Marco Trungelliti hat nicht den einfachsten Weg gewählt.

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Herrchen und Hündchen Trungelliti in Andorra.

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Marco Trungelliti schrieb im vergangenen Jahr die beste Geschichte der French Open. Da rutschte der Argentinier als Lucky Loser im letzten Moment ins Hauptfeld. Als ihm die Turnierleitung die frohe Botschaft überbrachte, war Trungelliti bereits abgereist und in Barcelona. Er schnappte also seine Ausrüstung, setzte sich samt Bruder, Mutter und Großmutter ins Auto und fuhr Richtung Paris. Nach zehnstündiger Fahrt und einem Pain au Chocolat überstand er gegen den Australier Bernard Tomic die erste Runde. Den Tennisfans ging ob dieser Story weltweit das Herz auf.

2019 war für den Lockenkopf bereits in der ersten Qualifikationsrunde Schluss. Aber der 29-Jährige hat andere Sorgen. Er ließ ein Netzwerk an Wettbetrügern auffliegen, damit macht man sich in der Szene wenige Freunde. "Es ist ein schmaler Grat zwischen einem Whistleblower und einem Verräter", schrieb Serhij Stachowskyj im April 2019 auf Twitter. Der Ukrainer ist nicht irgendwer, er ist neben Persönlichkeiten wie Novak Djokovic oder Kevin Anderson Teil der zehnköpfigen Spielervertretung in der ATP. Stachowskyj nahm seine Worte später zurück, der Schaden aber war schon angerichtet.

"Ich habe schwierige Zeiten hinter mir", sagt Trungelliti, der in Andorra lebt und in Österreich für den UTC Steyr Bundesliga spielt, zum STANDARD. Die Angelegenheit habe ihm viel Stress verursacht, seine Rückenschmerzen sieht er in einem direkten Zusammenhang. "Ich kann seit Februar kaum vernünftig spielen." Doppelt bitter: Der Argentinier hatte just zu diesem Zeitpunkt an die Top 100 angeklopft, mittlerweile ist er wieder auf Rang 139 der Weltrangliste zurückgefallen.

Personal aufgestockt

Die Anlaufstelle in Sachen Wettbetrug heißt Tennis Integrity Unit (TIU). Die TIU ist für die Untersuchung von Korruption und Manipulation verantwortlich. Sie kann Geldbußen und Sanktionen verhängen und hat die Möglichkeit, Spielern, Schiedsrichtern und Offiziellen die Teilnahme an Turnieren zu untersagen. Die Organisation wurde nach Vorwürfen der Manipulation im Jahr 2008 eingerichtet. Sie operiert derzeit mit einem Budget von sechs Millionen US-Dollar. "Seit 2016 haben wir von sechs auf 17 Mitarbeiter aufgestockt", sagt ein Sprecher zum STANDARD.

Auch Trungelliti hat sich 2015 an die TIU gewandt. Inhalt seiner E-Mail: "Ich schreibe Ihnen, weil mich ein Mann kontaktiert hat. Er sagte, es gehe um Sponsoring. Ich traf ihn zu einem Gespräch. Es wurde deutlich, dass es um Wetten geht. Er sagte, ich solle nicht darüber sprechen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich habe seinen Namen und seine Telefonnummer." Der Mann hatte sein Angebot detailliert. Zwischen 2000 und 3000 US-Dollar für ein geschobenes Match auf Future-Ebene, bis zu 10.000 für eine Challenger-Partie, bis zu 50.000 für ein Spiel auf ATP-Niveau. Alles Cash.

10.000 Dollar für ein Challenger-Match, das ist kein Pappenstiel. Als Trungelliti zuletzt in Heilbronn gegen den Österreicher Dennis Novak in der zweiten Runde verlor, trat er die Heimreise mit 885 Euro an. Brutto. Reise- und andere Kosten wären noch abzuziehen. Kein Wunder, dass nicht jeder Spieler der Verlockung widerstehen kann. Im November 2015 gibt Trungelliti bei der TIU einen kompletten Bericht ab. Er nennt drei Namen von argentinischen Kollegen: Nicolas Kicker, Patricio Heras und Federico Coria. Es folgen Jahre der Funkstille.

Erst im Mai 2018 sind die Untersuchungen abgeschlossen. Kicker hat laut TIU im kolumbianischen Barranquilla 2015 ein Match absichtlich verloren, er wird sechs Jahre gesperrt. Heras hat beim selben Turnier ebenfalls ein Match manipuliert, er wird fünf Jahre gesperrt, zwei davon auf Bewährung. Coria kommt glimpflich davon. Er wird acht Monate aus dem Verkehr gezogen, weil er nicht seiner Pflicht nachgekommen ist, Angebote der Wettmafia zu melden. Für Kicker (26) und Heras (30) kommen die Strafen einem Karriereende gleich.

Damit fangen die Probleme für den Whistleblower Trungelliti erst richtig an. Im Tenniszirkus wird seine Rolle in der Causa hinterfragt. Es kursieren Gerüchte. Hat er Landsleute ans Messer geliefert, um seine eigene Haut zu retten? Hat er selbst Spiele manipuliert? Trungelliti wartet vergeblich auf eine Reinwaschung von offizieller Seite. Also geht er im Februar 2019 an die Öffentlichkeit und bringt die TIU unter Zugzwang. Im Mai veröffentlicht die Organisation eine Pressemeldung. Es habe niemals Untersuchungen gegen Trungelliti gegeben. Sein Verhalten sei mutig und bewundernswert gewesen.

Die gute Seite

Ob er den Schritt an die Öffentlichkeit je bereut hat? "Niemals. Ich hoffe, dass durch meinen Fall Veränderungen eintreten. Dass sich Profis ermutigt fühlen, Vorfälle zu melden." Schließlich seien einige Spieler auch solidarisch aufgetreten. Das Statement der TIU habe jedoch zu lange auf sich warten lassen. "Es hat ein Jahr gedauert, bis der Druck eben zu groß wurde. Ich denke aber, dass die TIU auf der guten Seite steht. Man wird aus meinem Fall lernen." (Philip Bauer aus Paris, 31.5.2019)