Johann Tschürtz und der verständliche Wunsch, von alldem nichts mehr hören zu müssen.

Foto: apa

Ibiza ist überall. Auch im Burgenland. Um nicht zu sagen: gerade im Burgenland. Denn immerhin regiert hier seit 2015 Rot-Blau, was den Bundestürkisen und -blauen stets reichlich Gelegenheit geboten hat, bei allfälligem rotem Unmut ihnen gegenüber mit dem Finger nach Eisenstadt zu zeigen: die dort ja auch.

Darüber hinaus aber hat der blaue Landeshauptmann-Stellvertreter dieses Burgenlandes, Johann Tschürtz, gerne und des Öfteren auf Ibiza geurlaubt. Und das gerne und häufig mit Freund und Parteifreund Heinz-Christian Strache. So auch im mittlerweile inkriminierten Sommer 2017.

Video 1: Freundeskreis

Freilich: Mitgekriegt hat er davon, was der Freund "unter Alkoholeinfluss" unentschuldbar Peinliches gesagt hat, nichts. Er war ja höchstens untertags mit Strache zugange, am Strand, dann aber vor allem mit einem eigenen Freundeskreis unterwegs, wie er im Gespräch mit jener Fernsehstation darlegt, die man landläufig auch "CNN Burgenland" nennt.

Video 2: Wohnzimmereffekt

Und was den unentschuldbar peinlichen – unter Freunden könnte man auch sagen: depperten – Freund betrifft: Man solle da auch nicht vergessen, wie das halt so ist mit dem Wohnzimmereffekt, wenn im Alkoholkonsum manchmal Äußerungen kommen, wo sich einer super darstellen möchte. Solcherart lehrte Tschürtz sogar die ARD das Staunen.

Video 3: Pfahh!

Vergessen dürfe man bei dieser Rauschg'schicht, die man "unserem Bundesparteivorsitzenden angetan hat", allerdings auch nicht, wer hier eigentlich die Bösen sind. Strache – der so großartig menschlich reagiert habe, dass Tschürtz geradezu zu Tränen gerührt gewesen ist – war das jedenfalls nicht.

Insgesamt bahne sich – so Tschürtz nämlich am Tag, als der brave Strache so wacker den Hut genommen hat – so Gewaltiges an, dass bald schon anzuraten wäre, das Handy auszuschalten und – "Pfaah! Es ist wirklich Wahnsinn!" – sich hinter einen Baum zu setzen.

Ibiza-Bande

Zuvor freilich galt es noch, sich in den Landtag zu setzen. Denn die Opposition beeindruckten die beherzten Beteuerungen nur wenig. Die im Burgenland streng türkise ÖVP rief nicht nur zur Sondersitzung und brachte dort einen Misstrauensantrag gegen Tschürtz ein. Landesgeschäftsführer Christoph Wolf nannte den Landeshauptmann-Stellvertreter gar "Teil der Ibiza-Bande", was diesem "wirklich im Herzen weh" getan hat.

Video 4: Rührstück

Tschürtz selber wisse "nur eines, dass ich wirklich vom Gefühl und insgesamt her massiv enttäuscht bin von solchen Anschuldigungen, weil es einfach nicht stimmt, weil es wirklich nicht stimmt. Da muss ich mich wirklich zurückhalten, dass mir nicht sogar noch Tränen kommen." (Ibiza ab Minute 4)

Ein Rührstück von hoher dramaturgischer Güte, das sich nicht scheut, auch bei den Meistern der Verwechslungskomödie Anleihe zu nehmen. Denn bevor man's vergisst in all dem Herzeleid: Es geht immer noch um dieses eine, so eindrucksvolle Zack-zack-zack-Video mit dem Wohnzimmereffekt.

Oppositionsbelebung

Eine unerwartet belebende Konsequenz dieser balearischen Rausch- und Raubersg'schicht war, dass die burgenländische ÖVP – seit 2015 gewissermaßen im Schmollwinkerl – nun ganz offenkundig Gefallen am oppositionellen Tun gefunden hat.

Schon vor Ibiza hatte man die diesbezüglichen Waffen – das Mundwerk – geschärft: Der traditionelle Kampfhund, der Landesgeschäftsführer, prescht bissig vor; sein besonnenerer Parteichef legt, konzilianter im Ton, noch ein Schäuferl nach; der Gegner ist echauffiert und potenziert solcherart den Effekt durchs Aufpudeln. So geht das.

Kadavergehorsam

Vorbildlich in Szene gesetzt schon bei einer Landtagssondersitzung Ende April, als es um Befugnisbeschränkungen des Landesrechnungshofes ging. VP-Landesgeschäftsführer Christoph Wolf holte tief Atem und sprach zur Landtagspräsidentin Verena Dunst: "Sie stellen sich im frommen Kadavergehorsam hinter den Landeshauptmann." Und weil ihm das noch zu vage, zu metaphorisch schien, verlas er den diesbezüglich ersten Satz aus Wikipedia. Damit auch dem Begriffsstutzigsten klar werde, dass "Kadavergehorsam" sich vom "Kadaver" herleitet.

Und schon war die Aufregung am Kochen. Das Sinnbild eingedampft auf den Bildsinn. Wolfs rotes Vis-à-vis, Christian Dax, erschüttert von der "Entgleisung", forderte eine "Entschuldigung" und sah deutlich jene Grenze unterschritten, die später dann auch Tschürtz "Gürtellinie" nannte.

Und die ÖVP war – ganz ohne Plakate – in aller Munde.

Wehleidigkeit

Mit dem Bruch der türkis-blauen Bundesregierung darf Christoph Wolf nun auch genussvoll, weil ohne Rücksicht auf allfällige Wiener "Message-Control", ins Blaue hineinbeißen. Was weitaus mehr Effekt verspricht. Denn die blaue Seite neigt ja seit jeher zu schöner, gestenreicher, manchmal sogar ein wenig outrierender Melodramatik. So wird die ansonsten so beschworene Wehrhaftigkeit im Fall des Wehrfalles sogleich zu bühnentauglich wehleidiger Weinerlichkeit.

Mit hoher diesbezüglicher Erwartung rief man vergangene Woche also neuerlich zu einer Sonderlandtagssitzung. Die ÖVP brachte dringlich den Antrag ein, wegen Ibiza und der dort ihr Unwesen treibenden Bande schon im September den Landtag zu wählen.

Video 5: Hochmut und Fall

Erwartungsgemäß wurde daraus nichts, gewählt wird – vorgezogen vom Mai 2020 – Ende Jänner, so wie Rot-Blau es vereinbart hat. Aber VP-Chef Thomas Steiner durfte immerhin sticheln, dass Johann Tschürtz auch in diesem Sommer mit den Herren Strache und Johann Gudenus nach Ibiza zu reisen gedenke.

Tschürtz, neuerlich schwerst enttäuscht über diese infam unterstellende Insultierung, forderte eine Entschuldigung von der "Steiner-ÖVP", die andererseits aber "sowieso auf dem menschlichen Tiefpunkt angelangt ist", weshalb sich zur ÖVP eigentlich nur sagen lasse: "Hochmut, Hochmut, Hochmut ... kommt vor dem Fall."

Video 6: Summertime

Vorher aber kommt noch der Sommer. Der ist nicht nur auf Ibiza schön und abwechslungsreich. Manchmal hockt man auch im Burgenländischen nicht nur ängstlich hinterm, sondern auch ausgelassen unterm Baum zusammen; lässt den Herrgott einen guten Mann sein und den Johann Tschürtz auch.

Es gibt Wasser, es gibt Wein, es gibt Sonne, und am Abend gibt es Gelsen auch. Und manchmal kommt jemand vorbei und hat ein schönes Lied auf den Lippen.

Bei Sommerspritzer vergeht dann auch das schwere Herzeleid. Der flirrende pannonische Sommer macht – anders als der auf Ibiza – vieles halbwegs wieder gut.

Und das Wasser, an das so mancher so nah gebaut ist, wird dann vielleicht eh schon wieder verdunstet sein. So wäre jedenfalls der Plan. (Wolfgang Weisgram, 11.6.2019)