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Emmanuel Macron, Donald Tusk und Angela Merkel trafen einander vor dem Gipfel zum Gespräch in trauter Dreierrunde.

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Kanzlerin Bierlein traf Kanzlerin Merkel.

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Wenn es um Ziele und Projekte in ferner Zukunft geht, werden sich die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten meist rasch einig. So sollte das auch beim regulären EU-Gipfel vor der Sommerpause sein, der Donnerstagnachmittag in Brüssel begonnen hat. In einer Kompromissformel legten sie den Plan fest, dass die Union bis 2050 das Ziel der "Klimaneutralität" erreichen müsse.

Allerdings wurde der Entwurf auf Druck Polens, Ungarns, Tschechiens und Estlands verwässert: nun bekennen sich die EU-Mitgliedsländer zwar zum Pariser Klimaabkommen, aber ohne Datum. In einer Fußnote wird nun vermerkt, dass "die große Mehrheit der EU-Staaten" die Ziele bis 2050 erreichen will.

Die meisten Treibhausgase müssen bis dahin eingespart bzw. ausgeglichen werden, sei es durch Aufforstung, Erdspeicher oder alternative Energie. Damit soll die globale Erwärmung gestoppt werden. Wie genau das umzusetzen ist, bliebe den Nationalstaaten überlassen. In den Schlusserklärungen heißt es, dass beim Umbau der Wirtschaft und einer Energieversorgung ohne Öl, Kohle und Gas die sozialen Folgen berücksichtigt werden müssen, ebenso die Wettbewerbsfähigkeit.

Österreichs Kanzlerin Brigitte Bierlein, für die das der erste EU-Gipfel war, bekannte sich umfassend zu den Klimazielen.

Streitthema Juncker-Nachfolge

Solche diplomatischen Fingerübungen zur Klimaneutralität wie auch die Erörterung der "Strategischen Agenda" zur globalen Rolle der Union waren nur die Aufwärmübung für das eigentliche Gipfelthema: die Frage, wer Nachfolger von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden soll.

Dabei reichen schöne Formulierungen nicht. Am Ende muss sehr konkret der Name eines Kandidaten der 28 Regierungschefs stehen, der nach der Konstituierung des Europäischen Parlaments am 2. Juli in einem Extraplenum Mitte Juli von den EU-Abgeordneten mit Mehrheit gewählt werden muss. Er erstellt ein Regierungsprogramm, verteilt die Zuständigkeiten auf die neuen Kommissare, die von den Regierungen nominiert werden.

Dazu braucht es also "eine doppelte Mehrheit" von Rat und Parlament, wie Luxemburgs liberaler Premier Xavier Bettel erklärte. Es hätte "keinen Sinn, wenn wir einen Vorschlag machen, den das Parlament nicht mitträgt".

Machtkampf mit Parlament

Sprich: Weil sich nicht nur die europäischen Parteifamilien und ihre Fraktionen im EU-Parlament in Sachen nächster Kommissionschef (noch) völlig uneinig waren, sondern es auch im Kreis der Regierungschefs mindestens vier "Flügel" in dieser Sache gab, wurde eine Blitzentscheidung nicht erwartet. Bei einem Arbeitsessen am Abend sollte die Schlacht um die EU-Topjobs erst beginnen.

Ob sie bis Freitag entschieden wird, war fraglich, insbesondere weil sich Macron (wie schon Ende Mai) frontal gegen den christdemokratischen Spitzenkandidaten Manfred Weber (EVP) querlegte. Ratspräsident Donald Tusk strebte "eine einstimmige Entscheidung" zur Juncker-Nachfolge an. Die Sache könnte sich also ziehen.

Bierlein legte sich auf keinen Namen fest. Sie wollte die Beratungen abwarten und sich dann entscheiden. Vom Hauptausschuss im Nationalrat in Wien hat die Bundeskanzlerin weitgehend freie Hand bekommen.

Streit um Spitzenkandidaten

In Ratskreisen hieß es, ein Sondergipfel am 30. Juni unmittelbar nach dem G20-Gipfel am 28./29. Juni in Osaka werde ins Auge gefasst. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die das "Spitzenkandidatensystem" und Weber gegen Macron verteidigt, sagte, es wäre "nicht bedrohlich", wenn eine Entscheidung erst in zehn Tagen fiele. Die Sache wurde zusätzlich verkompliziert, als Sozialdemokraten und Grüne im EU-Parlament am Gipfeltag erklärten, sie würden keinesfalls für Weber vortieren. Das konterkarierte die laufenden Koalitionsgespräche, bei denen auch die Liberalen mitmischen. Was das für SP-Spitzenkandidat Frans Timmermans und die Liberale Margrethe Vestager, bedeutet, blieb offen.

Vom Votum über die Juncker-Nachfolge hängt ein ganzes Paket an Personalfragen ab. Alle Präsidentenposten in EU-Institutionen werden bis Ende 2019 neu besetzt: im Parlament, im Europäischen Rat, in der Zentralbank (EZB) und auch der oder die neue EU-Außenbeauftragte nach Federica Mogherini. Aber das kommt erst, wenn klar ist, ob die Regierungschefs das "System Spitzenkandidat" beerdigen. Ginge es nach Bierlein, müsste das EU-Personalpaket ein Kriterium erfüllen: gleich viele Frauen wie Männer in Topjobs.(Thomas Mayer aus Brüssel, 21.6.2019)