Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gab im Hohen Haus ihre Regierungserklärung ab, auch Vizekanzler Clemens Jabloner (2. v. re.) hielt seine Antrittsrede. Von den Regierungsmitgliedern meldeten sich (neben Innenminister Wolfgang Peschorn und Finanzminister Eduard Müller, die auf der anderen Seite der Regierungsbank sitzen) auch Außenminister Alexander Schallenberg (3. v. re.) und Verteidigungsminister Thomas Starlinger (2. v. li.) zu Wort.

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Die sicherste Bank, eine Ansammlung höchst unterschiedlicher Österreicherinnen und Österreicher zu geteilter Freude zu bringen, ist noch immer der Fußball. Das gilt auch und erst recht für Politikerinnen und Politiker. Es traf sich also gut, dass Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) am Mittwoch bei der ersten Nationalratssitzung mit der neuen Regierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein ein besonderes Erfolgserlebnis präsentieren konnte: Der FC Nationalrat, also die Fußballmannschaft des Nationalrats, ist Europameister, teilte Sobotka zu Beginn der 80. Sitzung des Nationalrats mit. Das garantierte ihm den ersten Applaus des Tages. "Und das nach einem bemerkenswerten Endspiel gegen Deutschland. 4:0. Und das in der neutralen Schweiz."

Dann aber ging eine ebenfalls "bemerkenswerte" Nationalratssitzung los, denn die erste vom Bundespräsidenten eingesetzte Beamten- beziehungsweise Expertenregierung der Zweiten Republik präsentierte sich den Abgeordneten, die nun nicht mehr Regierungs- und Oppositionsparteien zugeordnet sind, sondern – das wurde auch immer wieder angesprochen – im "freien Spiel der Kräfte" ihrer Aufgabe als Volksvertreterinnen und Volksvertreter nachkommen können.

Die Pflicht der Regierenden

Der rhetorische Ball rollte vom Fußballfeld in die Gefilde der antiken Philosophie. Denn Bundeskanzlerin Bierlein zitierte eingangs den römischen Staatsmann und Philosophen Cicero. Nicht zufällig aus dessen Spätwerk "De officiis" – "Vom pflichtgemäßen Handeln" –, das das Selbstverständnis dieser Regierung gut zu treffen scheint. "Denn nichts hält das Gemeinwesen wirkungsvoller zusammen als die Verlässlichkeit", sagte Bierlein mit Verweis auf die überhistorische Gültigkeit dieses Satzes, den sie "um Vertrauen ergänzen" möchte.

Sie und ihr Kabinett möchten "für Verlässlichkeit stehen und um Vertrauen werben", sagte die Kanzlerin mit Blick auf die "einmalige Situation in der Zweiten Republik", einmalig, weil eine "Übergangsregierung" im Amt sei, die vom Bundespräsidenten eingesetzt wurde. Auch die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs verwies – wie das Staatsoberhaupt mehrfach – auf die Bundesverfassung, die Gelegenheit gehabt habe "zu zeigen, was in ihr steckt".

Bierlein, die darauf hinwies, "dass Bundeskanzlerin nicht in meiner Lebensplanung stand", sprach von "Demut", mit der sie diese Aufgabe erfüllen wolle, und wiederholte die "Bedeutung möglichst breiter Dialoge – mit den Parteien, der Zivilgesellschaft und den Religionsgemeinschaften". Im Hohen Haus schlage "das Herz der Demokratie, und das tut es lebendig und kräftig".

Das Prinzip höchstmöglicher Sparsamkeit

Die Kanzlerin betonte auch, dass die von ihr angeführte Regierung "weder direkt noch indirekt gewählt ist", darum müssten ihre Worte "sich von anderen Regierungen unterscheiden". Das heißt: Sie müsse kein Regierungsprogramm abarbeiten, man werde keine tagespolitischen Aktionen kommentieren, und man werde "auf tagespolitisches Kalkül verzichten", außerdem gelte das "Prinzip höchstmöglicher Sparsamkeit".

"Wir dienen in erster Linie den Menschen im Land und respektieren Ihre (die der Abgeordneten, Anm.) Verantwortung als gewählte Repräsentanten", betonte Bierlein. Das war jene Stelle, an der sie sanfte Kritik am späten Wahltermin – es läuft auf den 29. September hinaus – äußerte: "Wir hätten uns – wie der Bundespräsident – einen früheren Wahltermin gewünscht, aber wir werden Ihre Beschlüsse mit bestem Wissen und Gewissen vollziehen."

Der Zufall wollte es, dass sich am Mittwoch die Volksabstimmung über den EU-Beitritt Österreichs zum 25. Mal jährte, und so erinnerte Bierlein an die Rolle Österreichs als "verlässlicher Partner in der Welt und in der EU", aber auch an wichtige anstehende Entscheidungen auf EU-Ebene. Unter anderem ist ja ein EU-Kommissarsposten neu zu besetzen. Bierleins Wegweiser für die Parlamentsparteien: "Die EU-Kommission ist eine hochpolitische Institution." Die Personalauswahl müsse von "fachlicher Expertise und politischem Können geleitet sein". Darum appelliere sie an "Einigkeit" in diesem Prozess.

Die Verschiedenheit von uns allen

Als gemeinsames Ziel definierte die Kanzlerin schließlich ein "lebenswertes, wirtschaftlich erfolgreiches, weltoffenes Österreich" und erinnerte angesichts unterschiedlicher Einstellungen, ethnischer Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung et cetera daran: "Ja, wir sind verschieden." Aber als Richterin habe sie eines tief verinnerlicht – "ein verbindendes Element zu achten: die Menschlichkeit. Das Miteinander war und ist gute österreichische Tradition."

Sie beanspruchte nur knapp die Hälfte der 20 Minuten, die ihr für ihre Regierungserklärung zur Verfügung gestanden wären. Nach elf Minuten war alles gesagt, was die Bundeskanzlerin den Abgeordneten, aber auch der Öffentlichkeit sagen wollte.

Die Staatskrise, die keine war

Noch schneller war Vizekanzler Clemens Jabloner, der in seinen fünf Minuten Redezeit (auch er hätte 20 Minuten reden dürfen) auf die aktuell "heikle Zeit" Bezug nahm, aber auch beruhigte, dass "von Verfassungs- oder Staatskrise nie die Rede sein konnte".

Jabloner, ehemaliger Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, betonte, dass auch diese Regierung demokratisch legitimiert sei, weil der Bundespräsident direkt gewählt sei. Allerdings, so Jabloner, seien die Handlungsmöglichkeiten "einer solchen Regierung" dann doch "beschränkt" – und er halte das auch für "richtig und angebracht". Immerhin stehe sie unter Beobachtung des Nationalrats und sei darauf angewiesen, sich dessen Vertrauen täglich zu erarbeiten. Diese Regierung wolle jedenfalls von "Initiativen absehen, denen gesellschaftspolitische Werteentscheidungen zugrunde liegen".

Als Justizminister betonte Jabloner, dass für ihn die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) das "unverrückbare Zentrum des politischen Handelns" sei. Im Übrigen wolle er "pflichtgemäß, mit großer Ehrfurcht, aber auch einer gewissen Heiterkeit dieses große Amt übernehmen".

Die Heiterkeit als Sehnsuchtszustand

Die Heiterkeit zog sich dann auch als gern gehörter Zugang zum Amt in den weiteren Reden und Wünschen für die nächste Zeit durch den Vormittag.

Allerdings wurden mit ÖVP-Klubchef August Wöginger als Erstredner aus den Abgeordnetenreihen erste Wahlkampftöne im Plenum laut. Ausgehend vom "unfassbaren Ibiza-Video" seien Neuwahlen eine Notwendigkeit gewesen, sagte Wöginger, allerdings sei der "rot-blaue Pakt", der zum Aus von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geführt habe, "einzigartig in der Zweiten Republik". Niemand habe dafür Verständnis, meinte Wöginger und rief als Zeugin eine "Eisenbahnerwitwe" auf, die ihm erzählt habe, dass sie "das auch nicht versteht" und deswegen nicht mehr SPÖ wählen werde. Im Übrigen sei er "stolz" auf das, was mit der FPÖ erreicht worden sei. Und für die Zeit bis zur Wahl wünsche er sich, dass es keinen "Kasino-Parlamentarismus" gebe, mit dem Steuergeld vor der Wahl verschleudert werde.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner widmete ihre Rede vor allem dem Dank an Bundespräsident Van der Bellen und Bundeskanzlerin Bierlein. Beide hätten in einer Krise große Verantwortung gezeigt. Rendi-Wagner sprach auch von einem historischen Tag für Österreich, weil erstmals eine Bundeskanzlerin im Amt sei. Sie ist schon jetzt überzeugt, dass die SPÖ-Forderung nach einer Expertenregierung mit dem nun im Amt befindlichen Kabinett in ihrer schönsten Form bestätigt sei.

Das Video, um das es nicht ging

Für die FPÖ, den ehemaligen Koalitionspartner der ÖVP unter Sebastian Kurz, trat als erster Redner Parteichef Norbert Hofer ans Pult und lobte Bierlein überschwänglich als "wahrscheinlich die kompetenteste Persönlichkeit", die in Österreich bisher an der Spitze einer Regierung gestanden sei. Hofer mochte nicht ganz nachvollziehen, was die ÖVP seit einiger Zeit als "rot-blauen" Pakt unter die Leute zu bringen versucht: "Es ging nicht um das Video, es ging um das Innenministerium", betonte er. Immerhin habe Kurz Herbert Kickl aus dem Amt entfernen wollen, um die türkis-blaue Regierung weiterzuführen. Und wenn die ÖVP sich nun beklage, dass FPÖ und SPÖ sich auf den 29. September als Wahltermin geeinigt hätten und damit einen langen Wahlkampf verursachten, dann sage er, Hofer: "Es ist nur eine einzige Partei in den Wahlkampf gestartet." Gemeint war die ÖVP. Außerdem, so Hofer, könne "man nicht sagen: Jede Koalition ist schlecht, in der die ÖVP nicht dabei ist."

Hofer brachte dann noch eine Bitte an den neuen Verteidigungsminister vor: Er möge doch bitte die Sistierung des Projekts Sicherheitsschule überdenken.

Das gut bekannte Hickhack

Für die Liste Jetzt forderte der geschäftsführende Klubobmann Wolfgang Zinggl Maßnahmen zum Klimaschutz. Diese seien ein Wahlzuckerl zum Nulltarif. Neos-Klubchefin Beate Meinl-Reisinger, der das auch an diesem Tag wieder vorgeführte "parteipolitische Hickhack" auf die Nerven ging, sprach von der Verantwortung, nichts das Budget Belastendes zu beschließen. Bedauerlich ist für sie, dass in der laufenden Gesetzgebungsperiode nichts getan wurde, um das Pensionssystem abzusichern.

Was sonst noch auffiel bei der Präsentation der Halbe-halbe-Regierung: Von den zehn weiteren Regierungsmitgliedern – fünf Männer und fünf Frauen – gaben ausschließlich Männer – Wolfgang Peschorn (Inneres), Thomas Starlinger (Verteidigung), Alexander Schallenberg (Äußeres) und Eduard Müller (Finanzen) – Wortspenden hinter dem durchsichtigen mobilen Pult, das vor dem jeweiligen Regierungsmitglied platziert wurde, ab.

Starlinger will mit allen Wehrsprechern am Freitag über die von ihm aus finanziellen Gründen auf Eis gelegte Sicherheitsschule sprechen. Peschorn ließ unter anderem wissen: "Verwalten ist Gestalten im Rahmen der Gesetze." Schallenberg bekundete "Respekt und Ehrfurcht vor diesem Hohen Haus", dem er "in Demut" dienen wolle. Im Übrigen gelte: Die nächsten Monate werden "sicher keine Monate der großen Reformen, aber es können Monate des Dialogs sein".

Und schließlich schloss der Finanzminister die dramaturgische Klammer zu Cicero, indem er sich ebenfalls aus dessen Zitatenfundus bediente, als er sagte, die "beste Einnahmequelle eines Staates ist seine Sparsamkeit".

In Ciceros "Vom Staat" heißt es wörtlich: "Der beste Zoll (das beste Einkommen) in einer Familie und im Privatleben, wie im Staate und im öffentlichen Leben, ist die Sparsamkeit." Der alte Römer scheint ein trefflicher Anker für diese Regierung und ihr Selbstverständnis zu sein. (Lisa Nimmervoll, 12.6.2019)