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Neben dem von den vorrückenden Alliierten aus der Luft zerstörten Caen fielen auch andere Städte in der Region dem Bombenkrieg zum Opfer, etwa Saint-Hilaire-du-Harcouët.

Foto: AP Photo / Thibault Camus

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Saint-Hilaire-du-Harcouët wurde später wiederaufgebaut.

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Léon Gautier hat einen guten Freund verloren. Der ehemalige Marinefüsilier hatte sich vor 75 Jahren freiwillig für das kleine französische Kommando gemeldet, das sich am 6. Juni 1944 an der alliierten Landungsoperation Overlord am Ärmelkanal beteiligte. Zusammen mit 156.000 amerikanischen, britischen, kanadischen und polnischen Soldaten half er an jenem "D-Day" mit, Europa vom Nazi-Joch zu befreien.

Gautier sagt von sich, er sei "kein Held". An der Normandieküste war er als Zweiter von dem Transportkahn ins Wasser gesprungen, um im deutschen Geschützfeuer den Strand zu entern. Er hatte sein Leben riskiert, um die Deutschen aus Frankreich zu vertreiben – doch nach dem Krieg wurde ein Deutscher zu seinem besten Freund.

Wunsch des "Nie wieder"

Es war überdies ein Fallschirmjäger der Wehrmacht, der gegen die alliierte Invasion gekämpft hatte. Johannes Börner, so hieß der Mann, blieb nach dem Krieg in Ouistreham und eröffnete unweit der Landungsstrände ein Restaurant. Später trat er mit Gautier öfters zusammen auf, um Schulklassen oder Kriegstouristen von jener Zeit zu erzählen – jeder von seiner militärischen Warte aus, aber vereint im Wunsch des "Nie wieder".

Johannes Börner ist letztes Jahr im Alter von 92 Jahren verstorben. Sein Freund Gautier (96) will am Donnerstag ein letztes Mal an den 75-Jahr-Zeremonien der Operation Overlord teilnehmen. "Damit wir nicht vergessen, was damals war", nuschelt der alte Mann. "Als ich später die schrecklichen Bilder der Konzentrationslager sah, wusste ich, dass ich gut daran getan hatte zu kämpfen."

Neben Gautier leben nur noch zwei Franzosen, die am D-Day ihr Land zurückerobert hatten. "Es wird der letzte runde Gedenktag mit Überlebenden des D-Day sein", schätzt Stéphan Grimaldi, Leiter des Memorials von Caen, wo sich am Donnerstag, ein Dutzend Staats- und Regierungschefs treffen werden.

Die Urenkel der Veteranen

Es stimmt, in der wichtigsten D-Day-Gedenkstätte sind heute kaum mehr Veteranen anzutreffen. Eher ihre Urenkel. Zahlreiche Schulklassen absolvieren den packenden Geschichtsparcours. Er beginnt nicht etwa am wolkenverhangenen Morgen des 6. Juni 1944 – sondern mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem verhängnisvollen Versailler Vertrag. Er verschweigt nicht den Horror des Holocaust, nicht die Kollaboration von Vichy-Frankreich mit Hitler. Und auch nicht die in Frankreich lange tabuisierte Zerstörung Caens durch die Bomben der Alliierten, die in der Normandie 20.000 Zivilisten das Leben kosteten.

Der Gang durch das 20. Jahrhundert deckt auch nicht nur den Zweiten Weltkrieg ab: Er reicht bis in den Kalten Krieg und den Mauerfall, welcher, wie ein Dokumentarfilm besagt, die Teilung Europas beendet habe. Und vielleicht auch die Ächtung Deutschlands. Vor dem Memorial prangt neben den blau-weiß-roten Fahnen der Alliierten auch die schwarz-rot-gelbe Flagge. Das sei "heute selbstverständlich", meint Grimaldi.

Deutschland hat erstmals 2004 an den 60-Jahr-Feierlichkeiten des D-Day in der Normandie teilgenommen. Kanzler Gerhard Schröder, der den Krieg nicht selber erlebt hatte, erklärte da, die Landung der Alliierten sei "kein Sieg über Deutschland, sondern für Deutschland" gewesen.

Entscheidende Ostfront gehalten

Die Russen waren seit dem Ende des Kalten Kriegs ebenfalls in die Normandie eingeladen. Wegen der Krim-Annexion wurde Wladimir Putin 2014 von den Westmächten gemieden, wenn nicht gar geschnitten. "Das war ein Fehler", meint Grimaldi. "Die Russen haben zwar nicht an der Operation Overlord teilgenommen, aber sie haben die entscheidende Ostfront gehalten und einen Blutzoll von fast 20 Millionen Opfern erbracht!"

Donald Trump zu meiden, weil er die westliche Allianz fast täglich brüskiert, wäre hingegen undenkbar: Anders als der diskrete französische Ex-Soldat Gautier beansprucht der US-Präsident den Heldenstatus für seine Nation. Grimaldis Memorial fühlt sich natürlich, wie ganz Frankreich, weiterhin den amerikanischen Befreiern verpflichtet. Aber Caen empfängt Trump auch mit einer subtilen Botschaft. Zum 75. Gedenktag des D-Day organisiert Grimaldi eine Ausstellung über die "vier Freiheiten", mit denen US-Präsident Franklin D. Roosevelt 1941 für Abrüstung und Völkerverständigung plädiert hatte – der Freiheit der Rede, der Religionsausübung, der Freiheit von materieller Not und schließlich der Freiheit von Furcht, etwa vor neuen Kriegen.

Der Kerninhalt dieser berühmten Radioansprache führte später zur Uno-Charta und der Idee des Multilateralismus. Trump, kein Freund solcher Ideen, hat laut Grimaldi "leider keine Zeit", die Ausstellung mit Werken des Illustrators Norman Rockwell (1894-1978) zu besuchen. Einzelne Bilder prangern auch die Rassensegregation in den US-Südstaaten an. Das imposante Memorial von Caen, das mit den waffenstarrenden Lokalmuseen kontrastiert, ist nicht auf Trumps Visite angewiesen: Es zieht täglich tausend andere Besucher an, und das, obwohl die direkt betroffenen Veteranen aus den USA, Großbritannien, Kanada, Polen oder Deutschland mehr und mehr aussterben.

Vier Millionen Besucher

In der ganzen Gegend weicht der Schlachtentourismus einer breiter gefächerten Präsentation für historisch Interessierte. Vier Millionen Reisende besuchen jedes Jahr die D-Day-Schauplätze der Normandie – die hart umkämpfte Pegasus-Brücke etwa, die Kirche Sainte-Mère-Église, wo ein amerikanischer Fallschirmspringer am Kirchturm hängenblieb, oder die Kreidefelsen der Pointe du Hoc, dessen Erklimmung viele US-Ranger mit dem Leben bezahlten.

Beim improvisierten Landungshafen von Arromanches liegen noch heute riesige Betonblöcke im Sand und im Wasser. Das regionale Tourismusbüro überlegt sich seit Jahren, ob es die unansehnlichen D-Day-Relikte vom Strand entfernen sollte. Doch die Zeit ist noch nicht reif dafür. Jedenfalls nicht, solange das Souvenirgeschäft blüht. Unter die Militaria mischen sich ab und zu Strandutensilien. Auch an den Promenaden herrscht ein kurioses Gemisch aus düsterer Schwarz-Weiß-Erinnerung und emsiger Vorbereitung auf die Sommerferien.

Krieg und Frieden eben. Genauer: Krieg gestern, Frieden heute. Auf dass es immer so bleibe. (Stefan Brändle aus Caen, 5.6.2019)