Mit bis zu zweieinhalb Metern Länge und 300 Kilogramm Masse ringt die Kegelrobbe mit dem Braunbären um den Titel des größten Raubtiers Europas.
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Stockholm – Schwedische Forscher haben das marine Ökosystem der Ostsee untersucht und kommen zum Befund: Am Anfang der Nahrungskette stimmt etwas nicht, und das müssen diejenigen ausbaden, die ihren Platz an deren Ende haben, also die Räuber. Sichtbares Zeichen: Kegelrobben und Dorsche sind zumindest in einigen Regionen des Binnenmeeres im Schnitt magerer als früher, berichtet das Team um Agnes Karlsson von der Uni Stockholm im Fachjournal "Ambio".

Nahrungsketten

Die Forscher hatten für Teile der Ostsee analysiert, wie sich Gesundheit und Bestand von sechs Arten respektive Tiergruppen im Zeitraum von 1993 bis 2014 entwickelten. Berücksichtigt wurden neben Robben und für die Fischerei relevanten Arten wie Dorschen, Heringen und Sprotten auch Lebewesen am unteren Ende der Nahrungskette wie Krebstiere und Plankton. Einige davon sind sowohl Räuber als auch Beute: Der Hering zum Beispiel frisst Plankton und Bodenpflanzen – und wird seinerseits von Dorschen und Robben gefressen.

Was die üblichen Spitzenprädatoren der Meere anbelangt, sieht es in der Ostsee ein wenig beschaulicher aus als in anderen Meeren: Orcas gibt es hier keine, Haie sind vor allem mit kleineren Arten vertreten. Am Ende der Nahrungskette (Menschen nicht miteingerechnet) stehen daher zumeist die bis zu zweieinhalb Meter langen Kegelrobben und der Dorsch, der bis zu zwei Meter lang werden kann. Zu diesen Spezies haben die Forscher Daten gesammelt, etwa über die Dicke ihrer Fettschicht. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von am Meeresboden lebenden Tieren.

Todeszonen

Zudem wiesen die Daten auf einen Einfluss von Klimawandel und Eutrophierung – der Anreicherung von ins Meer gespülten Nährstoffen, die aus der Landwirtschaft stammen – hin. Diese Stoffe fördern das Algenwachstum – sterben die Algen ab, entzieht der Verwesungsprozess dem Wasser Sauerstoff. Vor allem in Folge dieses Eintrags habe sich der Sauerstoffgehalt der Ostsee seit den 1990er-Jahren deutlich verringert, berichten die Forscher. Es gebe inzwischen riesige Todeszonen, die fast komplett sauerstofflos sind.

In der Folge schrumpfe der Lebensraum für die kleinen Beutetiere am Boden, dieser Mangel wiederum führe dazu, dass bei Arten im weiteren Verlauf der Nahrungskette die Bestände schrumpfen und auch die Individuen kleiner bleiben. Extremwetterereignisse könnten die Situation noch verschlechtern – etwa, wenn sich nach einer Phase heftiger Regenfälle die Wasserqualität deutlich verändere.

Blick auf das gesamte Nahrungsnetz

Im Zuge des Klimawandels seien solche Extremereignisse häufiger zu erwarten, erläuterte Bergström. "Wenn die Aktivitäten, die zur Eutrophierung führen, nicht reduziert werden, wird sich der Sauerstoffmangel in der Ostsee voraussichtlich verstärken, was zur weiteren Reduzierung bodenlebender Tiere führen würde." Das wiederum könne weitreichende ökonomische Folgen haben. "Um die Fischerei zu managen, müssen wir auch die Umwelt und das Nahrungsnetz managen."

Es genüge nicht, für das Fischereimanagement nur die Bestände der Fische zu berücksichtigen, fasste Mitautorin Lena Bergström von der Schwedischen Universität für Agrarwissenschaften (SLU) die Bedeutung einer systemischen Betrachtung zusammen. Der Zustand des gesamten Nahrungsnetzes müsse einbezogen werden. (red, APA, 12. 6. 2019)