Die Gleise reichen bis an den Atlantik, bis zum kleinen Kopfbahnhof von Lüderitz. Einige Kilometer vor dem Ziel verschwinden sie allerdings im Wüstensand. Nur einmal hat es ein Zug geschafft, die gesamte Strecke bis in den namibischen Küstenort zu fahren. Das war 2014.

Seitdem begraben die Dünen der Wüste Namib die Schienen beharrlich unter sich, holen das abgetrotzte Land immer wieder zurück und machen die Weiterfahrt unmöglich. Bald soll ein Tunnel gebaut werden, damit sich die neugierigen Touristen mit ihren teuren Kameras und Smartphones aus dem Zug über dieses Fotomotiv hermachen können, das so schön, so gespenstisch ist.

Die 350 Meter lange Luxuszuggarnitur legt rund 3.000 Kilometer auf den kolonialen Bahnstrecken in Südafrikas und Namibias zurück.
Foto: Sascha Rettig

Noch müssen aber alle in den Bus umsteigen, um nach Lüderitz zu gelangen, die Hafenstadt mit kolonialer Deutsch-Südwest-Vergangenheit und verfallenen Gebäuden aus der damaligen Zeit, mit deutschen Straßennamen und einer Reichsapotheke. Danach geht es zurück zum Zug, der in der Wüste warten muss: der African Explorer.

Auf kolonialen Schienen

Der African Explorer ist ein Sonderzug, der in knapp zwei Wochen durch Namibia und über die Grenze nach Südafrika rumpelt, wo er mit der Hauptstadt Pretoria sein Ziel erreicht. Dabei bringt er große Teile des knapp 3.000 Kilometer umfassenden Schienennetzes, das zur Kolonialzeit durch das südwestafrikanische Land verlegt wurde, hinter sich. Es durchmisst Namibia von Norden nach Süden mit zwei Abzweigungen nach Lüderitz und zur Küstenstadt Swakopmund. Letztere wurde 1902 durch die erste Bahnstrecke mit der Hauptstadt Windhoek verbunden.

Bis heute ist die seltsame Verbindung aus deutschen Einflüssen mit afrikanischem Alltag spürbar. Der Wüstensand kriecht permanent an die 45.000-Einwohner-Stadt heran und umzingelt ein Stück Afrika, wie es deutscher kaum sein könnte. Es gibt ein Hotel "Zum Kaiser", einen deutschen Buchladen und eine Konditorei. Im Café Anton fühlt man sich dann bei gedecktem Apfelkuchen und Kännchen-Kaffee endgültig wie in einer westdeutschen Fußgängerzone.

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Wüstensand, der die Gleise verschlingt.
Foto: Getty Images/500px/Bradley Remick

Obwohl es durchaus möglich ist, zwischen den Knotenpunkten des Landes in Linienzügen zu reisen, macht das kaum jemand. "Es gibt wenige Züge in Namibia, manchmal nur ein bis zwei pro Woche auf einer Strecke", erklärt der Senele Mkiza, der Zug-Manager des African Explorer. Passagierwagons werden oft einfach an Güterzüge angehängt, die meisten Strecken sind einspurig. Weil die Züge sehr langsam fahren, nehmen die meisten lieber das Auto.

Nostalgiezug

Für das Fensterkino mit wechselnden Landschaftspanoramen sind 20 bis 30 Kilometer pro Stunde allerdings gerade richtig. Und natürlich bieten die Abteile des African Explorer, der vom Zugreisenanbieter Rovos Rail gemanagt wird, einiges an Komfort. Zudem führt die kostspielige Reise im Nostalgiezug immer wieder über das Streckenmögliche hinaus.

Überall, wo der Zug nicht hinkommt, geht es mit gut organisierten Transfers weiter: etwa zur Safari in den namibischen Etosha-Nationalpark, zu den wuchtigen Dünen der Namib-Wüste, in Städte ohne Bahnhof, aber mit bemerkenswerter Kolonialgeschichte oder zum gigantischen Diamantenloch im südafrikanischen Kimberley. Einzig: Man sollte Tourigruppen mögen, die überall hin einem Reiseleiter mit Fähnchen folgen.

Großes Kino, durch kleine Zugfenster betrachtet: Der "African Explorer" fährt bis an den Rand der Wüste Namib.
Foto: Sascha Rettig

Wilhelminischer Tausendfüßer

Unsere Gruppe, die sich vorwiegend aus brasilianischen und deutschsprachigen Reisenden sowie einigen Zugverrückten zusammensetzt, ist im alten wilhelminischen Bahnhof von Windhoek in den Zug gestiegen. Früher schlängelte sich dieser als Shongololo-Express – was übersetzt "Tausendfüßer" bedeutet – durch das südliche Afrika.

Modernisiert und aufmöbelt, versprühen die holzvertäfelten Abteile immer noch nostalgischen Charme, die hübschen Details aus der Vergangenheit fallen sofort auf: silberne Armaturen und Beschläge, das aufklappbare Waschbecken an der Wand und überall die alten Hinweisschilder. Spaziert man einmal vom Anfang bis zum Ende des Zugs, passiert man auf 350 Metern völlig unterschiedliche Jahrzehnte: Die Restaurants, in denen zweimal täglich Köstliches auf die Tische kommt, stammen aus den 1950er-Jahren; die Bar mit offener Beobachtungsplattform aus den frühen 30ern; die Wagons dazwischen wurden in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren gebaut.

Oryx in freier Wildbahn: Im Fensterkino des Luxuszuges ist häufig Afrikas Tierwelt zu sehen.
Foto: Getty Images/iStockphoto/Cheryl Ramalho

18 Wagons zieht die alte Diesellok durch Steppen, Wüsten, große private Farmen und vorbei an wenig frequentierten Straßen. Menschen sieht man vom Zug aus selten, wenn man nicht gerade in einer der kleinen Städte hält. Dann macht man im komfortablen Kosmos des African Explorer auch einmal Bekanntschaft mit der namibischen Realität. Kinder kommen zum Zug gerannt, klopfen an die Fenster und betteln um Essen. Manche Reisende versuchen, das einfach zu ignorieren. Andere wiederum suchen nach besorgt klingenden Worten für eine Diskussion über unseren Wohlstand. Doch der African Explorer führt ohnehin weniger zu den Menschen dieser beiden Ländern als mitten rein in die Natur.

Im Fensterkino des Luxuszuges ist häufig Afrikas Tierwelt zu sehen. Zarte Springböcke schauen von den Gleisen auf, ehe sie einen Satz machen und den Schutz des Dickichts suchen. Bald darauf grasen große, graue Oryx-Antilopen stoisch am Wegesrand. Für manche ist das aber vielleicht noch nicht Safari genug, weshalb man immer wieder in Bussen über holprige Pisten rattert – zum Beispiel, um in den Etosha-Nationalpark zu gelangen.

Beobachtungen ohne Büffel

"Dieser Nationalpark ist der artenreichste des Landes. Die Big Five sind trotzdem nicht komplett, weil der Büffel fehlt", sagt Rolf Tonnemacher, ein 67-jähriger Deutschnamibier, der als Guide durch den Park führt. Wegen der ebenen, weiten Flächen ist es dort einfach, Tiere zu beobachten: ein paar hässlich-herzige Hyänen-Jungtiere, die faul zwischen Baumwurzeln herumliegen; ein Gepard, der stolz zwischen zwei Büschen durchstreift; ein Löwe, der unter einem anderen Busch gähnt. Die eindrucksvollste Show bietet ein alter Elefantenbulle. Aus der Ferne kommt er wankend und wie in Zeitlupe zum Wasserloch, wo alle anderen Tiere Platz machen müssen für sein Bad: Springböcke, Zebras, Strauße, Oryxe, Impalas und Gnus verlassen bei seiner Ankunft die Szene.

Grandiose Ausblicke am Fish-River-Canyon
Foto: Getty Images/iStockphoto/Focus_on_Nature

Auch manch anderer wunderschöner Ort liegt nicht direkt an der Zugstrecke und muss mit dem Bus angesteuert werden: etwa der Fish-River-Canyon, von dessen Rand man einen grandiosen Blick in die 160 Kilometer lange und bis zu 500 Meter tiefe Schlucht werfen kann. Tief in die Namib hinein, die älteste Wüste der Welt, fliegt man am besten mit einer kleinen Propellermaschine, um aus der Luft einen Eindruck von den gigantischen Dimensionen mancher Sanddünen zu bekommen.

Fotogene Silhouetten

Der Namib-Naukluft-Park mit den Lehmbodensenken Sossusvlei und Deadvlei ist ebenfalls einen Umweg wert. In dieser Ebene stehen dutzende Baumruinen unter der brennenden Sonne, teilweise mehr als 300 Jahre alt. Es sind knochig-kahle Gerippe, deren fotogene Silhouetten aus dem weißen Boden eines ehemaligen Flussbetts ragen und ein typisch namibisches Postkartenmotiv abgeben. Dafür verlässt sogar der eine oder andere Zugfreak kurz die Komfortzone des African Explorer. (Sascha Rettig, RONDO, 12.7.2019)