Die Grünen haben das Klima und den Umweltschutz für sich wiederentdeckt. Die FPÖ setzt auf ihre "Greatest Hits" Migration, Ausländer und Sicherheit. Der Kanzler steht für Veränderung und genießt in breiten Teilen der Bevölkerung Welpenschutz. Er geht aus der aktuellen Regierungskrise als unbefleckte Jungfrau heraus und ist auf dem besten Weg mit einem noch breiteren Zuspruch als Bundeskanzler wiederaufzuerstehen. Sogar die NEOS können nach dem Abgang ihres einstigen Gründers Matthias Strolz unter der neuen eloquenten Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger mit Zugewinnen rechnen. Einzig und alleine der SPÖ und der Liste Jetzt fehlt der Wind in den Segeln. Womit hängt aber die Stagnation bis hin zur Selbstdemontage der SPÖ zusammen? Die Sozialdemokratische Partei Österreichs hat ihr Kernthema für die kommende Nationalratswahl nicht gefunden und was noch viel schlimmer ist, sie hat anscheinend den emotionalen Draht zu ihren potenziellen Zielgruppen verloren.

Womit hängt die Stagnation der SPÖ zusammen?
www.corn.at Heribert CORN

Spiegelneuronen der SPÖ

Spiegelneuronen sind spezielle Nervenzellen im Gehirn, die den Menschen zum mitfühlenden Wesen machen. Wenn man wahrnimmt, dass sich jemand in den Finger schneidet, erlebt man selbst ein unangenehmes Gefühl und kann nachempfinden, wie sich der Schmerz anfühlt. Somit stellen sie ein elementares physiologisches Substrat für Empathie dar. Diese elementare Fähigkeit der Perspektivenübernahme und des Mitempfindens mit den Wählern und ihren Bedürfnissen und Ängsten, dürfte die ehemalige Arbeiterpartei mithilfe zahlreicher Berater und Kommunikationsexperten in mühevoller Kleinarbeit verlernt haben.

Der SPÖ scheint es nahezu unmöglich in die Lebensrealität der Jungen (siehe auch die YouTuber-Revolution in Deutschland) oder ebenso der alten Kernwähler einzudringen. Es sieht so aus als hätte sie die Fähigkeit zur authentisch-empathischen Kommunikation auf Augenhöhe verloren. Man stelle sich als praktisches Anschauungsbeispiel die Situation vor, wie die neue Parteichefin und habilitierte Medizinerin Pamela Rendi-Wagner, begleitet durch den kulturell versierten Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda, einer Gruppe ehemaliger SPÖ-Kernwähler in Favoriten ihre komplexe Sicht der Welt und der Migrationsfrage offenlegt. Die Mikroexpressionen frei nach dem Experten für nonverbale Kommunikation Paul Ekman als auch die wahrscheinlichen Makroexpressionen in den Gesichtern auf beiden Seiten kann man sich gar nicht vorstellen. Hier liegt der “Casus knacksus“. Welches Bild hat die Löwelstraße von ihren einstigen Wählern? Und will sie diese überhaupt noch erreichen?

Kreisky‘s konzentrisches Mittelmaß

Das Faktum, dass sich im Habitus ähnelnde Personen beziehungsweise kognitiv ähnlich strukturierte Menschen einander anziehen, bezeichnete Bruno Kreisky in seiner Biographie als konzentrisches Mittelmaß. In gewisser Form lässt sich dieser Sachverhalt mit dem als Dunning-Kruger-Effekt bekannten Phänomen in Verbindung bringen. Jenes beschreibt die systematische fehlerhafte Neigung relativ weniger kompetenter Menschen das eigene Wissen und Können zu überschätzen und die Kompetenz anderer zu unterschätzen.

Ohne Kreiskys Gedanken weiter auszuweiten, ist empirisch evident, dass die Sozialdemokratie, sich nicht gerade auf der Überholspur befindet, wenn man die vergangenen EU-Wahlen und aktuelle demoskopische Erhebungen betrachtet. Ein Schicksal, das sie auch mit ihren deutschen Genossen teilt.

Soziale Intelligenz der SPÖ

Akademische Bildung und Kultur sind schön und gut. Sie helfen aber nicht, wenn man den Sensor für die unterschiedlichen Soziotope der Gesellschaft verloren hat. Georg Dornauer und Max Lercher mögen vielleicht nicht gerade Prototypen für politische Korrektheit sein, dafür stehen sie umso mehr für noch vorhandene Elemente der sozialen Intelligenzija der Partei und diese wird bei der kommenden Nationalratswahl der Kernfaktor für Erfolg sein. Wie stellte schon der Experte für Emotionale Intelligenz Daniel Goleman sinngemäß treffend fest - was nützt ein hoher IQ, wenn man auf sozial-emotionaler Ebene gröbere Defizite hat? (Daniel Witzeling, 5.6.2019)