrauensantrag wird Montagfrüh bei einer Klubsitzung fallen."

Misstrauen ohne Ende

Kickl selbst legte am Donnerstag via Facebook nach – und attackierte auch den Bundespräsidenten: Alexander Van der Bellen habe Kurz den "Steigbügelhalter" für dessen "schwarzes Machtkartell" gemacht – eine Anspielung darauf, dass das Staatsoberhaupt in Absprache mit dem Kanzler anstelle der FPÖ-Minister in Windeseile vier Experten in der nunmehrigen ÖVP-Minderheitsregierung angelobt hat.

Wollen FPÖ und SPÖ ihre Drohungen mit dem Misstrauensvotum gegen Kurz wahrmachen, ist Absprache angesagt: Am Donnerstagnachmittag lud der Kanzler die Parteiobleute der Opposition zu Gesprächen ins Kanzleramt – doch Rot, Blau und Jetzt schickten zur Provokation nur Vize-Klubchef Jörg Leichtfried, Noch-FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz und den einfachen Jetzt-Abgeordneten Peter Pilz hin. Prompt warb Kurz mit Angeboten um ihr Vertrauen: Fortsetzung der U-Ausschüsse nach dem Wahltag, Teilhabe der Klubobleute am Ministerratstisch und eine Taskforce im Infrastrukturministerium, die Vergaben prüfen soll, lautete sein Angebot.

Doch für SPÖ, FPÖ und Jetzt sind das alles "Selbstverständlichkeiten", "höfliche Maßnahmen" und "ergebnislose Gespräche". Daher will auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die in den vergangenen Tagen schon drei "Scheingespräche" mit Kurz geführt hat, bis zur roten Klubsitzung am Montag nicht festlegen, wie man mit dem Kanzler verfahren wird.

Rotes Gegrummel über VdB

In den roten Reihen finden sich Befürworter dessen, Kurz zu stürzen, aber auch Zögerer. Julia Herr, Chefin der Jungsozis, erklärte bereits: Für sie ist es "ganz klar", dass ihre Partei einen Misstrauensantrag gegen den Kanzler selbst einbringen oder unterstützen muss. Dieser Teil der SPÖ-Fraktion ist davon überzeugt, dass man dem einfachen Parteimitglied nicht erklären könne, warum man seit eineinhalb Jahren gegen den Kanzler und seine Politik Sturm laufe, ihn aber im entscheidenden Moment nicht an der Fortsetzung seines Kurses hindere.

Dem halten Genossen wie Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser entgegen, dass die Folgen eines solchen Misstrauensvotums sorgfältig abgewogen werden müssten – oberste Priorität habe, dass die obersten Organe der Republik funktionieren.

Ein gewisser Unmut macht sich aber auch bei den Roten über die mahnenden Worte des Bundespräsidenten breit, der ebenfalls mit Verweis auf die Stabilität des Landes verantwortungsvolles Handeln von allen Seiten einmahnt. Ein Roter interpretiert das als "Abstimmungsempfehlung" – was nicht der Aufgabe des Bundespräsidenten entspreche. Stattdessen hätte Van der Bellen lieber frühzeitig auf Kurz einwirken sollen, sich im Parlament eine Mehrheit für seine Minderheitsregierung zu suchen.

Mögliche Enthaltung

Doch auch wenn sich der Kanzler im Amt hält: Vor der Wahl im September gibt es noch weitere Gelegenheiten, den Regierungschef aus dem Amt zu kippen – eine Option, die Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger angedacht hat, die bei einem Kurz-Sturz aus angeblicher Staatsräson vorerst nicht mitmachen will und seine Gesprächsangebote honoriert.

Ihre Neos könnten aber schon am Montag vor einer anderen pikanten Wahl stehen: Falls die FPÖ bei der Abstimmung aus dem Plenum zieht, wie auch schon spekuliert wird, würden die Stimmen von ÖVP und Neos ausreichen, um den Misstrauensantrag gegen Kurz abzuschmettern. (Karin Riss, Nina Weißensteiner, 23.5.2019)