James Comey beim Salzburg Global Seminar: "Präsident Trump ist der schlechteste Zuhörer, den ich je gesehen habe."

Foto: Salzburg Global Seminar

James Comey ist durch und durch entspannt. Eben ist er mit seiner Frau von einem langen Spaziergang auf die Festung Salzburg ins Schloss Leopoldskron zurückgekehrt. Baseballkappe und Sonnenbrille genügten zur Tarnung, niemand hat den Ex-FBI-Direktor erkannt. Im Gegensatz zu früher, sagt der 2,03 Meter große Hüne, habe er nun endlich wieder Zeit für sich, ohne Personenschutz rund um die Uhr.

Fast vier Jahre lang war Comey Chef des Federal Bureau of Investigation. US-Präsident Donald Trump schasste ihn am 9. Mai 2017 mit der offiziellen Begründung, er sei "unfähig, das Bureau effektiv zu führen". Inoffiziell musste er gehen, weil er bezüglich der Verstrickungen von Trumps Wahlkampfteam mit russischen Einflüsterern ermitteln ließ.

Comeys Buch über die Affäre ("Größer als das Amt") erreichte mit scharfer Kritik an Trump eine Millionenauflage. Am Wochenende hielt er beim Salzburg Global Seminar zum Thema "Living Dangerously – How Can We Get Real About Risk?" eine Vorlesung. Daneben gab er ausgewählten Zeitungen ein Interview – über US-Innenpolitik, Russland, das transatlantische Verhältnis und natürlich den Iran.

STANDARD: Sie haben zuletzt gesagt, dass Sie nicht für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Trump sind. Das verwundert bei jemandem, der selbst Opfer einer versuchten Justizbehinderung durch Trump geworden ist. Warum kein Impeachment?

Comey: Natürlich trete ich für die Rechtsstaatlichkeit ein. Der Kongress muss tun, was den Gesetzen entsprechend zu tun ist. Als Bürger dagegen hoffe ich tatsächlich, dass es kein Amtsenthebungsverfahren gibt. Warum? Weil das amerikanische Wahlvolk dem Land eine entscheidende Wahl schuldet. Würde der Präsident des Amtes enthoben, würden wir uns selbst um diesen Wendepunkt bringen. Zudem würde ein Drittel des Landes glauben, dass es einen Staatsstreich gegeben hat. Deswegen brauchen wir eine machtvolle Übung in Demokratie. Die Amerikaner müssen von ihrer Couch aufstehen und an der Wahlurne für ihre Werte einstehen. Sie müssen die Botschaft aussenden, dass wir keinen Präsidenten wollen, der die amerikanischen Werte nicht verkörpert. Wir müssen als Bürger der Welt und vor allem uns selber zeigen, wofür wir stehen.

STANDARD: Was ist Ihre Prognose für die Wahlen im Jahr 2020?

Comey: Es wird eine Wahlbeteiligung geben, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr hatten. Die Menschen wissen, was auf dem Spiel steht.

STANDARD: Was sollten die Demokraten tun, um eine zweite Amtszeit Trumps zu verhindern?

Comey: Die Wahl gewinnen. Und zwar indem sie jemanden als Kandidaten auswählen, der den Menschen vor Augen führt, wie ein Führer aussieht, der amerikanische Werte verkörpert. Und jemanden, der breitestmöglich Wählerschichten anspricht. Im Herbst habe ich getwittert, dass die Demokraten nicht den Verstand verlieren und sich auf die Seite der sozialistischen Linken schlagen dürfen. Einer meiner Studenten wollte wissen, warum. Meine Antwort war: Aus praktischen Gründen. Es ist wichtig für unser Land, dass die Demokraten dieses Mal gewinnen. Unser Land ist Mitte-rechts. Man gewinnt hier keine Wahlen, wenn man zu weit nach links abweicht.

STANDARD: Sie waren selbst lange Republikaner. Donald Trump hat die Partei inzwischen in Geiselhaft genommen. Was ist an ihr noch konservativ?

Comey: Ich weiß es nicht. Ich dachte immer, dass die Republikaner an charakterstarke Führer glauben, an den Freihandel als Erfolgsweg für die USA und die Welt, an Einwanderung als Lebensader der USA und daran, dass Allianzen dazu beigetragen haben, die Welt in den vergangenen 70 Jahren sicher zu machen. Heute erkenne ich die Republikaner nicht wieder. Das Wort konservativ hat in Amerika heute jegliche Bedeutung verloren.

STANDARD: Was hat Sie am Bericht von Sonderermittler Robert Mueller zu den Russland-Verstrickungen am meisten überzeugt?

Comey: Die Detailliertheit des ganzen Reports ist sehr überzeugend. Sie haben akribisch ermittelt und ohne jeden Zweifel bewiesen, dass die Russen die US-Wahlen attackiert haben. Deren Motivation war, der amerikanischen Demokratie zu schaden, Hillary Clinton zu schwächen und Donald Trump zu helfen. Zweitens: Die Beweise für Justizbehinderung durch den Präsidenten sind schlagend. Auch aus dieser Sicht ist es ein eindrucksvolles Stück Arbeit.

STANDARD: Wird es Moskau bei der Wahl im kommenden Jahr wieder versuchen?

Comey: Ja. Und es wird schwierig werden herauszufinden, was sie tun und wie die Sicherheitsbehörden es stoppen können. Das zentrale Problem für das FBI und die Sicherheitsbehörden ist, dass der Präsident nicht anerkennt, dass die Russen 2016 die Wahlen attackiert haben. Wie wollen sie den nächsten Angriff abwehren, wenn ihr Boss den vorangehenden nicht anerkennt? In der Regierung gibt es derzeit zwei Ebenen: Auf der oberen steht der Präsident, der alle möglichen Dinge sagt. Auf der unteren die Beamten, die ihn ignorieren. Das ist dysfunktional, aber doch tröstlich.

STANDARD: Wissen Sie, ob jenes ominöse Video existiert, das Trump im Jahr 2013 in Moskau mit russischen Prostituierten zeigen soll?

Comey: Nein. Im Mueller-Report ist in einer Fußnote davon die Rede. Ich habe seinerzeit den damals designierten Präsidenten in meinem ersten Treffen mit ihm darüber informiert, dass es diese Gerüchte gibt und die Presse davon weiß. Erstens weil ich nichts vor ihm verstecken wollte. Und zweitens weil wir beim FBI – sollte denn etwas an den Gerüchten dran sein – Erpressungsversuche immer mit Offenheit begegnen.

STANDARD: Wie hat er reagiert?

Comey: Sehr defensiv. Er hat sofort mit einer langen Liste von Fällen aufgewartet, in denen er sexueller Verfehlungen beschuldigt wurde, anstatt mir zu sagen, da sei nichts dran. Später fragte er mich, ob er wie jemand aussehe, der die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen müsse. Ich habe nicht geantwortet. Es war eine sehr schwierige Unterhaltung. Auch für mich. Ich fragte mich: Was mache ich hier eigentlich?

STANDARD: Wie wirkt sich das auf Trumps Russland-Politik aus?

Comey: Es hat mich erstaunt, dass Herr Trump Wladimir Putin auch im Privaten niemals kritisiert hat. Und ich war sehr überrascht darüber, dass der Präsident in Helsinki neben Putin stand und mit ihm gegen seine eigenen Geheimdienste und deren Erkenntnisse über die russische Einmischung in die US-Wahlen auftrat. Er sagt oft, dass er härter gegenüber Russland auftritt als jeder Präsident vor ihm. Das ist wie vieles, was Herr Trump sagt, nicht richtig.

STANDARD: Was geschieht mit dem transatlantischen Verhältnis, wenn Trump wiedergewählt wird?

Comey: Es gibt, wie gesagt, diese beiden Ebenen: Auf der einen twittert Präsident Trump. Auf der anderen arbeitet der Sicherheitsapparat mit Alliierten zusammen, um Sicherheit zu gewährleisten. Diese Beziehungen und die Logik dahinter sind zu stark, als dass sie von einem Präsidenten auf Twitter zerstört werden könnten.

STANDARD: Stichwort Iran: Trump ordnet einen Militärschlag an und zieht die Autorisierung knapp vor der Ausführung wieder zurück. Wie alarmiert sollten wir sein?

Comey: Alle erfolgreichen Präsidenten folgen einem disziplinierten Entscheidungsprozess. Bei Barack Obama war das so, bei George W. Bush auch. Bei beiden war ich dabei. In Trumps Fall ist dem nicht so. Er führt und managt nicht, das macht die Dinge kompliziert. Obama und Bush saßen da und haben Informationen aufgesaugt, bevor sie eine schwerwiegende Entscheidung getroffen haben. Präsident Trump ist meiner Erfahrung nach der schlechteste Zuhörer, den ich je gesehen habe.

STANDARD: Erschreckt es Sie, dass die Chancen für einen Krieg mit dem Iran nun womöglich größer geworden sind durch diese Aktion?

Comey: Ich erschrecke nicht besonders leicht. Aber es ist besorgniserregend. Es kann ein Teil einer Strategie sein, den Gegner aus der Balance zu bringen. Trotzdem: Ein disziplinierter Entscheidungsfindungsprozess stellt sicher, dass die USA sinnvolle Entscheidungen treffen und auch deren Feinde wissen, dass sie sich auf diese Entscheidungen verlassen können. Es mag manche Vorteile bringen, chaotisch zu sein, aber unter dem Strich erwachsen daraus doch meistens Nachteile.

STANDARD: Boris Johnson sieht wie eine Kopie Donald Trumps aus, Jair Bolsonaro in Brasilien ebenso. Warum ist dieser Typus des Politikers derzeit so erfolgreich?

Comey: Dieser Typus kommt weltweit regelmäßig an die Macht. Und zwar in Zeiten des Wandels, des Schmerzes und der Verwerfungen, in denen Demagogen einen fruchtbaren Boden finden. Allerdings wachsen sie nur für eine bestimmte Zeit. Jemand hat mich gefragt, ob ich mit den Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin darin übereinstimme, dass es derzeit eine globale Führungsschwäche gebe. Das tue ich nicht. Der Trend der Freiheit, der Prosperität und des Wachstums ist durchgehend positiv. Manchmal schwankt er, aber trotzdem ist er positiv. Die Herausforderung für Xi und Putin ist, wie sie die Leidenschaft ihrer Völker für Freiheit und deren Möglichkeiten kontrollieren. Ich bin generell ein Optimist und bilde mir ein, kein Idiot zu sein. Ich sehe keine Vervielfältigung Donald Trumps weltweit. Trump wird vielmehr schnell aus der amerikanischen Szene verschwinden. Unsere Geschichte ist zugleich wundervoll, unübersichtlich und enttäuschend zugleich, aber die Trendlinie zeigt immer nach oben.

Nehmen sie irgendein Jahr der amerikanischen Geschichte, 1919 zum Beispiel. Damals erhielten die Frauen das Wahlrecht. 1,5 Millionen Schwarze wanderten aus den Südstaaten in die Nordstaaten. Hunderttausende Iren wie ich, Juden und andere wanderten erst ein. Als Ergebnis dieses Wandels traten mehr als 20 von 100 Millionen Amerikanern dem Ku-Klux-Klan bei. Ein Drittel des Kongresses war beim KKK. Es gibt Filme, die tausende Klanmitglieder in voller Montur zeigen, wie sie über die Pennsylvania Avenue vom Kapitol zum Weißen Haus marschieren. Alle haben das vergessen. Das Erstaunliche an Amerika ist die Wechselwirkung von Fort- und Rückschritt. Der Fortschritt hat noch immer überwogen. Das Fieber wird zurückgehen. Es ist an uns, das Fieber in unseren Tagen schnell zu senken.

Ich kenne unser Land ziemlich gut. Amerika, das ist der große Brocken zwischen der Ost- und der Westküste. Dieser Riese wacht hin und wieder auf. Und dieser Riese wird im kommenden Jahr zur Wahl gehen. Deswegen schlafe ich gut am Abend. Und außerdem weiß ich, dass die Sicherheitsbürokratie gut arbeitet. We will be fine. (Christoph Prantner, 23.6.2019)