Für Italiens Wirtschaft gibt es viele Schlaglöcher, die umfahren werden müssen.

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Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire hatte eine gute Vorahnung. Vielleicht konzentriere sich die Öffentlichkeit in Europa auf das falsche Thema, sagte er schon vor einigen Monaten in einem Interview mit dem Nachrichtensender Bloomberg. Alle sprechen über den Brexit, doch die Krise in Italien könnte viel dramatischere Folgen für Europa haben, so Le Maire.

Denn Italien ist eben nicht nur wie das Vereinigte Königreich ein wichtiger Handelspartner für die übrigen europäischen Staaten. Italien ist mit Frankreich, Deutschland, Österreich und Co auch (beinahe) untrennbar über den Euro verbunden. Banken aus anderen Euroländern haben kräftig in Italien investiert – allein französische Geldinstitute halten italienische Wertpapiere im Wert von 385 Milliarden Euro. Das entspricht ziemlich genau der Wirtschaftsleistung Österreichs.

Dass die EU-Kommission am Mittwoch die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Italien wegen der hohen Schulden des Landes empfahl, hat sich abgezeichnet. Doch die Nachricht vom Schritt der Kommission rückt das vielleicht größte wirtschaftliche Versäumnis der Eurozone der vergangenen Jahre ins Rampenlicht: dass es nämlich nicht gelungen ist, Italiens Wirtschaftskrise zu entschärfen.

1. Der Schuldenrucksack

Die Wirtschaftsleistung des südeuropäischen Landes ist heute niedriger als im Jahr 2000, der Wohlstand stagniert also seit 20 Jahren. Zugleich hat Italien die dritthöchste Arbeitslosenrate in der EU, jeder Dritte unter 25 hat keinen Job.

Die landläufige Meinung darüber, wie es dazu kam, ist simpel: Italien steckt in einer Krise, weil das Land zu viel ausgibt. Doch so einfach ist es nicht. Seit den frühen 1990er-Jahren hat Italien mit einer Ausnahme laufend weniger Geld ausgegeben als eingenommen, sieht man einmal von Zinszahlungen ab. Der Staat hat also weniger in neue Straßen und Schulen investiert, weniger für Lehrer und Polizisten ausgegeben, als er Steuern eingenommen hat.

Das Problem liegt in einer Erblast: Italiens Schulden sind in den 1980er-Jahren als Folge laxer Budgetpolitik explodiert. Das Land muss seinen Finanziers seitdem laufend hohe Zinsen zahlen. Rechnet man diesen Faktor ein, fehlt dem Finanzminister in Rom jedes Jahr Geld im Budget. Diese Lücke wurde bisher mit neuen Schulden geschlossen. Weil parallel dazu das Wachstum seit 30 Jahren schwach ist, stiegen Italiens Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung stetig.

2. Kein Geld für Konsum

Als die Wirtschaftskrise 2008 zuschlägt und die Euroländer unter Druck kommen, beginnt die Technokratenregierung unter Mario Monti aggressiver gegenzusteuern und Ausgaben zu kürzen. Damit folgt das Land den strikten Vorgaben in der Eurozone. "Das passierte inmitten der Krise und damit genau zum falschen Zeitpunkt", sagt der Ökonom Jeromin Zettelmeyer vom Peterson Institute for International Economics in Washington.

Die Zurückhaltung des Staates bei Ausgaben und die Wirtschaftsflaute ziehen den Privatsektor herunter: Unternehmen kaufen wenige Maschinen, die Bürger halten sich beim Konsum zurück. Die Konsumausgaben stagnieren seit den frühen 1990er-Jahren de facto. All das wäre noch bewältigbar. Auch andere südeuropäische Länder wie Spanien haben ihre Ausgaben inmitten der Krise gekürzt und erholen sich seither.

3. La Famiglia ist alles

Doch in Italien kommt noch ein lokaler Faktor hinzu: Die Produktivität stagniert seit Jahren. Während Unternehmen und Arbeitnehmer in Österreich und anderen Euroländern immer effizienter arbeiten, tut sich in Italien gar nichts. Einige Ökonomen machen dafür die Struktur von Italiens Wirtschaft verantwortlich: Es gibt viele Klein- und Mittelbetriebe, aber im Vergleich wenige hochproduktive Champions.

Ein anderes Argument sieht das Problem in schlechten staatlichen Institutionen. Tatsächlich schneidet Italien in Analysen zur Unternehmensfreundlichkeit mies ab. Gerichtsverfahren dauern lang, Genehmigungen zu bekommen ist mühsam. Als weiterer Faktor genannt werden Schwächen im Bildungssystem: In Italien studieren weniger junge Menschen als in übrigen Industrieländern. Eine Studie der Ökonomen Bruno Pellegrino und Luigi Zingales von der Universität Los Angeles und Chicago kommt zum Ergebnis, dass all dies nicht entscheidend ist.

Das Hauptproblem liege darin, dass Italiens Unternehmen schlecht gemanagt würden und mit dem technologischen Wandel nicht mithalten könnten. Dafür verantwortlich ist Klientelismus: In Italien werden in Unternehmen eher Familienangehörige und Freunde befördert als die fähigsten Leute, so die Ökonomen.

4. Keiner hat eine Lösung

All das führt dazu, dass niemand eine Lösung für das Drama hat. Italiens Regierung gibt mehr Geld aus, wofür es nun die Rüge bekam. Die Mittel gehen in Pensionen und Soziales. Davon wird das Wachstum nicht höher. Die EU-Kommission verlangt Reformen, das Land soll mehr Wettbewerb zulassen. Davon wird aber weder der Konsum anspringen noch die Managementriege der Firmen besser. Mehr Geld in Infrastruktur zu investieren ist eine Idee: Da lassen die Regeln der Eurozone jedoch kaum Spielraum, und Italiens Regierung forciert lieber Steuersenkungen, eine Flat Tax, für die man auch kein Geld hat. (András Szigetvari, 5.6.2019)