Greg Hands gehört zu jenen Tory-Politikern, die mit Boris Johnsons polternder Rhetorik nicht viel anfangen können – derzeit keine mehrheitsfähige Haltung.

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Boris Johnsons Privatleben sorgte in den letzten Tagen für viel Aufsehen. Am Wochenende musste die Polizei wegen eines lautstarken Streits des Tories mit seiner Freundin ausrücken. Ganz Großbritannien sprach darüber. Langsam erst glätten sich die Wogen, und das Land geht wieder zur Sachpolitik über. Boris Johnson sei jedenfalls – so oder so – nicht für den Job als Premierminister geeignet, meint der Tory-Abgeordnete Greg Hands. Und er könnte das Land Ende Oktober ohne Deal aus der EU führen – für Hands eine gefährliche Option.

STANDARD: Theresa May regiert auf Abruf, im Juli wird entweder Außenminister Jeremy Hunt oder sein Vorgänger Boris Johnson neuer Premier. Wen wollen Sie?

Hands: Eindeutig Jeremy Hunt. Ich kenne ihn seit 30 Jahren aus meinem Stadtbezirk Fulham, wir kamen 2005 gemeinsam ins Unterhaus. Als zweiter Mann im Finanzministerium legte ich 2015 mit allen Ressortchefs den mittelfristigen Finanzrahmen fest. Der damalige Gesundheitsminister Hunt war der beste Verhandler. Er wusste genau, wovon er redete, er kannte seinen Haushalt auswendig.

STANDARD: Hingegen gilt Johnson nicht gerade als Mann für Details.

Hands: Das Hauptproblem der britischen Politik ist der Brexit. Beide Kandidaten sagen, sie wollen mit Brüssel über einen veränderten Deal verhandeln. Die Frage lautet also: Wer ist besser dazu geeignet, in Verhandlungen ein gutes Ergebnis zu erzielen? Das ist ganz eindeutig Jeremy Hunt.

STANDARD: Wie würde Brüssel auf Premier Johnson reagieren?

Hands: Er würde voraussichtlich eine deutlich weniger positive Aufnahme finden wie Hunt. Und wenn er mit leeren Händen zurückkommt, sehen wir uns einer gefährlichen Situation gegenüber. Dann will er den No Deal durchsetzen ...

STANDARD: ... also den Austritt ohne Vertrag. Abgesehen davon, dass Brüssel Neuverhandlungen ablehnt – was ist schlecht am Vertrag?

Hands: Der sogenannte Backstop ...

STANDARD: ... eine Auffanglösung, die sicherstellt, dass die Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und der Republik Irland praktisch unsichtbar bleibt ...

Hands: ... zwingt das Vereinigte Königreich zum Verbleib in einer Zollunion mit der EU, und zwar ohne einseitige Austrittsmöglichkeit. Eine Zollunion ohne Mitspracherecht verstößt gegen die fundamentalen Interessen unseres Landes. Außerdem wird Nordirland anders behandelt als der Rest des Landes. Das scheint mir mit dem Karfreitagsabkommen nicht vereinbar zu sein.

STANDARD: Der Vertrag von 1998 beendete den Bürgerkrieg zwischen katholischen und protestantischen Nordiren. Die offene Grenze war die Voraussetzung.

Hands: An der offenen Grenze wollen ja auch alle Beteiligten festhalten. Ich war kürzlich an einer Kommission beteiligt, die "alternative Regelungen" zum Backstop erarbeitet hat. Unseren Bericht stelle ich dieser Tage in Berlin, Den Haag und Brüssel vor, später auch in Belfast und Dublin.

STANDARD: Es war die britische Regierung, die eine Garantie für Nordirland in eine Zollunion für das gesamte Königreich umwandeln wollte. Diese Kröte haben viele in der EU nur ungern geschluckt.

Hands: Die britische Regierung wollte sicherstellen, dass Nordirland nicht von Großbritannien abgehackt wird. So sah es die ursprüngliche Verhandlungsposition der EU-Kommission vor. Der Backstop verstößt gegen das Karfreitagsabkommen, weil die Bevölkerung grundlegenden politischen Änderungen zustimmen muss.

STANDARD: Die Mehrheit in Nordirland will ja auch den Brexit nicht. Welche Zugeständnisse soll die EU also machen?

Hands: Unser Kommissionsbericht spricht detailliert über technische Lösungen, die eine offene Grenze garantieren. Die entsprechenden Arrangements gibt es bereits anderswo. Sie könnten binnen drei Jahren in Irland installiert werden, manche Elemente sogar viel schneller. Übrigens haben ja beide Seiten erklärt, sie wollten nach Alternativen zum Backstop suchen.

STANDARD: Was geschieht mit den anderen wichtigen Eckpunkten des Austrittsvertrags?

Hands: Bei denen bleibt es. Unsere Zahlungsverpflichtungen werden eingehalten, die Rechte von EU-Bürgern in unserem Land und von Briten in der EU bleiben gewahrt. In der irischen Frage brauchen wir ein wenig Bewegung von beiden Seiten.

STANDARD: Falls man sich auf Ihre Alternativideen einigt – was wird dann aus dem Backstop?

Hands: Diese Frage lassen wir offen, das wäre Teil der Verhandlungen. Wir arbeiten jetzt an einem Text, der in den Vertrag eingebaut werden könnte. Dadurch wird der Backstop nicht ersetzt, aber überflüssig.

STANDARD: Bliebe aber im Vertragstext?

Hands: Ich wäre damit einverstanden. Wenn unsere Vorschläge funktionieren, würde die Auffanglösung ohnehin nicht benötigt. Aber die Frage lautet, ob es dafür eine Mehrheit im Unterhaus gibt. Das wird man sehen. (Sebastian Borger, 27.6.2019)