Und wieder wird Donald Trump in Buchform zerlegt: Bestseller-Autor Wolff schrieb sein zweites Buch über ihn.

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Wirklich neu ist die Erkenntnis nicht – dafür kommt sie aus berufenem Munde. Die gesamte Außenpolitik der Vereinigten Staaten, legte Henry Kissinger den Finger in die Wunde, beruhe darauf, ob sich ein einzelner, mental instabiler Mensch gerade gekränkt oder geschmeichelt fühle.

In den schnörkellos offenen Worten des greisen Strategen, so beschreibt es Autor Michael Wolff, bündelte sich, wie anfangs Wohlmeinende ihre Meinung über Donald Trump änderten. Eingeladen zum Lunch in einer prominenten New Yorker Anwaltskanzlei, begleitet vom Medienmagnaten Rupert Murdoch, machte Kissinger im kleinen Kreis deutlich, wie gründlich ihm der Geduldsfaden gerissen war. Im ersten Amtsjahr, so Wolff, habe er Trump noch in Schutz genommen: Man möge dem Mann eine Chance geben, zwar lasse sich nicht viel Positives darüber sagen, wie er Amerikas Rolle in der Welt manage, aber eben auch nichts einschneidend Negatives.

In jener Kanzlei, irgendwann Mitte 2018, sei dann aber vom Prinzip Hoffnung nichts mehr zu spüren gewesen. Da habe ein restlos ernüchterter Kissinger Tacheles geredet. "Wer etwas Nettes über ihn sagt, ist unser Freund. Wer etwas Unfreundliches sagt und sich weigert, seinen Ring zu küssen, ist unser Feind", wird er zitiert.

Eines kann man Michael Wolff gewiss nicht vorwerfen: dass er seine Leser langweilt. Nachdem er in Feuer und Zorn das Chaos im Weißen Haus in allen Farben ausgemalt hat, lässt er die nicht weniger packende Erzählung über Trumps zweites Jahr an den Schalthebeln der Macht folgen. Was gerade ihn dafür prädestiniert, einen eher lockeren Schreiber, der mit der Akribie des hochgeschätzten White-House-Chronisten Bob Woodward weder mithalten kann noch will, macht er im Vorwort deutlich.

Stoff für Romanautoren

Wahrscheinlich, merkt er dort an, dürfte Trump ein besseres Thema für Schriftsteller sein, die sich für menschliche Fähigkeiten und Defekte interessieren, als für die meisten Reporter, die regelmäßig aus der US-Hauptstadt Washington berichten und sich in erster Linie dem Streben nach Macht und Erfolg der politischen Elite widmen.

Wolff, von Hause aus Journalist, rechnet sich eindeutig den Schriftstellern zu. In einer Mischung aus Faszination und Abneigung blickt er, der New Yorker, auf die Hauptstadt, um deren Regeln er sich nicht schert. Also gibt er ungeniert weiter, was an Indiskretionen kursiert – oft, ohne Quellen zu nennen. Und wieder ist es Steve Bannon, der am kräftigsten vom Leder zieht. Im August 2017 hat der Ideologe des "America first" seinen Posten im Westflügel des Weißen Hauses verloren. Folgt man Wolff, spricht der Präsident seither nicht mehr mit seinem ehemaligen Chefstrategen, legt aber dennoch Wert auf seinen Rat – solange er sich irgendwie einreden kann, dass die Ratschläge nicht direkt von Bannon kommen.

Eine Art Pfadfinder

Wolff beschreibt den scharfzüngigen Rechtspopulisten als eine Art Pfadfinder, der ihm den Weg durch das Dickicht Washingtons weist. Zum Dank dafür verkneift er sich jede inhaltliche Kritik, abgesehen von einigen wenigen Spitzen. Bannons Monologe gibt er so ausführlich wieder, dass er sich dem Vorwurf aussetzt, er stütze sich allzu sehr auf einen Außenseiter, der nur noch aus zweiter Hand erzählen kann.

Die Kritik trifft es nicht ganz, denn in seiner Heimatstadt New York, aus der bekanntlich auch Trump stammt, ist Wolff bestens vernetzt. Und im "Big Apple" sitzen die alten Freunde, mit denen der einstige Immobilienunternehmer abends telefoniert, um sich seinen Frust von der Seele zu reden, sich beruhigen, sich Komplimente machen zu lassen, je nachdem. Da einige offenbar auch Wolff zusteckten, was sie erfuhren, ist das eine oder andere aufschlussreiche Kurzporträt entstanden.

Pence, der "religiöse Spinner"

Da ist Mike Pence, der Vizepräsident, dessen servile Art, verbunden mit einem geradezu entrückten Blick, Trump zu spöttischen Kommentaren veranlasst. "Warum guckt er mich immer so an?", fragt er, um den Republikaner aus Indiana sodann einen "religiösen Spinner" zu nennen.

Und da ist Melania Trump, die in Wolffs Skizze ein Eigenleben führt, zumal sie es häufig vorzieht, mit Sohn Barron und ihren Eltern in einer Vorortvilla in Maryland zu wohnen, nicht weit von Barrons Schule entfernt.

Don McGahn, einst oberster Rechtsberater der Regierungszentrale, später der wichtigste Zeuge des Sonderermittlers Robert Mueller, ist in Trumps Worten eine "dreckige Ratte". "Was für ein Mädchen!", urteilt der Staatschef über seinen Schwiegersohn, weil Jared Kushner ihm rät, im Umgang mit Muellers Leuten kein Porzellan zu zerschlagen. Er selbst sieht das völlig anders. "Wenn sie glauben, sie können dich kriegen, kriegen sie dich auch." Um den Eindruck gar nicht erst aufkommen zu lassen, gelte es, kompromisslose Härte zu zeigen.

Zurück zur Außenpolitik: Beeinflusst von seinem Mentor Kissinger, beeinflusst auch von den Chinesen, die ganz auf ihn setzten, habe Kushner seinen Schwiegervater überzeugt, es in der Krise um Nordkorea nach den Fire and Fury-Breitseiten des Sommers 2017 zur Abwechslung einmal mit leiseren Tönen zu versuchen. Würde Trump auf Kim Jong-un zugehen, könnte er, wie sein Vorgänger Barack Obama, den Friedensnobelpreis bekommen, soll er argumentiert haben. Sein Ansehen in der Welt würde dramatisch steigen, zudem könnte er es all den Trump-Hassern im eigenen Land mal richtig unter die Nase reiben.

Historische Geltung

Es wäre ein Nixon-in-China-Moment, ein Überraschungscoup, wie Richard Nixon ihn 1972 landete, als er in jäher Volte nach Peking flog, um eine jahrzehntelange Eiszeit zu beenden. Um Trumps Ego zu schmeicheln, habe Kushner ausgemalt, wie sehr Kim den Präsidenten der USA bewundere. Trump, zieht Wolff ein skeptisches Fazit, habe einer radikalen Kursänderung zugestimmt, "ohne dass sich, bis auf die Stimmungsmusik, etwas geändert hätte". (Frank Herrmann aus Washington, 7.6.2019)