Schwerpunktkontrollen, die auf Radfahrer abzielen, lenken von den eigentlichen Versäumnissen ab.

Foto: Andy Urban

Innsbruck/Wien – "315 Beanstandungen – Aktion scharf gegen Radfahrer in Innsbruck", titelten Tiroler Regionalgazetten am vergangenen Wochenende. Solche Schlagzeilen sind Wasser auf die Mühlen jener, die in Radfahrern nichts anderes als eine Belästigung sehen. Dumm nur, dass die Meldung so nicht stimmt. Denn zumindest einer dieser 315 Beanstandeten war der Autor dieser Zeilen. Und was man mir ankreiden wollte, stellt keinen Verstoß dar. Ich war regelkonform unterwegs.

Es war am späten Donnerstagvormittag, bei strahlendem Sonnenschein, als ich am Fahrradstreifen in der Universitätsstraße dahinpedalierte und an einer roten Ampel hielt. Bei Grün fuhr ich wieder los, als sich mir auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung bereits der Polizist händeschwingend in den Radweg stellte. "Kontrolle", lautete seine Aufforderung an mich, stehenzubleiben.

Radler müssen alles draufhaben

Da ich mir keines Fehlverhaltens bewusst war, frug ich nach, warum ich denn nun kontrolliert werde? Weil sich Beschwerden über Radfahrer, die meinten, sich an keine Regeln halten zu müssen, häufen würden, so die Antwort des Polizisten. Nachdem ich mich an alle Regeln gehalten hatte, erschien mir diese Begründung nicht ausreichend, was ich dem Beamten so mitteilte. Seine Antwort: "Na dann schauen wir halt, ob alles drauf ist."

Er meinte meine Ausrüstung. Nachdem ich mit meinem eigens dafür aufgebauten Commuter-Radel unterwegs war, blickte ich dieser Kontrolle nun noch selbstbewusster entgegen. Allerdings rechnete ich nicht damit, dass der Beamte in Sachen Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht sehr sattelfest war. Er bemängelte nämlich umgehend, dass die Lichtanlage an meinem Rad fehle.

Uninformierte Uniformierte

Ich entgegnete, dass diese laut Gesetz (genauer gesagt der Fahrradverordnung vom 1. Mai 2001, einer Ergänzung der StVO) tagsüber nicht nötig sei. Wörtlich steht dort unter Paragraf 1 Absatz 4: "Bei Tageslicht und guter Sicht kann diese Ausrüstung entfallen." Das alles überzeugte den Beamten aber nicht, denn für ihn gelte nur das Gesetzbuch und kein Verweis auf irgendeine Internetseite – ich wollte meinen Einspruch mit der Homepage "Rechtsinformationssystem des Bundes" untermauern.

Nachdem der Polizist dann noch bemerkte, dass auf meinen Pedalen die Rückstrahler fehlen – die sind sinnloserweise wirklich auch bei Tageslicht vorgeschrieben –, rechnete er mir vor, was das nun eigentlich kosten würde. Er zeigte sich dann aber kulant und erließ mir die Geldstrafe, wenn ich versprechen würde, sofort zur nächsten Werkstatt zu fahren, um das fehlende Licht und die Rückstrahler nachzurüsten. Ich log ihm lächelnd ins Gesicht und zog zähneknirschend von dannen.

Die Politik spielt dabei mit

Später an dem Tag kam aber das, was mich wirklich verärgert hat. Eine Pressemeldung der Stadt Innsbruck in Zusammenarbeit mit der Stadtpolizei. Unter dem Motto "Gemeinsam sicher im Radverkehr" habe man mit einer Schwerpunkt-Kontrollaktion dafür gesorgt, die Straßen der Tiroler Landeshauptstadt sicherer zu machen. Ebenso "kreativ" wie die Schreibweise des Titels dieser Aktion war auch die Begründung, die von der Stadtführung dafür angeführt wurde.

Obwohl "die überwiegende Zahl der Radfahrer regelkonform unterwegs" sei, komme es trotzdem "zu oft zu gefährlichen Situationen", ließ Bürgermeister Georg Willi (Grüne) wissen. Seine Verkehrsstadträtin Uschi Schwarzl, ebenfalls Grüne, ergänzte, dass "der Anteil an Radfahrenden in Innsbruck erfreulicherweise sehr hoch" sei. "Zum eigenen Schutz, aber auch zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmenden" sei es notwendig, "dass sich alle an die Regeln der StVO halten und diese auch kennen".

Falsches Bild von Radfahrern

Diese Aussagen beinhalten keinerlei Fakten, sondern suggerieren vielmehr, dass radelnde Verkehrsteilnehmer grundsätzlich etwas falsch machen und andere Verkehrsteilnehmer gefährden. Dabei müssten beide Politiker wissen, dass die mit Abstand meisten gefährlichen Situationen in Zusammenhang mit Radfahrern von Kfz-Lenkern ausgehen. Siehe dazu die Studie zu Radunfallzahlen in Österreich über den Zeitraum von drei Jahren (der Link dazu ist auch unter dem Artikel abrufbar). Und Leidtragende sind in solchen Fällen durchwegs die Radfahrer.

Dass es bei den Kontrollen in Wahrheit nur darum ging, Abzustrafendes oder Abzumahnendes zu finden, habe ich selbst erlebt. Die einzige Aufklärung, die passiert ist, habe ich dem Polizisten angedeihen lassen, der offenbar die StVO nicht kannte – wobei er sich von mir ohnehin nicht belehren ließ. In der Aussendung wurde abschließend behauptet, man habe bei den Kontrollen das "Hauptaugenmerk auf die Hauptunfallursachen und rücksichtsloses Fahrverhalten" gelegt. Hauptunfallursache im Radverkehr sind aber Kfz, und inwiefern ich mich rücksichtslos verhalten habe, ist mir schleierhaft.

Problembär auf zwei Rädern?

Die Nachfrage bei der Innsbrucker Polizei lieferte eine nicht minder interessante Begründung. Dort erklärte man, es gebe "nach wie vor viel zu viele Unfällen im Straßenverkehr, die durch Radfahrende in Kombination mit Alkohol" verursacht würden. Denn – und auch das wurde im Frühjahr medienwirksam in Tirol verbreitet – im Jahr 2018 waren in Innsbruck in mehr als zwei Drittel der Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss Radfahrer verwickelt.

Allerdings lohnt sich auch hier ein Blick auf die Fakten. Es waren 2018 genau 54 Alko-Unfälle in Innsbruck zu verzeichnen. In 35 dieser Fällen waren radelnde Verkehrsteilnehmer beteiligt. Und etwas weiter unten im Text ist dann zu finden: "Die Unfälle seien oftmals ohne Zweitbeteiligten passiert, stets würden die Radfahrer schwer verletzt werden." Sprich, wer besoffen aufs Rad steigt, gefährdet in erster Linie sich selbst.

Nicht dass ich betrunken Radeln per se gutheißen würde. Aber ehrlich gesagt ist es mir lieber, die Leute fahren angeheitert mit dem Rad, anstatt sich ins Auto zu setzen. Das Fremdgefährdungspotenzial, das von einem betrunkenen Radler ausgeht, ist nicht mit dem eines betrunkenen Autofahrers zu vergleichen. Daher sollte man dies auch nicht auf eine Stufe setzen.

Infrastruktur statt Überreglementierung

Die Kritik an überbordenden Kontrollen von Radfahrenden teilen im Übrigen jene Expertinnen und Experten, die sich von Berufs wegen damit befassen. Wie etwa Ines Ingerle von der österreichischen Radlobby. Sie kennt die oft als Schikanen erlebten Aktionen nur zu gut: "Wir sehen darin eine Strategie, um davon abzulenken, dass man politisch auf anderen Ebenen versagt hat." Denn wer Radverkehr wirklich sicherer und somit attraktiver machen will, muss in die Infrastruktur investieren.

Die großen Radfahrernationen wie die Niederlande machen es vor. Statt Polizisten zur Kontrolle von Klingeln oder Rückstrahlern abzustellen, werden die Ressourcen dort für bessere Radwege und sichere Kreuzungsbereiche genutzt. "In den Niederlanden investiert der Staat jährlich 30 Euro pro Einwohner für Radfahren, in Wien sind es nur drei bis vier Euro. Das entspricht dem Gegenwert eines Krügerls pro Einwohner jährlich. In die öffentlichen Verkehrsmittel investiert Wien übrigens etwa das Hundertfache pro Kopf und Jahr", verdeutlicht Ingerle den Unterschied. Eine bessere Infrastruktur würde auch heißen, dass man weniger Regeln braucht, die es Radlern ermöglichen, gefahrlos am Verkehr teilzunehmen.

Radfahrer nicht mit Kfz gleichstellen

Wenn etwa auf der Argentinierstraße in Wien radfahrende Bürger, die sich dem Kreuzungsbereich mit mehr als 10 km/h genähert haben, geblitzt und gestraft würden, stelle sich die Frage der Sinnhaftigkeit, sagt die Expertin. "Einerseits habe ich im Regelfall keinen Tachometer am Fahrrad und weiß daher nicht genau, wie schnell ich unterwegs bin, anderseits ist das vorgeschriebene Tempo so langsam, dass Autofahrende denken, ich würde stehenbleiben – das führt erst recht wieder zu gefährlichen Situationen."

Daher bedürfe es neben mehr Geld auch einer Gesetzesreform, sagt Ingerle. Die Verhältnismäßigkeit sei nämlich nicht gegeben, solange Fahrräder mit anderen, motorisierten Verkehrsteilnehmern gleichgesetzt würden. Die Radlobby-Expertin verdeutlicht das mit einem Vergleich: "Ein zu schneller Radfahrender ist vom Gefährdungspotenzial her etwas anderes als zu schnell fahrende Autos oder Lkws." Wer mit dem Auto 20 km/h zu schnell fährt, bezahlt weniger Strafe als ein Radler, dessen Bike keine Rückstrahler auf den Pedalen und keine Katzenaugen montiert hat – dabei ist zu hohes Tempo von Kfz Todesursache Nummer eins auf Österreichs Straßen.

Ungenaue Gesetzestexte

Der Jurist Johannes Pepelnik ist unter anderem auf das Thema Radverkehr spezialisiert und kennt die Probleme, die es mit den Ausrüstungsparagrafen immer wieder gibt. Die sieben Punkte, mit denen das im Gesetz geregelt ist, seien teils so formuliert, dass sie kaum überprüfbar sind, wie er sagt: "So muss etwa die Fläche der Rückstrahler, ausgenommen jener an den Pedalen, mindestens 20 Quadratzentimeter im ruhenden Zustand ausmachen. Wie berechnet man diese Fläche bei Reflektoren an den Seitenwänden der Mäntel oder wie bei Speichensticks?"

Noch problematischer ist die Regelung hinsichtlich der Helligkeitsnormen der Lichtanlage. Denn das Gesetz gibt diese in Candela-Angaben vor, die in der Praxis aber nicht überprüfbar sind. Das kann im Falle eines niedrigen Akkustands für Diskussionsstoff sorgen. Die Radlobby hat für solche Fälle übrigens einen handlichen Ratgeber zusammengestellt, der über alle wichtigen Gesetze und Vorschriften für Radfahrer informiert.

VCÖ: "Radler als Lösung sehen"

Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) sieht Radfahrende in Sachen Kontrollintensität klar übervorteilt: "Das ist insofern der falsche Zugang, als Radfahrer so zum Problem gemacht werden, anstatt sie als Teil der Lösung in der Mobilitätsfrage zu sehen." Auch er kritisiert fehlende Verhältnismäßigkeit: "Mit dem Handy am Steuer zu telefonieren kostet 50 Euro. Doch damit gefährdet ein Autofahrer auch andere." Dass Radler für fehlende Rückstrahler mehr Strafe zahlen müssen, sei nicht nachvollziehbar: "Durch fehlende Katzenaugen bei Tageslicht wird kein Unfall verursacht."

Gratzer regt an, bei Radfahrern statt auf Strafe auf Bewusstseinsbildung zu setzen, so wie das auch bei Autofahrern häufig gemacht werde: "Aber Radler werden immer gleich durchkontrolliert und gestraft." Das laufe dem Ziel, den Radverkehrsanteil in Österreich, der bei mageren sieben Prozent liegt, zu steigern, zuwider.

Die Mär vom gesetzlosen Pedaliero

Ich selbst habe durch die Kontrolle vergangene Woche zwar keine Geldstrafe ausgefasst, aber es war dennoch ärgerlich – weil es das Gefühl verstärkt, dass einem als Radfahrenden hierzulande täglich gegeben wird: Man ist Verkehrsteilnehmer zweiter Klasse. Diese Kontrolle dann auch noch mit der Mär von den rücksichtslosen Radlern zu rechtfertigen, ist doppelt ärgerlich. Denn wie mehrere Studien zur Regelkonformität von Fahrradfahrern belegt haben – etwa eine der TU München –, sind Radler keineswegs gesetzloser als andere Verkehrsteilnehmer unterwegs.

Dass das Sicherheitsproblem im Straßenverkehr nicht mangelnde Regelkenntnis der Radler ist, hat zudem ein Polizist bei der Radfahrprüfung meines Sohnes bestätigt. Nachdem die Kinder die Prüfung bestanden hatten, also gezeigt hatten, dass sie die nötigen Regeln zur Teilnahme am Straßenverkehr kennen, meinte der Beamte zu uns Eltern, dass wir die Kids bitte trotzdem nicht alleine in Innsbruck fahren lassen sollten, weil das einfach viel zu gefährlich sei. Wegen der Autos ... (Steffen Arora, 18.6.2019)