Es wäre kein Wunder, liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie sich über diese Überschrift wundern, aber ich verfolge mit ihr einen bestimmten Zweck. Dazu muss ich kurz ausholen: Vor zwei Wochen hat Sebastian Kurz als Zeuge vor dem BVT-Untersuchungsausschuss uns alle mit seinem Mut überrascht. Nämlich mit seinem Mut zur Lücke, konkret zur Bildungslücke.

Er bekannte dort schonungslos offen, weder von dem als BVT-Belastungszeugenpräparator bekanntgewordenen Udo Lett jemals gehört zu haben, noch davon zu wissen, dass einige dieser Zeugen zuvor von Herbert Kickl persönlich im FPÖ-Parlamentsklub gebrieft worden waren. Ebenso unbekannt war dem Altkanzler, dass bei der rechtswidrigen Razzia im BVT eine Datenbank beschlagnahmt wurde, auf der vertraulichste Informationen befreundeter Geheimdienste gespeichert waren, was in weiterer Folge zu internationalen Isolationsmaßnahmen gegen das österreichische Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung führte. Über all das haben heimische und ausländische Medien oft und ausführlich berichtet. Offenbar ist es ihnen dabei aber nicht gelungen, die Aufmerksamkeit von Kurz zu erwecken. Dafür sollten sie die Schuld vielleicht einmal bei sich selber suchen, und deshalb habe ich heute eine Überschrift gewählt, von der man erwarten kann, dass sie geeignet ist, das Interesse von Kurz an diesem Text zu erzeugen.

Temperatursenkendes Prinzip

Das ist mir diesmal ein echtes Anliegen, denn es gibt noch eine Menge anderer Sachverhalte, von denen der nun außerparlamentarische Bewegungsaktivist wissen sollte. So hat Kurz erklärt, er habe mit BVT-Chef Gridling über mögliche Belastungen der Kooperationen mit ausländischen Partnerdiensten gesprochen, was von Gridling vor dem U-Ausschuss aber dementiert wurde. Denkbar also, dass Kurz von einem Gridling-Imitator getäuscht wurde.

Und vielleicht ist das rund um die BVT-Affäre offenbarte Kurz'sche Nichtwissen nur die Spitze des Eisbergs seiner Unkenntnis? Kann es sein, dass sich seine allerorts bewunderte Coolness der konsequenten Befolgung eines temperatursenkenden Prinzips verdankt, nämlich: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß"? Dafür spricht, dass er nicht nur ganz viele Medienberichte ignoriert, sondern auch ein Dokument, bei dem man es nicht erwarten würde: sein eigenes Programm.

Dieses wurde im Herbst 2017 vom "Falter" geleakt und enthält unter anderem 76 "Punkte für ein neues Österreich" (zum Beispiel "Amtsgeheimnis abschaffen", "flächendeckende kostenlose Kinderbetreuungsangebote ab dem 1. Lebensjahr" oder "Parteienförderung um zumindest 50 Prozent kürzen"), von denen nur ein einziger ("Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare") bislang erfüllt wurde.

Sollte mein Überschriftstrick funktioniert haben, hier meine Empfehlung an Sebastian Kurz: Lesen Sie einmal nach, was Sie so fordern. Und sollten die "Punkte für ein neues Österreich" nicht von Ihnen persönlich stammen, dann fragen Sie doch bei Ihren Parteistrategen nach, warum eine Forderung schon im Ursprungsdokument durchgestrichen wurde, nämlich Punkt 43. Der lautet: "Korruption auf allen Ebenen bekämpfen".

Und nein, das habe nicht ich mir ausgedacht. (Florian Scheuba, 12.6.2019)