200 Polizisten gegen 100 Klimademonstranten lautete das Kräfteverhältnis am Freitag.

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Wien – Ein Video eines Polizeieinsatzes rund um die Klimademonstrationen am vergangenen Freitag sorgt seit einigen Tagen für Aufregung. Zu sehen ist darin, wie ein auf dem Bauch fixierter Demonstrant von einem Polizisten mehrmals geschlagen wird. Der Polizist ist am Montag in den Innendienst versetzt worden. "Die Wiener Polizei ist an einer vollständigen, lückenlosen Aufklärung des Vorfalls interessiert", sagte Polizeipräsident Gerhard Pürstl in einem Statement.

Im nächsten Schritt sollen Zeugen und das Opfer einvernommen werden. Die Staatsanwaltschaft Wien wird bei diesen Befragungen teilweise mit dem zuständigen Anklagevertreter dabei sein – ein abseits sogenannter clamoroser Verfahren eher ungewöhnlicher Vorgang.

Die Staatsanwaltschaft wird schlussendlich darüber entscheiden müssen, ob der Einsatz gesetzeskonform verlaufen ist. Grundsätzlich seien Faustschläge als Einsatzmittel zulässig und würden auch bei der Ausbildung gelehrt. Allerdings komme es immer auf die Verhältnismäßigkeit an, heißt es bei der Polizei. Auf eigene Aufnahmen des Beweissicherungsteams der Polizei wird man sich bei den Ermittlungen nicht stützen können: Diese Festnahme wurde nicht gefilmt.

Hand gebrochen

Nun meldet sich ein weiterer Teilnehmer der Demonstration, der im Gespräch mit dem STANDARD angibt, ebenfalls Opfer von Polizeigewalt geworden zu sein – er gab zunächst an ebenso von dem nun in den Innendienst versetzten Beamten verletzt worden zu sein. Diese Darstellung korrigierte er allerdings. Es handle sich um einen anderen Beamten.

Herr H. nahm an der Sitzblockade teil, nach und nach wurden die Demonstranten, die den Franz-Josefs-Kai blockiert hatten, von der Polizei weggetragen. Der durch das Video in den Mittelpunkt gerückte Polizist sei H. von Anfang an "sehr aggressiv aufgefallen", sagt der Zeuge. Er soll es aber nicht gewesen sein, der H. schließlich den Mittelhandknochen gebrochen habe.

Ein Polizist habe sich mit einem Kollegen H. genähert, um ihn von der Sitzblockade wegzutragen. H. behauptet, er habe sich kooperativ verhalten, seine Beine angezogen und die Arme darum herumgelegt, um einfach wegzutragen zu sein. Die Polizisten seien jedoch angeblich der Meinung gewesen, "der ist zu schwer". Also knickten sie H. nach dessen Darstellung die Hand mittels Schmerzgriff um, was zu dem Bruch geführt haben dürfte.

"Das war nicht in Ordnung"

"Das war extrem schmerzvoll, ich hab' nur noch geschrien", so H. Angekommen bei der Sammelstelle, wo die Demonstranten hingebracht wurden, bemerkte er, wie sein Arm zitterte. Ein anderer Polizist habe gerufen, ob er den Krankenwagen rufen solle. Zu H. gewandt, habe der Beamte demnach gesagt, "das war nicht in Ordnung, was er gemacht hat" – und meinte seinen Kollegen.

Dieser habe H. unabhängig davon angesprochen: "Woher hast du diese Verletzung?" Sie könne ja nicht von ihm gewesen sein. Aus Angst vor Polizeirepressalien habe er jedoch nichts gesagt, so H. Aus demselben Grund habe er bisher übrigens keine Anzeige erstattet.

Der Vorfall muss sich vor der Prügelszene ereignet haben, schätzt H. Ein Sanitäter riet ihm, mit der Rettung ins Krankenhaus zu fahren. H. entschied sich jedoch dagegen, weil auch Polizisten mitgefahren wären. Stattdessen wurde er ins Polizeianhaltezentrum mitgenommen, nachts um halb drei wieder entlassen, und ließ sich erst am folgenden Tag in einem Krankenhaus behandeln. Dort wurde die Diagnose Bruch des Mittelhandknochens gestellt. Auch dort verriet H. aber nicht, wie es zu der Verletzung gekommen ist. Der im Krankenhausprotokoll vermerkte Verletzungszeitpunkt weicht vom Datum der Demo ab. Laut H. sei dieser Fehler in der Aufnahme des Krankenhauses passiert.

Keine Anzeige

Für die Polizei sagt Sprecher Patrick Maierhofer, dass man bisher nichts von einem Vorfall mit einem Knochenbruch wisse. Er ersucht den Verletzten, die Sache anzuzeigen, um sie vom Referat für besondere Ermittlungen untersuchen lassen zu können.

Auch der Mann aus dem im Internet verbreiteten Video hat keine Anzeige erstattet oder eine Begutachtung durch den Amtsarzt verlangt. Im Gegenteil droht ihm ein Verfahren wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und versuchter schwerer Körperverletzung. Er soll bei der nicht angemeldeten Demonstration bei der Aspernbrücke sitzend versucht haben, Polizisten zu treten, die ihn abtransportieren wollten.

Weiterer Fall

Am Montagabend kam zudem noch ein weiterer Fall ans Licht: Der ORF veröffentlichte in der Sendung "Magazin 1" ein Video, bei dem die Festnahme eines Aktivisten zu sehen ist. Dieser lag von zwei Beamten fixiert am Boden, als der Kopf des Mannes beinahe von einem wegfahrenden Polizeiauto überrollt wurde. Im letzten Moment konnten die Beamten den Fixierten nach oben reißen, durch die Menge geht ein Aufschrei, ist auf dem Video zu sehen. Der Aktivist war zuvor an der Seite der Sitzblockade gestanden und hatte den Einsatz der Polizei gefilmt.

SPÖ und Neos fordern Konsequenzen

Die Neos, die SPÖ und Greenpeace forderten in Aussendungen am Dienstag die lückenlose Aufklärung der Fälle. Die Neos sprachen sich außerdem für eine Reform im Beschwerdeverfahren aus. Verlangt wurden auch Konsequenzen.

"Ich sehe es sehr kritisch, dass die verdächtigen Beamten nicht vorläufig suspendiert werden – hier geht es um die Gefährdung des Ansehen des Amtes und das Vertrauen der Bevölkerung in unseren Sicherheitsapparat", sagte Neos-Sprecherin für Inneres, Stephanie Krisper. Die Beteiligten müssten rasch einvernommen werden, um Absprachen zwischen den Polizisten zu verhindern.

Pilz will Suspendierung

Bürger, die von Polizisten Gewalt erleben, müssen "das berechtigte Vertrauen haben, dass sie ein faires Verfahren erwartet", forderte Krisper. "Dies ist in Österreich seit Jahrzehnten nicht der Fall – was auch von internationalen Expertinnen und Experten sowie dem Anti-Folter-Komitee des Europarates kritisiert wird. Wir brauchen in Fällen von vermeintlicher Polizeigewalt: rasche und unabhängige Ermittlungen. Dafür werde ich mich einsetzen", sagte die Abgeordnete, die bereits am Montag entsprechende parlamentarische Anfragen an Innen- und Justizministerium gerichtet hat.

Liste Jetzt-Gründer Peter Pilz fordert scharfe Konsequenzen. Alle an Polizeigewalt involvierte Beamte müssten sofort suspendiert werden. "Solche Leute müssen raus aus der Polizei", meinte er Dienstag in einer Pressekonferenz. Kommt es nicht dazu, werde die Liste Jetzt im Nationalratsplenum nächster Woche eine Dringliche Anfrage an den neuen Innenminister Wolfgang Peschorn stellen, kündigte Pilz an. Der Innenminister könne hier "nicht einfach wegschauen, sondern er muss durchgreifen".

Greenpeace plädiert für gewaltfreien Protest

"Die SPÖ verurteilt Gewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten aufs Schärfste", betonte auch SPÖ-Sicherheitssprecherin Angela Lueger in einer Aussendung. Man könne nicht zulassen, dass ein paar gewalttätige Beamte die restlichen tausenden Polizistinnen und Polizisten, die einen sehr guten Job machen, in Verruf bringen. "Ich hoffe auf Aufklärung und Konsequenzen", sagte sie.

Greenpeace verurteilte das "harte Vorgehen der Polizei" gegen Klimaaktivisten. "Klimaschutz ist kein Verbrechen. Polizeigewalt hingegen schon. Innenminister (Wolfgang, Anm.) Peschorn muss für eine lückenlose Aufklärung und für Konsequenzen sorgen. So etwas darf nicht wieder passieren", forderte Greenpeace-Geschäftsführer Alexander Egit. Die Umweltschutzorganisation distanzierte sich "von allen Formen der Gewaltanwendung". "Die größte Herausforderung der heutigen Zeit ist, die Klimakatastrophe zu verhindern. Dazu müssen wir uns alle gewaltfrei mit aller Kraft einsetzen. Nur so haben auch künftige Generationen die Chance auf eine lebenswerte Zukunft", sagte Egit. (Michael Möseneder, Rosa Winkler-Hermaden, red, 3.6.2019)