Der koreanische Regisseur Bong Joon-Ho wurde am Samstagabend in Cannes mit der Goldenen Palme geehrt. Catherine Deneuve überreichte ihm den Preis.

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Zwei Linien im Wettbewerb des 72. Filmfestivals von Cannes wurden auch in den Preisentscheidungen deutlich: Zum einen reüssierten Filme mit Genreeinschlag, zum anderen eine jüngere Garde an Regisseurinnen. Mit der Goldenen Palme an den südkoreanischen Filmemacher Bong Joon-ho setzte die Jury unter Leitung des Mexikaners Alejandro González Iñárritu, die mit Yorgos Lanthimos, Kelly Reichardt, Alice Rohrwacher, Pawel Pawlikowski und Robin Campillo einen starken Regieüberhang aufwies, ein kraftvolles Zeichen für intelligentes und exzellent gefertigtes Unterhaltungskino. Wobei Unterhaltung in diesem Fall auch einen beißenden Blick auf die Gegenwart inkludiert.

Parasite wurde in Cannes aufgrund seines bösartigen Humors, mit dem er eine mittellose und eine superreiche Familie auf einander loslässt, bereits in der Pressevorführung mit Szenen applaus bedacht. Eine soziale Invasion ist ein perfektes Motiv, um die Dynamiken aktuellen Gesellschaften zu behandeln: Bong Joon-ho, der schon als asiatischer Steven Spielberg betitelt wurde, setzt dieses Szenario in einem Mikrokosmos um, das Eigenheim der reichen wird von der armen Familie infiltriert.

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Bei den vielen originellen Wendungen des Films übersieht man leicht, mit wie viel Übersicht Bong die engen Innenräume inszeniert. Und wie subtil er mit Gefühlseinsätzen wie etwa jenem von Scham verfährt – der Geruch, der an Menschen wie ein Abdruck ihrer Klassenzugehörigkeit haftet, spielt in Parasite eine wichtige Rolle. Das ist ein Palmengewinner, der das Zeug zum breiten Publikumserfolg hat.

Das raffiniert mit Zweideutigkeiten spielende Gentechnik-Horrorstück Little Joe der Österreicherin Jessica Hausner, die erstmals im Wettbewerb von Cannes vertreten war, wurde mit dem Preis für die beste Darstellerin prämiert. Hausner führt Emily Beecham mit verhaltenem, nuancierten Spiel durch den Film – der Erfolg in Cannes wird wohl nun beide endgültig auch international etablieren.

Andreas Horvath, Martin Monk

Der heimischen Politik war das Festival einmal mehr keinen Besuch wert, obwohl neben Hausner noch zwei andere Filmemacher vertreten waren: Andreas Horvath, der in Lillian eine Russin bei ihrem Fußmarsch durch Amerika begleitet und dabei etwas unentschieden zwischen dokumentarischer Rauheit und großem Kino wechselt; und der Filmakademie-Student Martin Monk mit Favoriten, einem Kurzfilm über einen Teenager, die sich per Autostopp durchschlägt.

Doch zurück zu den Auszeichnungen: Vor allem mit der zweithöchsten, dem Großen Preis der Jury, bewies die Jury Fingerspitzengefühl. Denn die Frankosenegalesin Mati Diop hat mit Atlan tique tatsächlich einen der visuell erstaunlichsten Filme dieses Jahrgangs inszeniert. Innere Gefühlslagen übersetzt sie etwa dadurch haptisch in Bilder, indem sie Sozialrealismus mit magischen Einsprengseln verwebt. Nur Pe dro Almodóvars Dolor y gloria fand ähnlich bezwingende Echos – Antonio Banderas, einer seiner Lieblingsdarsteller, der ein Alter Ego des Regisseurs verkörpert, wurde mit dem Darstellerpreis geehrt.

Erfrischend kühn

Mit der Französin Celine Sciamma (bestes Drehbuch für Portrait de la jeune fille en feu) und Rebecca Zlotowski, deren Un fille facile auf einer Nebenschiene erfolgreich war, präsentierte sich be sonders das französische Kino in Cannes weiblich und erfrischend kühn. Un fille facile spielt noch dazu dort, im Milieu der Yachten und oberflächlichen Freuden, und verblüfft damit, dass die Reize einer jungen Frau (Zahia Dehar) ganz ungeniert eingesetzt werden. (Dominik Kamalzadeh, 25. 5. 2019)