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Seit 40 Jahren wirtschaftlich eng verflochten, zeichnet sich nun eine Entkoppelung der USA und China ab – zum beidseitigen Schaden.

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Donald Trump treibt den Handelskonflikt mit China immer weiter voran.


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Aber der US-Präsident spricht immer noch von einer "großartigen Freundschaft" mit Xi Jinping.

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Er habe die Gesundheit der amerikanischen Wirtschaft mit seiner Strafzolldrohung gegen Mexiko aufs Spiel gesetzt, monieren seine Kritiker – und dies für vage und teils schon längst vereinbarte Zugeständnisse. Aber US-Präsident Donald Trump sieht das ganz anders: Mexikos störrische Regierung sei innerhalb weniger Tage eingeknickt und habe endlich Maßnahmen gegen illegale Einwanderer ergriffen, die sie davor jahrelang verweigert habe. Die Strafzölle seien ein voller Erfolg, sagt Trump – und setzt nun umso mehr auf sein liebstes protektionistisches Spielzeug.

Der US-Präsident droht Paris mit Zöllen auf französische Weine, er streicht Indien Zollvergünstigungen, die seit 40 Jahren bestehen, und er kündigt massive Handelsschranken für chinesische Waren an, sollte Peking nicht rasch seine Forderungen erfüllen. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping werde vor der amerikanischen Wirtschaftsmacht genauso in die Knie gehen wie Mexikos Staatschef Andrés Manuel López Obrador, ist Trump überzeugt. "Der China-Deal wird funktionieren," sagt er in einem TV-Interview. "Und wissen Sie, warum? Wegen der Zölle."

Ein Jahr Handelsstreit

Vor einem Jahr, am 15. Juni 2018, haben die USA erstmals chinesische Güter mit Strafzöllen belegt und damit den wahrscheinlich größten Handelsstreit seit den 1930er-Jahren eröffnet. Damals führten rasant steigende Zölle die ohnehin geschwächte Weltwirtschaft in den Abgrund. In den vergangenen zwölf Monaten haben die meisten Experten und Marktteilnehmer die Ereignisse eher gelassen genommen: Die gegenseitigen Strafzölle seien die Begleitmusik harter Verhandlungen, die früher oder später in einem Abkommen münden würden.

Doch dieser Tage wächst die Sorge, dass Trump nicht nur hart verhandelt, so wie er es als Immobilieninvestor gelernt hat, sondern es auf einen großen geopolitischen Konflikt mit China abgesehen hat – einen neuen Kalten Krieg, der Amerikas größten Rivalen in die Schranken weisen soll. Und selbst wenn Trump das nicht plant – seine Vorgangsweise und die erwartbaren Reaktionen aus Peking ließen kaum noch einen anderen Ausgang zu.

Verliebt in seine Zölle

Trump sieht Zölle nicht als letztes Mittel, um unfaire Handelspraktiken zu bekämpfen. Er liebt sie, weil er über sie nach Belieben verfügen kann und weil er weder an den Freihandel noch an die Globalisierung und eine vernetzte Weltwirtschaft mit gegenseitigen Abhängigkeiten glaubt, weil er von einem autarken Amerika träumt, in dessen Fabriken alles selbst hergestellt wird.

Und weil die US-Wirtschaft immer noch gut läuft, schlägt er alle Warnungen vor einer globalen Entkoppelung in den Wind. Galten die USA einst als der offenste Markt der Welt, sind ihre Zölle heute höher als in der EU, Russland und sogar China. Trump behauptet, die Zolleinnahmen seien für das starke Wachstum verantwortlich; die US-Notenbank Fed stellt sich hingegen auf eine mögliche Rezession ein, die von den Handelskonflikten ausgelöst werden könnte.

Gipfeltreffen in Japan

Ende Juni sollen sich Trump und Xi am Rande des G20-Gipfels im japanischen Osaka treffen; wenn es dort keine Einigung gibt, dann wollen die USA weitere chinesische Waren im Wert von 325 Milliarden Euro mit Strafzöllen von 25 Prozent belegen – zusätzlich zu den 200 Milliarden Dollar an Importen, für die bereits seit Mai Zölle bezahlt werden müssen. Der größte Austausch von Waren in der Geschichte der Menschheit könnte dann zum Erliegen kommen und die Weltwirtschaft sich völlig neu organisieren – in einzelne Regionalblöcke, jeweils geführt von den USA, der EU und China.

Denn die Chancen auf einen großen Deal mit Peking schwinden rasch. Das liegt einerseits daran, dass Trump unrealistische Forderungen stellt. Zu einzelnen Zugeständnissen beim Marktzugang für US-Konzerne wäre China bereit. Aber einen grundlegenden Umbau seines auf starken Staatseinfluss aufgebauten Wirtschaftssystems, den Trump offenbar anstrebt, will und kann Xi ihm nicht einmal zum Schein liefern. Denn damit würde der machtbewusste Staatschef sein Gesicht verlieren – die größte Schmach in der chinesischen Kultur.

Wo China recht hat

Und China kann gegen Trumps Dauerangriffe überzeugende Gegenargumente vorbringen. Es gab kein fertig ausgehandeltes Abkommen, das China im Mai platzen ließ, sondern nur einen Rückzieher angesichts immer härterer Begehren aus Washington. Die chinesische Währung wird schon lange nicht mehr künstlich niedrig gehalten, wie Trump und sein heute wichtigster China-Einflüsterer Peter Navarro, den seriöse Ökonomen für einen Scharlatan halten, behaupten.

Amerikas riesiges Handelsbilanzdefizit mit China ist entgegen Trumps fester Überzeugung kein finanzieller Verlust für die USA – im Gegenteil. Ökonomisch ergibt es sich daraus, dass die Amerikaner zu wenig sparen und die Chinesen zu viel. Auch der Diebstahl geistigen Eigentums durch chinesische Unternehmen wird oft überschätzt. Und dass der IT-Riese Huawei tatsächlich ein Arm des chinesischen Geheimdienstes ist und seine oft herausragende Technologie, etwa bei den 5G-Mobilfunknetzwerken, ein trojanisches Pferd, wird nur in Trumps Weißem Haus geglaubt.

Es stimmt, dass China seit seinem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO 2001 häufig gegen deren Bestimmungen verstoßen hat. Aber dies verblasst immer mehr im Vergleich zu Trumps Vernichtungsfeldzug gegen die WTO. Nicht die USA, sondern China ist heute neben der EU der lauteste Verteidiger einer regelbasierten Weltwirtschaft, die von Trump mit Füßen getreten wird. Immer öfter finden sich die Europäer in wirtschaftspolitischen Konflikten aufseiten Chinas, mit dem sie sonst nur wenige Werte teilen.

Teure Machtdemonstration

Aber auch China findet zunehmend Gefallen an einer Welt, in der Wohlstand auf Macht aufbaut und nicht auf gegenseitigem Austausch. Das Projekt der neuen Seidenstraße dient zwar offiziell dem Welthandel, ist aber in erster Linie eine billionenschwere Machtdemonstration. Ob China von all den Häfen, Bahnlinien und Fabriken in fernen Ländern langfristig profitiert, wird vielfach bezweifelt. Aber offenbar glauben die kommunistischen Kader in Peking daran, dass globales Prestige für eine Weltmacht wichtiger ist als Wohlstand und Zufriedenheit zu Hause. In Sachen Nationalismus steht Xi seinem US-Gegenspieler um nichts nach.

Was beide Präsidenten außerdem eint: Sie lieben das Militär, aber wollen keine heißen Kriege führen. Dafür betrachten beide die Wirtschaft durch eine politische Linse und sind instinktiv bereit, sie für Machtinteressen zu missbrauchen. Trump nutzt die Dominanz des Dollars im globalen Zahlungsverkehr, um den Iran zu bekämpfen, und die Abhängigkeit Mexikos vom US-Markt, um die Flüchtlingswelle aus Mittelamerika zu stoppen.

Chinas Umgang mit schwachen Staaten

Xi geht ähnlich brutal mit schwächeren Staaten in Chinas Einflussbereich wie Laos, Myanmar oder Sri Lanka um. Milliardenkredite werden vergeben und dann teure Rückzahlungen mit allen Mitteln erzwungen. Die Unerbittlichkeit, mit der die Führung jeden Dissens im eigenen Land unterdrückt, lässt Xis Bekenntnis zur liberalen Weltordnung als blanken Hohn erscheinen.

Aber gerade damit ringt er Trump eine gewisse Bewunderung ab. Während der Handelskonflikt eskaliert, bezeichnet er Xi als einen "unglaublichen Typen", mit dem er eine "großartige Freundschaft" pflege. Er hätte wohl gerne innenpolitisch diese uneingeschränkte Macht, über die Xi heute verfügt.

Ein Kalter Krieg – oder auch nicht

Deshalb sind die Warnungen vor einem neuen Kalten Krieg oder einem "bevorstehenden hundertjährigen Konflikt", wie Martin Wolf in der "Financial Times" schreibt, möglicherweise überzogen. Anders als die Sowjetunion vertritt China keine alternative Ideologie zur westlichen Marktwirtschaft; sein Einfluss in Ostasien bleibt begrenzt, weil die KP-Führung seiner "harten Macht" keine "weiche Macht" zur Seite stellen kann; es wird gefürchtet, nicht bewundert. Das gilt zunehmend auch für Trumps Amerika.

Und der Machtanspruch der kommunistischen Partei beruht seit 40 Jahren auf dem Versprechen von steigendem Einkommen für die Mehrheit der Bevölkerung, die dafür ihre politische Entrechtung in Kauf nehmen soll. Doch dafür braucht China seine westlichen Partner, allen voran die USA.

Worum geht es eigentlich?

Da Trump weder in seinen Tweets noch in seinen Rally-Reden klarmachen kann, was er von China eigentlich will, und Xi sich mit seinem "chinesischen Traum" von nationaler Macht und breitem Wohlstand ständig in Widersprüchen verfängt, fehlt dem großen geopolitischen oder gar zivilisatorischen Konflikt zwischen den USA und China ein plausibles Szenario. Erwartbar sind eher laufende Scharmützel, die viel Vertrauen kosten und die Wirtschaft beider Staaten und der gesamten Welt zunehmend belasten.

Anstatt mit einem großen Krieg ist eher mit einer bitteren Scheidung zu rechnen, dem Ende einer ungewöhnlichen ökonomischen Partnerschaft, die Maos verarmtes China in eine moderne Wirtschaftsmacht verwandelt und auch den USA viel Nutzen gebracht hat. Mit jeder Zollerhöhung und jedem Rückgang der Importe aus China sinkt der LebensStandard der Amerikaner und wächst die Gefahr, dass die chinesische Wirtschaft unter ihrer Schuldenlast erstickt. Ob Trump und Xi diesen Weg tatsächlich gehen wollen, ist noch nicht gesagt. (Eric Frey, 16.6.2019)